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Das Ziel war das Ziel. Boris Herrmann hat es erreicht und wird Fünfter.

© Jean-Francois MONIER / AFP

Kollision bringt ihn um den Sieg: Boris Herrmann wird letztlich Fünfter beim Vendée Globe

Aufgrund eines unachtsamen Moments reicht es für Herrmann nicht für die Sensation. Dennoch wird die Ankunft des deutschen Soloseglers in Frankreich bejubelt.

Es ist diesig und graugrau, als sich die "Seaexplorer" am Donnerstagvormittag aus dem Dunst schält. Eine kleine Armada aus Motorbooten ist Solosegler Boris Herrmann entgegengeeilt, um ihn ins Ziel zu begleiten, das er nach 80 Tagen und 21 Stunden und einer Weltumrundung als Fünfter erreicht. Der Segler reißt die Arme hoch und entzündet die für diesen Anlass reservierten gleißend roten Seenotfackeln.

Kurz darauf erlösen ihn Freunde wie Pierre Casiraghi und Mitglieder seines Rennstalls von der Bürde des Navigierens. Sie gehen an Bord der "Seaexplorer", bereiten sie für die Einfahrt in den Hafen vor.

Herrmanns Ziel war immer das Ziel. Er wollte nicht aufgeben müssen, sondern ankommen, weil das die Voraussetzung für alles Weitere sein würde. Tatsächlich lag er bis in die späten Abendstunden des Vortages so gut im Rennen, dass er sich Hoffnungen auf dem Gesamtsieg nach berechneter Zeit machen durfte.

Doch dann holte ihn das Unheil ein in Form eines Fischtrawlers. 80 Meilen vor dem Zielort Les Sables d'Olonne kollidierte er mit einem Fahrzeug, und die Folgen dieses verheerenden Zusammenstoßes zeigen sich im Licht des nächsten Tages deutlich.

Der "Seaexplorer" fehlt der Bugspriet, das Metallgestänge am Bug ist zerschmettert, ein gebrochener Foil schleift durchs Wasser wie ein lahmes Bein und schwarze Schrammen am Rumpf verraten, wie der empfindliche Racer Stunden zuvor an der Bordwand des Trawlers entlanggeratscht sein muss.

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In der Pressekonferenz, die Herrmann am Nachmittag gibt, geht er nur kurz auf den Vorfall ein. Zuvor schon hatte er ihn als eigenes Missgeschick dargestellt, die Verantwortung auf sich genommen. So sei es zu der Kollision gekommen, als der Solosegler unter dem schützenden Dach seines Cockpits kurz eingenickt war. Er habe seine Alarmsysteme extra noch mal überprüft, sagt er, da er wusste, dass die Biskaya viel befahren wird und Fischer oft schlecht auszumachen sind.

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Plötzlich sei er von dem schabenden Geräusch der Segel aufgeschreckt worden, sein Boot wurde mehrfach von Wellen auf den Fischtrawler gedrückt, die Verspannung an Steuerbord, die den Mast seitlich abstützt, verfing sich im Gestänge des Fischers und riss. Dadurch kam die "Seaexplorer" frei, die Fahrzeuge lösten sich voneinander. "Danach war ich so sehr abgelenkt davon, den Mast zu stabilisieren, dass ich mir bislang keine Gedanken machen konnte", sagt Herrmann.

Mission erfüllt. "Für mich war die Einsamkeit mit Abstand das Schwierigste."
Mission erfüllt. "Für mich war die Einsamkeit mit Abstand das Schwierigste."

© dpa

Über mögliche Schäden an Bord des Trawlers, bei dem es sich nach Angaben von "Bild" um die spanische "Hermanos Busto" handeln soll, war zunächst nichts bekannt. Von "ein paar Kratzern" berichtet der baskische Kapitän in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". Es sei falsch zu behaupten, das AIS-System, das die Positions- und Kursdaten automatisch an andere Schiffe in Radarreichweite übermittelt, sei ausgeschaltet gewesen. Auch er selbst, so der Fischer weiter, habe die AIS-Kennung der Yacht nicht angezeigt bekommen.

Der Fischkutter sei auf Hechtfang spezialisiert, bei dem sich das Schiff kaum vorwärtsbewege. Etwa eine Meile in der Stunde. Zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes sei die Mannschaft bei voller Arbeitsbeleuchtung an Deck gewesen. Dann habe es einen "schönen Rumms" gegeben, doch der Segler sei zu schnell wieder weg gewesen, um zu begreifen, was passiert war. "Der war so schnell weg", sagt der Kapitän, "dass ich dachte: Das ist ein Schmuggler."

