zum Hauptinhalt
Bloßgestellt. In den ersten beiden Runden kam Tohar Butbul kampflos weiter.

© REUTERS

Antisemitismus bei Olympia: Judoka Tohar Butbul findet keine Gegner – weil er Israeli ist

In den ersten beiden Runden kam Tohar Butbul kampflos weiter. Das IOC reagiert umgehend. Doch gegen verschleierten Antisemitismus ist es machtlos.

Auf seinem Facebook-Kanal dürfte sich der Algerier Fethi Nourine bestätigt fühlen. „Wie oft hat uns Verrat besiegt? Dein Rückzug ist stärker als ihre Armeen“, schreibt ein User. Ein anderer: „Wir sind stolz auf dich, Bruder Fethi.“ Stolz darauf, dass der Judoka Nourine bei Olympia von sich aus zurückgezogen hat.

Vor seinem Erstrunden-Kampf vor wenigen Tagen in der Gewichtsklasse bis 73 Kilogramm hatte er sich nicht imstande gesehen, gegen Mohamed Abdalrasool anzutreten. Der Grund war aber nicht, dass sich Nourine verletzt oder plötzlich über dem Gewichtslimit gelegen hätte. Es hatte damit zu tun, dass er bei einem Sieg gegen Abdalrasool auf Tohar Butbul getroffen wäre.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können]

Butbul ist Israeli – und eine Normalisierung der Beziehung zu Israel lehne Algerien ab, sagte Nourines Trainer Amar Ben Yekhlef. Nourine selbst teilte später mit, dass er voll hinter dieser „palästinensischen Angelegenheit steht“. Der Internationale Judo-Verband reagierte und suspendierte den 30 Jahre alten Sportler und seinen Trainer vorläufig. Doch damit war der Fall noch nicht erledigt. Denn als sich Tohar Butbul am Montag auf seinen Zweitrundenkampf gegen Abdalrasool vorbereitete, ereilte ihn die Nachricht, dass er erneut kampflos eine Runde weiter sei.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Der Sudanese Abdalrasool trat ebenfalls nicht an. Die Gründe für den Rückzug waren nicht bekannt. Anhand der Vorgeschichte ist wahrscheinlich, dass auch in diesem Fall Antisemitismus die entscheidende Rolle gespielt haben dürfte.

Butbul trug die Tatsache, dass in den ersten beiden Runden keiner gegen ihn angetreten wollte, mit Fassung. „Es ist nicht ungewöhnlich für mich“, sagte er einem Reporter. „Diese Dinge passieren israelischen Athleten. Aber ich möchte nun nicht über Politik diskutieren.“

Der Algerier Fethi Nourine wollte nicht gegen einen Israeli antreten.
Der Algerier Fethi Nourine wollte nicht gegen einen Israeli antreten.

© REUTERS

Michaela Engelmeier machen solche Meldungen wütend. Die SPD-Politikerin war einst selbst eine erfolgreiche Judoka, sie war Mitglied der deutschen Nationalmannschaft. Inzwischen arbeitet sie ehrenamtlich für das Hauptstadtbüro von Makkabi Deutschland, dem jüdischen Turn- und Sportverband in Deutschland.

„Auch ich habe früher so etwas schon erlebt“, erzählt sie dem Tagesspiegel. „So etwas regt mich auf. Solche Aktionen ziehen sich wie ein roter Faden durch internationale Wettkämpfe, wenn israelische Sportler gegen Athleten aus dem Iran oder anderen arabischen Staaten antreten“, sagt sie.

Tatsächlich bekommt der Sport das Problem seit vielen Jahren nicht in den Griff. Gerade im Judo häuften sich in der jüngeren Vergangenheit antisemitische Vorfälle. So war zum Beispiel der iranische Judoka Saeid Mollaei bei der Judo-WM vor zwei Jahren von hohen Funktionsträgern seines Landes zum Rückzug gezwungen worden, weil er auf den Israeli Sagu Muki zu treffen „drohte“.

Der Silbermedaillengewinner von Tokio widersetzte sich zunächst den Anweisungen und kämpfte weiter, bis plötzlich Sicherheitskräfte vor dem Haus seiner Familie auftauchten. Ein deutliche Drohung an ihn. Den Traum vom erneuten WM-Titel musste er sich abschreiben. Der Internationale Judo-Verband sperrte den Iran daraufhin von allen internationalen Wettkämpfen. Auch bei den Spielen in Tokio sind keine iranischen Judoka dabei.

Michaela Engelmeier, 60, träumte früher von einer Olympia-Teilnahme. Das blieb ihr knapp verwehrt.
Michaela Engelmeier, 60, träumte früher von einer Olympia-Teilnahme. Das blieb ihr knapp verwehrt.

© Makkabi Deutschland e. V.

„Das war großartig vom Verband“, findet Michaela Engelmeier. Ähnlich harte Sanktionen erhofft sich die 60-Jährige nun auch vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Dieses agierte bislang in diesen Belangen vergleichsweise zurückhaltend. Oftmals gab es sich mit mutmaßlichen Ausreden arabischer Judoka zufrieden. So wurden und werden oftmals Verletzungen oder Verstöße gegen das zulässige Gewicht als Rückzugsgründe aufgeführt. „Das ist oft fadenscheinig“, glaubt Engelmeier

„Solche Fälle sollten besser nachgeprüft werden. Und wenn wie bei Fethi Nourine ganz offen antisemitische Gründe genannt werden, dann sollten diese Sportler lebenslang gesperrt werden“, fordert sie.

Ob Fethi Nourine seine internationale Laufbahn weiter fortsetzen darf, ist noch nicht bekannt. Die Verbände werden über diesen Fall intensiv verhandeln. Sicher scheint, dass der Mann für viele seiner Glaubensbrüder durch den Rückzug ein größerer Held geworden ist, als er es mit einem Olympiasieg hätte werden können. „Gott segne Dich, Bruder“, lautete ein weiterer Facebook-Eintrag.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false