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Ishak Belfodil steckt mit Hertha BSC tief im Schlammassel.

© Metodi Popow/Imago

Nach dem 0:1 gegen den HSV in der Relegation: Der große Frust bei Hertha BSC

Das 0:1 im ersten Teil der Relegation gegen den Hamburger SV schlägt Hertha BSC stärker auf den Magen, als es das Ergebnis vermuten lässt.

Der letzte Akt im noch nahezu vollbesetzten Olympiastadion vor dem Auszug der Massen fasste den gesamten Abend auf fast beängstigende Weise zusammen. Im Westteil des Spielfeldes, nahe der Mittellinie, versammelte Tim Walter seine Mannschaft um sich. Der Trainer des Hamburger SV wurde von seinen Spielern umringt. Der Kreis, den sie bildeten, sah mit ein wenig Fantasie fast aus wie ein Herz.

Bei Hertha BSC hingegen machten sich Auflösungserscheinungen bemerkbar. Einige Spieler waren gleich im Keller des Stadions verschwunden, Kapitän Dedryck Boyata, wie immer zuletzt, als einer der Ersten vorneweg. Andere standen in kleinen Gruppen zusammen. Linus Gechter, erst 18 Jahre alt und trotzdem schon ein Ur-Herthaner, saß auf der Ersatzbank und streckte, ermattet an Körper und Geist, seine Beine von sich.

Ein Team mit Herz gegen eine Ansammlung von Individualisten: So war es auch im Spiel selbst gewesen, das der Zweitligist aus Hamburg mit 1:0 (0:0) für sich entscheiden konnte.

Entschieden ist damit noch nichts. Im Nachgang der ersten Relegationsbegegnung wiesen die Berliner immer wieder darauf hin, dass gerade mal Pause ist. „Alles ist nach wie vor offen“, sagte zum Beispiel Felix Magath, Herthas Trainer. „Es ist nicht so, dass wir chancenlos nach Hamburg fahren.“

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Hertha bleibt das Rückspiel am Montag, weitere 90 Minuten, um die Dinge richtigzustellen. Aber alle Verweise darauf klangen eher pflichtschuldig als wirklich überzeugt. Die Wirkung der Niederlage reichte weit tiefer, als es das knappe Ergebnis vermuten ließ. Immerhin: Unter der Last der Erwartungen werden die Berliner beim Rückspiel ganz sicher nicht zu leiden haben. Erwartet wird von ihnen nichts mehr.

Herthas Fans harrten noch lange nach dem Schlusspfiff aus, vor allem die in der Ostkurve. Vielleicht warteten sie auf die Mannschaft, auf deren Dank für die lautstarke Unterstützung. Aber niemand kam. Erst als die Reihen sich schon gelichtet hatten, erschien Niklas Stark. Nach sieben Jahren bei Hertha war das Spiel gegen den HSV sein letztes Heimspiel im Olympiastadion. Starks Vertrag wird nicht verlängert. Ein leerer Bierbecher flog an ihm vorbei auf die Tartanbahn, sonst aber gab es viel Applaus für den früheren Nationalspieler, der von Hertha nicht einmal offiziell verabschiedet wurde.

Dass abgesehen von Stark kein Spieler in die Kurve gegangen war, „das wundert mich jetzt ein bisschen“, sagte Trainer Magath in der Pressekonferenz. Es dürfte nicht die einzige Irritation an diesem frustrierenden Abend gewesen sein. Magath saß die meiste Zeit scheinbar apathisch auf seinem Platz – als wäre ihm erst jetzt klar geworden, worauf er sich da eigentlich eingelassen hat.

Ratlos? Felix Magath am Tag nach dem Relegationshinspiel beim Training.
Ratlos? Felix Magath am Tag nach dem Relegationshinspiel beim Training.

© Koch/Imago

„Wir sind aufgetreten wie ein Bundesligist“, behauptete Magath, „aber der HSV auch.“ Der zweite Teil seiner Aussage traf die Realität besser als der erste. Beim HSV, der sich in der Zweiten Liga mit großer Mühe überhaupt noch auf Platz drei und damit in die Relegation gerettet hatte, war eine Idee zu erkennen, die Handschrift seines Trainers, auch wenn das Schriftbild nicht immer gestochen scharf war. Bei Hertha regierte der Zufall – und die Hoffnung auf eine Einzelleistung von Spielern wie Belfodil oder Jovetic. Es war eine allzu dünne Hoffnung.

Die Defizite der Mannschaft, die lange bekannten, traten auch gegen den HSV wieder offen zutage. Kreativität und fußballerischer Esprit gehen dem Team vollkommen ab. Keine guten Voraussetzungen für das Rückspiel, in dem Torhüter Marcel Lotka wohl weiter fehlen wird. Hertha muss in Hamburg gewinnen, um erstklassig zu bleiben.

Magath wurde auf die Defizite in der Offensive angesprochen. „Wir haben ja heute schon mal angefangen zu üben“, antwortete er in einem Anflug von Sarkasmus. „Jetzt haben wir drei Tage Zeit, weiter zu üben, um offensiv besser zu werden.“

Felix Magath hat in den vergangenen Wochen viel von seiner Aura verloren

Es ist noch nicht lange her, da stand Magath bei Hertha kurz vor der Heiligsprechung. Aber es ist eben auch noch nicht lange her, dass Hertha den Verbleib in der Bundesliga so gut wie sicher hatte. Inzwischen, nach einigen erratischen Äußerungen und ebenso wunderlichen Personalentscheidungen, ist die Heiligsprechung des 68-Jährigen noch einmal zur eingehenden Prüfung an die zuständigen Gremien verwiesen worden.

In den neun Spielen unter seiner Regie sah sich Magath sechs Mal schon in der Pause zu Wechseln gezwungen – nur einer war verletzungsbedingt. Auch gegen den HSV korrigierte Herthas Trainer bereits nach 45 Minuten eine seiner überraschenden Personalentscheidungen: Magath nahm den 19 Jahre alten Luca Wollschläger vom Feld, der erstmals von Anfang an bei den Profis hatte spielen dürfen.

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Hertha erweist sich immer mehr als dysfunktionaler Klub: Spieler werden schlechter, zuvor hochgelobte Manager kriegen plötzlich nichts mehr auf die Kette, und selbst ein durch und durch erfahrener Trainer wie Felix Magath ist gegen dieses toxische Umfeld offenbar nicht immun.

Nachdem er in vergleichsweise komfortabler Lage immer wieder gemahnt und gewarnt, die Relegation fast schon heraufbeschworen hatte, klang Magath im Anlauf auf das Duell mit dem HSV plötzlich ungewohnt optimistisch, fast schon euphorisch. Undurchschaubar zu sein gehörte bei ihm immer zum Konzept. Doch Herthas Mannschaft, die weiterhin auf der Suche nach sich selbst ist, könnte damit einfach überfordert sein.

Am Morgen nach der Niederlage waren rund ums Olympiastadion sämtliche Erinnerungen an die Relegation bereits beseitigt. Die Vorbereitungen für das Pokal-Endspiel liefen. Nebenan trainierte Herthas Mannschaft, für die das Finale am Montag in Hamburg eines gerade nicht werden soll: ein Endspiel. Felix Magath verfolgte die Einheit wie immer mit gebührendem Abstand. Nach etwas mehr als einer Stunde ging er vom Platz, alleine, mit müdem Schritt und gesenktem Kopf.

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