zum Hauptinhalt
Tatjana Maria hat in Wimbledon erstmals das Halbfinale erreicht und ist die große Überraschung des Turniers.

© IMAGO/GEPA pictures

Familientreffen auf dem Centre Court: Tatjana Maria im Halbfinale – Geht „das Märchen von Wimbledon“ weiter?

Im Halbfinale von Wimbledon trifft die 34-Jährige auf ihre gute Freundin Ons Jabeur. Die Tunesierin geht als große Favoritin ins Spiel.

Ons Jabeur versteht es, das Publikum auf ihre Seite zu ziehen. Das bewies sie zuletzt eindrucksvoll bei ihrem Turniersieg in Berlin, wo die tunesische Fangemeinde von Match zu Match größer und lauter wurde und sie spätestens bei der Siegerehrung auch die deutschen Besucher im Steffi-Graf-Stadion mit ihrer humorvollen Art zum Lachen gebracht hatte. Dass die 27 Jahre alte Jabeur darüber hinaus auch ein großes Herz hat, bewies sie mit ihren Worten in Richtung ihrer Berliner Finalgegnerin Belinda Bencic – die Schweizerin musste seinerzeit verletzt aufgeben.

Jabeur scheint derzeit auf einer Welle der Sympathie zu reiten. Würde es einen Beliebtheitswettbewerb unter den Tennisspielerinnen geben, hätte sie beste Chancen, diesen zu gewinnen. Serena Williams beispielsweise wollte unbedingt mit der Tunesierin ihr Comeback auf der Tour im Doppel von Eastbourne geben und Bencic bezeichnete Jabeur und deren Teammitglieder in Berlin als „gute Freunde“.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Am Donnerstag kommt es in Wimbledon nun sogar zu einer Art Familientreffen im Halbfinale, wenn Jabeur gegen Tatjana Maria antritt. Die Deutsche hatte sich schon nach ihrem Sieg gegen Landsfrau Jule Niemeier ein Duell mit Jabeur gewünscht und gesagt: „Sie ist Teil meiner Familie, sie liebt meine Kinder.“ Obwohl Maria sieben Jahre älter ist, kennen sich Jabeur und sie „seit Ewigkeiten“, wie sie sagte: Warum das Verhältnis so gut ist? „Sie spricht Französisch, mein Mann ist Franzose. Und wir haben Club-Matches zusammen gespielt.“

Auf dem Tennisplatz wird es das vierte Spiel gegeneinander, das erste in einem Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers und in einem Halbfinale. „Es wird ein großartiges Match zwischen uns, mit viel Respekt“, sagte Jabeur. Auf dem Centre Court von Wimbledon wird die Freundschaft der beiden allerdings während des Duells ruhen. Denn sowohl Jabeur als auch Maria können Historisches schaffen.

Die Tunesierin hat es zuletzt schon geschafft, einen ganzen Kontinent neu auf der Tennislandkarte zu verorten. Afrika spielte bisher selten eine Rolle, wenn es um die ganz großen Titel ging. Jabeur wäre die erste afrikanische Spielerin in einem großen Finale, dazu auch noch eine aus dem arabischen Raum, in dem es Frauen nicht immer leicht haben, sich ihre Träume zu erfüllen.

Reitet auf einer Sympathiewelle. Ons Jabeur ist nach dem Aus von Iga Swiatek die Topfavoritin auf den Turniersieg in Wimbledon. In der Weltrangliste liegt sie 100 Plätze vor ihrer deutschen Halbfinalgegnerin Tatjana Maria.
Reitet auf einer Sympathiewelle. Ons Jabeur ist nach dem Aus von Iga Swiatek die Topfavoritin auf den Turniersieg in Wimbledon. In der Weltrangliste liegt sie 100 Plätze vor ihrer deutschen Halbfinalgegnerin Tatjana Maria.

© IMAGO/Kyodo News

Maria wiederum ist erst die sechste Spielerin, die nach ihrem 34. Geburtstag in einem Grand-Slam-Halbfinale steht. Ein Sieg würde „das Märchen von Wimbledon“ (Daily Mail) fortsetzen. Die letzte Mutter, die auf dem legendären Centre Court triumphierte, war 1980 die Australierin Evonne Goolagong-Cawley – als einzige nach dem Ersten Weltkrieg.

Favorit auf den Finaleinzug ist aber natürlich Jabeur, die in der Weltrangliste 100 Plätze vor der Deutschen steht. Und die mit klarem Ziel nach Wimbledon gereist ist – nämlich: das Turnier zu gewinnen. „Den Titel bei einem Grand Slam“, sagte sie in Berlin auf die Frage, welchen Sieg sie als nächstes anstrebe. Was selbstbewusst klang, kann nun Realität werden und wäre die logische Folge von Jabeurs rasanter Entwicklung in den vergangenen Monaten.

Gegen Maria wird sie dabei anders spielen müssen als bisher in Wimbledon. Stichwort: Slice. Maria spielt ihn auf der Rückhand fast ausschließlich und oft auch mit der Vorhand. Der Ball fliegt dabei meist sehr langsam und auch relativ hoch über das Netz, ist aber fast immer lang genug. Dagegen ein Rezept zu finden, ist bisher keiner Gegnerin über die gesamte Dauer eines Matches gelungen. Jabeur, die über eine hohe Spielintelligenz verfügt, ist dies aber in ihrer momentanen Form absolut zuzutrauen. Überraschen würde es sicher niemanden.

[Mehr guten Sport aus lokaler Sicht finden Sie – wie auch Politik und Kultur – in unseren Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken. Hier kostenlos zu bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Und vielleicht bekommt Jabeur auch Beifall aus Marias Team: „Ich habe schon mit Charlotte gescherzt: Wirst du mich unterstützen oder deine Mama? Ich versuche, die Kids auf meine Seite zu ziehen“, sagte sie vor dem Duell mit ihrer Freundin. Mit der achtjährigen, älteren Maria-Tochter ist Jabeur tatsächlich auch in Wimbledon schon auf dem Gelände unterwegs gewesen. Und die kleine Cecilia betrachtet sie sogar als „ihr Baby“, wie es Maria erzählte.

Sollte das Märchen von Tatjana Maria am Donnerstag tatsächlich enden, wäre sie vermutlich nur kurz enttäuscht. Denn, so betont sie immer wieder: „Das Wichtigste in meinem Leben ist es, Mutter zu sein.“ Nicht einmal ein Finale in Wimbledon kann da mithalten. (mit dpa)

Zur Startseite