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Silber ist das neue Gold. Der deutsche Ruderachter war als Favorit ins Finale gegangen, freute sich danach immerhin über Platz zwei.

© dpa

Deutsche Bilanz in Tokio: Zehn Olympiasieger, 37 Medaillen – aber insgesamt mehr Schatten als Licht

Bloß Neunter im Medaillenspiegel: Die deutsche Mannschaft war in Tokio nur quantitativ Weltspitze. Allerdings gab es auch positive Ausnahmen. Ein Fazit.

Zumindest im Schönreden war die deutsche Mannschaft bei diesen Olympischen Spielen noch Weltspitze. „Die sportliche Bilanz ist insgesamt in Ordnung“, sagte Alfons Hörmann. Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) dankte ferner seinen insgesamt 432 Athleten mit warmen Worten: „In der Vertretung ihres Landes sind sie ihrer besonderen Verantwortung gerecht geworden.“ Zehnmal Gold, elfmal Silber und 16 Mal Bronze gab es in Tokio für Deutschland – es ist die schlechteste Ausbeute seit der Wiedervereinigung. Wie fällt das Fazit für einzelne Disziplinen aus? Ein Überblick.

LEICHTATHLETIK
88 Athleten entsandte der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) nach Tokio, ganze drei Medaillen wurden gewonnen, dazu gab es neun Top-Acht-Ergebnisse – allerdings scheiterte die Hälfte der deutsch Einzelathleten schon in der ersten Runde. „Wir haben mehr Potenzial und Chancen gehabt, die wir nicht genutzt haben“, sagte DLV-Cheftrainerin Annett Stein. Johannes Vetter wäre hier zu nennen, der dominierende Speerwerfer der jüngeren Vergangenheit wurde nur Neunter und zeigte sich anschließend als schlechter Verlierer.

Neben solchen Enttäuschungen gab es auch Pech, Zehnkampf-Weltmeister Niklas Kaul musste verletzt aufgeben. Einzige Olympiasiegerin wurde Weitspringerin Malaika Mihambo, die Nervenstärke bewies. Dazu überraschten Diskuswerferin Kristin Pudenz und Geher Jonathan Hilbert über die 50 Kilometer mit Silber. Sie zeigten sich cool, während andere haderten und oft weit hinter ihren persönlichen Bestleistungen zurückblieben.

Malaika Mihambo sprang zu Gold.
Malaika Mihambo sprang zu Gold.

© Imago

SCHWIMMEN/WASSERSPRINGEN
Die zweitstärkste Mannschaft des DOSB mit 41 Sportlern (32 Schwimmer, neun im Wasserspringen) konnte sich im Vergleich zu Rio steigern. Endlich gab es auch wieder Medaillen im Beckenschwimmen – erstmals seit 2008. Sarah Köhler und Florian Wellbrock holten jeweils Bronze über 1500 Meter. Wellbrock ließ später noch Gold im Freiwasser über zehn Kilometer folgen. Weitere gute Ergebnisse gab es auf den anderen langen Freistilstrecken, über die kürzeren Distanzen oder im Rücken-, Brust-, Schmetterling- oder Lagenschwimmen schaffte es hingegen kein deutscher Schwimmer in ein Finale. Auch die Ausbeute der Staffeln blieb mit zwei sechsten Plätzen bescheiden. „Wir wissen um die Defizite“, gab Bundestrainer Bernd Berkhahn zu.

Zwei weitere Medaillen holten die Wasserspringer – bei Frauen und Männern jeweils synchron vom Drei-Meter-Brett – und stellten damit einmal mehr ihre Zuverlässigkeit bei großen internationalen Wettkämpfen unter Beweis.

TURNEN
Dauser gut, alles gut. Der gebeutelte Verband, der seit Hambüchen im Grunde einen Spitzenturner oder auch eine Spitzenturnerin sucht, war mit der Silbermedaille von Lukas Dauser am Barren mehr als glücklich. „Wir freuen uns alle, das ist sehr wichtig für unser Team, für Deutschland, für alle“, sagte Trainer Waleri Belenki. Dazu schaffte die Männermannschaft den Einzug ins Mehrkampf-Finale und auch Elisabeth Seitz war als Einzelneunte und Fünfte am Stufenbarren nah dran an der absoluten Weltspitze.

