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Gefahr in Verzug. Bei gegnerischen Ecken und Freistößen wird es für Hertha BSC oft brenzlig.

© imago images/Michael Weber

Hertha BSC und die Schwäche bei Standards: Hinten wacklig, vorne harmlos

Wenn der Ball ruht: Hertha BSC kassiert zu viele Tore nach Standards und schießt selbst kaum welche. Das ist ein ernstes Problem für Trainer Pal Dardai.

Marko Rehmer muss lachen. Die Geschichte hört sich wirklich ein bisschen skurril an, und obwohl Rehmer in ihr die Hauptrolle gespielt hat, kann er sich nicht mehr erinnern. Ist ja auch schon fast 20 Jahre her.

Es war im April 2001. Rehmer spielte mit Hertha BSC gegen Werder Bremen, und dass die Begegnung mit einer 1:3- Niederlage endete, machte Trainer Jürgen Röber vor allem an einem eklatanten Versäumnis seines Nationalspielers Rehmer fest. Herthas Verteidiger hatte in der Anfangsphase nach einer Ecke seinen Gegenspieler Claudio Pizarro aus den Augen gelassen, der die Bremer ohne größere Probleme mit 1:0 in Führung köpfen konnte. Röber hatte endgültig genug von solchen Unachtsamkeiten – und verhängte eine Geldstrafe gegen Marko Rehmer.

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Von Hans Meyer, der auch mal Hertha BSC und damit Pal Dardai trainiert hat, stammt der Spruch: „In schöner Regelmäßigkeit ist Fußball doch immer das Gleiche.“ Manche Themen kehren immer wieder. Bei Hertha ist es das Standardthema, und das im Moment sogar hoch zwei. „Es passiert zu wenig“, sagt Marko Rehmer, den man durchaus als Standardspezialisten bezeichnen kann. „Sowohl defensiv wie offensiv.“

Bei keinem der 18 Bundesligisten ist der Anteil an Standard-Gegentoren so hoch wie bei Hertha (15 von 37), und mehr Treffer nach ruhenden Bällen (21) hat auch nur der Tabellenletzte Schalke 04 kassiert. „Wir haben zu viele Punkte verloren wegen einfacher Flanken oder Standards“, sagt Trainer Dardai. „Da können wir uns keine Fehler mehr leisten.“

Dardai vermisst die letzte Hingabe in der Defensive

Vor einer Woche, beim 1:1 in Stuttgart, war Herthas Schwäche wieder besonders gut zu erkennen. Die Führung für den VfB fiel nach einem Freistoß aus dem Halbfeld. Dazu wurden zwei der drei besten Chancen für die Stuttgarter nach dem gleichen Muster vorbereitet, einmal durch eine Ecke, einmal durch einen Freistoß, jeweils von Borna Sosa getreten, der wegen seiner präzisen Flanken inzwischen als einer der besten Linksverteidiger der Liga gilt.

Dardai vermisst in solchen Situationen die letzte Hingabe, das eigene Tor zu verteidigen. „Defensiv muss man sich opfern“, sagt er. „Ab und zu musst du auch mal genäht werden. Das gehört zum Fußball.“ Was aktuell eine Schwäche seines Teams ist, war während seiner ersten Amtszeit als Trainer bei Hertha eine ausgewiesene Stärke. Lass sie ruhig flanken, gab Dardai seinen Spielern mit auf den Weg. Weil er wusste, dass die Innenverteidiger und Torhüter Rune Jarstein die Bälle in der Mitte schon abräumen würden.

Aktuell fehlen mit Dedryck Boyata und Jordan Torunarigha zwei kopfballstarke Innenverteidiger, und das wird wohl auch erst einmal so bleiben. Beide sind „noch weit weg vom Mannschaftstraining“, sagt Dardai vor dem Heimspiel gegen Leipzig an diesem Sonntag (15.30 Uhr/Sky).

Herthas Bilanz: 97 Ecken, kein Tor

Verschärft wird Herthas Standardproblem noch dadurch, dass auch am anderen Ende des Spielfelds viel zu wenig passiert. Gerade für Teams, die spielerisch limitiert sind, können Standards ein wertvolles Stilmittel sein. Der 1. FC Köln zum Beispiel hat durch zwei simple Tore nach Eckbällen 2:1 in Dortmund gewonnen. Hertha aber lässt solche Möglichkeiten weitgehend ungenutzt. Aus insgesamt 97 Ecken in dieser Saison resultierte noch kein einziges Tor. „Das ist auch nicht gut“, sagt Dardai. „Da müssen wir uns verbessern.“

Doch der Mangel ist ad hoc nur schwer zu beheben. Zum einen fehlt Dardai ein ausgewiesener Standardspezialist, wie es zu seiner oder Marko Rehmers aktiver Zeit Marcelinho, Dariusz Wosz und Sebastian Deisler waren. Jemand, „der den Ball mit seiner Schusstechnik so in den Strafraum jagt, dass der gegnerische Trainer sich vor Angst an seinem Stuhl festkrallt“, wie Herthas Trainer sagt. „Wenn der Ball nicht kommt, kannst du machen, was du willst."

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Zum anderen hat Dardai gar nicht die Zeit, verschärft an diesem Thema zu arbeiten. Durch den Einstieg mitten in der Saison fehlt ihm die mehrwöchige Vorbereitung, in der man sich solchen Fragen mit der nötigen Liebe zum Detail widmen kann. Deshalb verzichtet der Ungar im Moment auch auf möglichst ausgeklügelte Varianten. „Die Schützen müssen sich besser konzentrieren“, sagt er. „Wir brauchen bessere Flanken, ganz einfach, ganz trocken. Das haben wir diese Woche auch geübt.“

Dass Dardai, wie sein Urvater Jürgen Röber vor 20 Jahren, auf ungewöhnliche Maßnahmen zurückgreifen wird, ist nicht zu erwarten. Selbst Dieter Hoeneß wurde im Frühjahr 2001 von Röbers Idee überrascht, Marko Rehmer zur Kasse zu bitten. „Von Vereinsseite gibt es Geldstrafen nur bei vorsätzlich vereinsschädigendem Verhalten“, sagte Herthas Manager. „Das ist bei Marko Rehmer nicht der Fall. Aber ich will nicht ausschließen, dass sich der Trainer und die Mannschaft auf eine interne Regelung verständigt haben.“

Letztlich musste Rehmer – auch wenn er sich nicht mehr daran erinnern kann – gar nichts zahlen. Die Mannschaft brachte Röber von seiner skurrilen Idee ab. Heute kann Rehmer darüber lachen. „Wenn ich auch für jedes Standardtor, das ich erzielt habe, Geld bekommen hätte, hätte ich deutlich mehr verdient“, sagt er. Eine Woche nach seinem Aussetzer gegen Claudio Pizarro gewann Hertha 1:0 gegen Borussia Dortmund. Das Tor erzielte Marko Rehmer.

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