Die Frage, ob der Trawler dem Segler hätte ausweichen müssen, ist nicht einfach zu beantworten. Obwohl Segelfahrzeuge gegenüber motorisierten Schiffen Wegerecht besitzen, gilt das nicht, wenn diese in ihrer Manövrierfähigkeit behindert sind. Etwa, weil sie ein Schleppnetz hinter sich herziehen oder kaum Fahrt machen. Fischereifahrzeuge jeder Größe geben das nachts durch ein Lichtsignal an.

Um die Gefahr einer Kollision zu umgehen, hatte Herrmann die "Seaexplorer" eigens mit einem hochmodernen Ausweichsystem ausgestattet. Eine Infrarotkamera sollte die Wellen nach Treibgut und Schiffen abtasten, ein Algorithmus lernen, Gegenmaßnahmen einzuleiten. Das hat aus Gründen, die unklar sind, nicht funktioniert.  

Deutlich sind am Rumpf der "Seaexplorer" Spuren des Zusammenpralls mit einem Fischtrawler zu erkennen.
Deutlich sind am Rumpf der "Seaexplorer" Spuren des Zusammenpralls mit einem Fischtrawler zu erkennen.

© AFP

Enttäuscht zeigt sich Herrmann nach diesem Rückschlag trotzdem nicht, der ihn um eine Platzierung auf dem Podium brachte. "Die 80 Tage waren sehr viel härter, als ich es mir jemals vorgestellt hätte." Am meisten habe ihm die Einsamkeit zugesetzt, sagt er, sie sei "mit Abstand das Schwierigste" gewesen.

So gibt sich der 39-jährige Familienvater, der seine erst wenige Monate alte Tochter am Ponton kurz liebkosen konnte, bedeckt bei der Frage, ob er das Rennen ein weiteres Mal bestreiten wolle. "Das Vendée Globe ist eine menschliche Erfahrung, aber keine einfache", meint er. Diesmal habe er sich einen Traum von vor zwanzig Jahren erfüllt, der darin bestanden habe, Teil des Rennens zu werden.

Yannick Bestaven gewinnt das Vendée Globe

Das hat seiner vorsichtigen Art entsprochen, im Zweifel lieber nachzugeben, als es zu forcieren. "Die Anderen", und damit meint er den Sieger Yannick Bestaven und den Drittplatzierten Louis Burton, "haben mehr Druck gegeben und mehr kaputt gemacht." Beim nächsten Mal müsse es jedoch auch für ihn um einen Podiumsplatz gehen. Ob er sich diese Aufgabe zumuten wolle, wisse er nicht.

In einem Video erklärt Boris Herrmann noch in der Nacht, wie es zu der Kollision gekommen ist.
In einem Video erklärt Boris Herrmann noch in der Nacht, wie es zu der Kollision gekommen ist.

© dpa

Wie groß der Respekt ist, den ihm seine Kontrahenten zollen, ist zuvor im Hafen zu sehen. Der Italiener Giancarlo Pedote, der mit dem baugleichen Schwesterschiff der "Seaexplorer" zwei Stunden später eintrifft, erklärt nach einer herzlichen Umarmung mit vor Rührung wässrigen Augen, wie hoch er es dem Deutschen anrechne, dass der ihn mit WhatsApp-Nachrichten immer wieder aufgebaut hätte. Damit, so Pedote, habe er wirklich Größe gezeigt.

In einem Jahr, in dem das Rennen technologisch kaum Akzente setzte, hat es der unermüdliche Kommunikator Herrmann auf ein neues soziales Niveau gehoben. Zwar war die Solidarität unter denen, die eines der dreißig Imoca-Boote steuern dürfen, immer schon groß. Aber Herrmanns Mission ist es, sie von ihren Geheimnissen zu befreien.

Mit Herrmann erreicht an diesem Nachmittag neben Pedote ein weiterer Außenseiter das Ziel.  Damien Seguin trägt den Dreispitz und roten Faschingsmantel eines Käpt'n Hook - mit Eisenhaken an dem Stumpf seines linken Arms. Das steht für den besonderen Humor des ersten paralympischen Seglers, der sich die Nonstop-Umrundung zugetraut hat. Auch er, der zuvor schon zweimal olympisches Gold gewann, hat mit seinem furiosen sechsten Rang ein Zeichen gesetzt. Es wird Nachahmer finden, nicht nur unter den Einhändigen.

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