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BOOTSPORT
Sieben Medaillen holten die deutschen Kanuten und damit verbandsübergreifend die meisten in Tokio. Dazu kamen drei Segelmedaillen und zwei im Rudern. Und dennoch war nicht alles Gold, was im Wasser glänzte. Die Slalomkanuten überragten mit viermal Edelmetall in vier Rennen, für die Kanurennsportler war die Ausbeute Verbandspräsident Thomas Konietzko zufolge hingegen „fast ein Desaster“. Am Ende rettete der Kajak-Vierer um Ronald Rauhe die Bilanz mit dem einzigen Olympiasieg – in Rio waren es vor fünf Jahren noch vier.

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Enttäuscht waren auch die Ruderer, die zweimal Silber einfuhren, sich im Achter aber mehr ausgerechnet hatten und in Oliver Zeidler sogar einen bitteren Favoritensturz erleben mussten. Kritik gab es deswegen an den Strukturen, es laufe im Rudern seit 60 Jahren in Deutschland alles nach dem gleichen Muster ab, wie Bundestrainer Ralf Holtmeyer meinte und eine radikalen Kurswechsel einforderte.

PFERDESPORT
Sechs Entscheidungen gab es in Tokio im Reiten, in drei davon gewannen die Deutschen. Die Dressur war wie fast immer eine deutsche Domäne mit Team– und Einzelgold für Jessica von Bredow-Werndl. Dazu wurde auch Julia Krajewski in der Vielseitigkeit Olympiasiegerin. Einzig das im Umbruch befindliche Team der Springreiter fiel ab. Auch Dennis Peiler, der Sportchef der Deutschen Reiterlichen Vereinigung zog dementsprechend ein „zufriedenes Fazit“.

RADSPORT/TRIATHLON
Auf das Straßenrennen hatte sich Maximilian Schachmann akribisch vorbereitet, doch der positive Coronatest bei Teamkollege Simon Geschke unmittelbar vor dem Start erwies sich letztlich als zu große Hypothek, auch wenn Schachmann nach Platz zehn im Ziel selbst nicht alles nur darauf schieben wollte. So wird bei den Männern nur Sportdirektor Patrick Moster mit seinen rassistischen Äußerungen beim Zeitfahren in die Annalen eingehen, Olympia war für ihn anschließend vorbei.

Das galt für Lisa Brennauer nach ihren beiden sechsten Plätzen auf der Straße noch lange nicht, sie wechselte auf die Bahn und fuhr dort im Mannschaftsvierer mit ihren Kolleginnen überragend zu Gold. Zuvor hatten schon Emma Hinze und Lea Friedrich Silber im Teamsprint geholt, zu mehr reichte es trotz dieses Superstarts für das Bahnradteam anschließend nicht mehr. Trotzdem war die Bilanz des Radsportverbandes damit insgesamt sogar noch einen Tick besser als 2016, wie in Rio blieben allerdings auch die Mountainbiker diesmal wieder hinter den Erwartungen.

Die Triathleten wiederum stellten einmal mehr unter Beweis, dass ihnen die kurzen olympischen Distanzen derzeit weitaus weniger liegen als die Ironman- Rennen, bei denen zuletzt regelmäßig deutsche Starter ganz vorn mitmischten.

Alexander Zverev schaffte im Tennis die große Überraschung.
Alexander Zverev schaffte im Tennis die große Überraschung.

© Imago

RACKETSPORT
Im Badminton kommt Deutschland nach wie vor nicht über Ansätze hinaus und bleibt auch angesichts der großen asiatischen Dominanz bei Olympia medaillenlos. Und auch mit dem Golfschläger war Deutschland in Tokio chancenlos.

Dafür sind deutsche Athleten im Tischtennis und Tennis Weltspitze. Alexander Zverev gelang die vielleicht größte olympische Überraschung mit dem Gold-Triumph im Einzel – dem ersten eines deutschen männlichen Tennisspielers überhaupt. Als er danach wieder in der Heimat gelandet war, schwebte er immer noch auf Wolke sieben und merkte erst während einer spontanen Presserunde, dass er seine Schläger am Flughafen vergessen hatte. Bei den Frauen und in den Doppeln ging anders als bei vorhergehenden Sommerspielen diesmal aber nichts.

