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An jüdische Sportstars wie Nelly Neppach wurde in Deutschland lange nur sehr schwerlich erinnert.

© imago/Ulli Winkler

Erst ermordet, dann vergessen, jetzt geschändet: Ausstellung über jüdische Sportstars wird Ziel antisemitischer Angriffe

In Bochum wurden Figuren einer Ausstellung über ehemalige jüdische Sportgrößen zerstört. Die Behörden geben bei dem Vorfall eine merkwürdige Figur ab.

Es ist nicht so, dass Berno Bahro gerade wenig zu tun hätte. Der promovierte Sportwissenschaftler arbeitet an der Universität Potsdam, und eigentlich steht er gerne vor den Studierenden und spricht über die Geschichte des deutschen Sports, über die Arbeitersportbewegung oder den Sport in der DDR. Alles keine leichten, aber sehr spannende Themen. Doch wegen der Coronavirus-Pandemie muss auch der 43-Jährige seine Vorlesungen über Videokonferenzen vortragen – und das ist mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden.

Seit ein paar Tagen ist noch ein bisschen mehr Arbeit auf Bahro zugekommen, es gibt viele Anfragen an ihn. Es geht dabei wieder um ein Kapitel der deutschen Sportgeschichte, um ein sehr dunkles: den Sport im Nationalsozialismus und die Rolle der jüdischen Sportler. Figuren einer Ausstellung über ehemalige jüdische Sportgrößen sind in der Nacht vom 9. auf den 10. November in Bochum zerstört worden. „Das Datum spricht ganz klar für einen antisemitischen Vorfall“, sagt Bahro. Vom 9. auf den 10. November hatten 1938 die Novemberpogrome stattgefunden.

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Bisher sind die Täter von Bochum noch nicht gefasst, die Polizei ermittelt. „Wenn die Täter etwas erreicht haben“, sagt Bahro, „dann, dass die Ausstellung wieder mehr Aufmerksamkeit erfährt.“ Ihre weitere Finanzierung stand auf der Kippe, durch den Vorfall aber hat sie nun wieder sehr gute Chancen auf eine Zukunft. Mehrere Städte haben plötzlich Interesse signalisiert.

Bahro selbst war anlässlich der jüdischen Sportveranstaltung Maccabi Games vor fünf Jahren in Berlin an der Ausstellung mit dem Titel „Zwischen Erfolg und Verfolgung. Jüdische Stars im deutschen Sport bis 1933 und danach“ beteiligt. Porträtiert werden ehemalige Sportgrößen wie die Berliner Leichtathletin Lilli Henoch, Fechtolympiasiegerin Helene Mayer, Schachweltmeister Emanuel Lasker und viele mehr. Das Projekt stieß auf Interesse und wurde von der Presse gelobt. Bis heute findet die Wanderausstellung statt.

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Zuletzt gastierte sie in Bochum, wo die lebensgroßen Plexiglasfiguren von Henoch und den Turnolympiasiegern Alfred und Gustav Felix Flatow beschädigt wurden. Präsident Alfons Hörmann vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) verurteilte den Angriff als „feige Tat“. Bochums Oberbürgermeister Thomas Eiskirch sagte: „Das macht uns fassungslos.“ Bochum sei und werde eine tolerante Stadt bleiben, in der Erinnerungskultur immer einen Platz habe.

Dabei ist der Antisemitismus gewiss kein Problem, das die Stadt Bochum exklusiv hätte. Überall in Deutschland gibt es ihn, auch noch rund 80 Jahre nach der Ermordung von Ausnahmesportlerinnen und -sportlern wie Lilli Henoch oder den Flatow-Cousins durch die Nationalsozialisten. Das wurde auch durch die Wanderausstellung über die jüdischen Sportstars deutlich.

Vor drei Jahren waren bereits einzelne Figuren in Frankfurt am Main zerstört worden, Anfang Oktober dieses Jahres im hessischen Wetzlar. Nicht immer haben die Taten einen antisemitischen Hintergrund. In Wetzlar gestand ein 34-Jähriger, der Staatsschutz schloss ein antisemitisches Motiv aus. Der Mann soll unter Alkohol- und Drogeneinfluss aus reiner Zerstörungswut gehandelt haben.

Doch in Bochum scheint der Fall klar zu sein. Zumal es „in den vergangenen Jahren es zu einer Vielzahl von gezielten Sachbeschädigungen gegen das Gedenken oder Gedenkobjekte im Kontext des 9. Novembers“ gekommen war, wie der jüdische Turn- und Sportverband Makkabi Deutschland mitteilt. So seien jüngst in Detmold die Gedenktafel für die ehemalige Mikwe als auch am vergangenen Sonntag die verlegten Stolpersteine für die Familie Herzberg geschändet worden. Eine beigefügte Postkarte deute dabei auf einen nationalsozialistischen Hintergrund hin.

Wurde versucht, einen antisemitischen Angriff zu verschleiern?

Was stutzig macht im aktuellen Fall aus Bochum, ist die Tatsache, dass es dort schon im Oktober zu Beschädigungen gekommen sein soll, wie erst jetzt bekannt wurde. Die Figur des Fußballpioniers Walther Bensemann sei beschädigt sowie die Stele der Cousins Flatow mit antisemitischen Parolen beschmiert worden, teilte der Deutsche Fußball-Bund in der vergangenen Woche mit. Die Bochumer Polizei hatte am 19. Oktober dagegen gemeldet, dass zwei Figuren entwendet worden seien. Von antisemitischen Parolen war da keine Rede. Wurde versucht, einen antisemitischen Angriff zu verschleiern?

Der ganze Fall löst große Sorgen in der jüdischen Gemeinde aus. Gleichsam ist er ein weiterer Beleg dafür, dass der Antisemitismus in Deutschland zunimmt, wie der Verfassungsschutz vor wenigen Monaten konstatierte. Auch die Sportgeschichte bleibt davon nicht unberührt.

Lange hatte man sich hierzulande schwergetan, an die großen Leistungen jüdischer Sportlerinnen und Sportler zu erinnern. Oft waren es einzelne Personen (und keine Institutionen!), die sich an die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der deutschen Sportgeschichte herantrauten. Martin-Heinz Ehlert etwa investierte viel Zeit und Herzblut, um der 1942 deportieren und ermordeten Lilli Henoch ihren gebührenden Platz in der deutschen Sportgeschichte zu geben. Zu nennen ist auch Jan Buschbom. Er zeichnete das Leben der jüdischen Tennisspielerin Nelly Neppach nach, deren Gedenkstein vor fünf Jahren an ihrem einstigen Wohnort in der Prager Straße in Berlin-Wilmersdorf verlegt worden war.

Die jüngsten Beschmierungen sind schandhaft – und indirekt ein Glücksfall: Jetzt wissen wieder mehr Menschen über die einst vergessenen jüdischen Sportstars Bescheid.

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