Stark präsentierten sich auch die Tischtennisspieler, Dimitrij Ovtcharov fehlten nur ein paar Punkte zum Einzug ins Einzelfinale, er sicherte sich später aber ähnlich dramatisch noch Bronze. Mit Timo Boll und Patrick Franziska gab es in der Mannschaft Silber, die Frauen verpassten Rang drei hier knapp.

KAMPF-/KRAFTSPORT
Immerhin sechs Medaillen holten starke deutsche Frauen und Männer in Tokio. Ringerin Aline Rotter-Focken gelang der goldene Abschluss ihrer Karriere, auch Frank Stäbler und Denis Kudla waren mit ihren Bronzemedaillen glücklich. Dazu durfte im Judo dreimal über Edelmetall gejubelt werden. Angesichts von gerade einmal 20 Athleten, die beide Verbände in Japan dabei hatten, kann sich diese Bilanz sehen lassen.

Weniger gut lief es für die deutschen Karateka, bei ihren auf absehbare Zeit letzten Olympischen Spielen. Mitfavorit Jonathan Horne musste mit einer schweren Armverletzung aufgeben, sein Kumite-Kollege Noah Bitsch witterte nach seinem Aus sogar Betrug. „Wer die beiden kennt, weiß, dass der Kampf fingiert war“, sagte er mit Blick auf zwei seiner Gegner. Auch im Taekwondo war für den einzigen Deutschen Alexander Bachmann nichts zu holen.

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Von den nur drei deutschen Boxern gewann allein Ammar Abduljabbar einen Kampf, über das Viertelfinale kam aber auch der Schwergewichtler nicht hinaus.

Noch weiter weg waren die vier deutschen Gewichtheber, Nico Müller lieferte als Siebter im Mittelgewicht noch das beste Ergebnis ab.

WAFFENSPORT
Eine Medaille gab es insgesamt für deutsche Athleten, die mit Sportwaffen in der Hand in Tokio zugange waren. Während die Fechter wie schon in Rio auf ganzer Linie sportlich enttäuschten, wären die Modernen Fünfkämpfer froh gewesen, wenn es angesichts der Szenen um Annika Schleu nur dabei geblieben wäre.

Auch die Sportschützen blieben ohne zählbaren Erfolg. Christian Reitz, der im Einzel zweimal Fünfter wurde, blieb dennoch gelassen und sagte: „Viele Finalteilnahmen, keine Medaillen ist nicht gleich eine Krise.“ Schon 2012 in London war das Schießteam leer ausgegangen, in Rio folgten dann gleich drei Goldmedaillen. Und immerhin sorgten die Bogenschützinnen mit Bronze in der Mannschaft für einen Lichtblick.

TRENDSPORT
Skateboard, Klettern, Surfen, BMX, 3x3 Basketball – Olympia will moderner werden. Deutschland tut sich damit allerdings schwer und war in allen Sportarten weit weg von den Medaillen. Junge Sportler wie Skateboarderin Lilly Stoephasius machen zumindest Hoffnung, dass sich hier in Zukunft etwas ändern könnte. Die gerade 14 Jahre alte Berlinerin war in Tokio die jüngste deutsche Teilnehmerin.

MANNSCHAFTSSPORT
Nichts ging im Team bei diesen Spielen. Nicht einmal die sonst so zuverlässigen Hockey-Mannschaften konnten daran etwas ändern, dass es erstmals seit 1996 keine Teammedaille mehr gab. Die Männer verpassten als Vierte Bronze nur knapp, andere wie die Fußballer scheiterten sogar schon in der Vorrunde oder waren wie die Hallen-Volleyballer:innen gar nicht dabei.

Und selbst im Sand hatten die Deutschen in diesem Jahr auf selbigen gebaut – weder die Frauen- noch die Männerteams waren im Beachvolleyball am Ende noch dabei.

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