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Erstaunlich nachsichtig. Herthas Mannschaft wurde trotz dürftiger Leistung im Derby mit Applaus und Gesängen vom eigenen Anhang verabschiedet.

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Der Neustart wird zum Fehlstart: Hertha BSC und der Kampf gegen die eigene Geschichte

Sandro Schwarz, der neue Trainer von Hertha BSC, wehrt sich dagegen, die aktuellen Probleme in eine Reihe zu stellen mit den Problemen vor seiner Zeit.

Die Spieler von Hertha BSC, Hände in den Hüften, standen auf dem Rasen, fünf, sechs Meter vor der Torauslinie, und sie wirkten fast ein wenig eingeschüchtert von der Situation. Richtig zu verstehen schienen sie das Ganze irgendwie nicht.

Niederlagen im Derby sind eine ernste Sache. Herthas Fußballer wissen das spätestens seit dem Frühjahr, als sie im eigenen Stadion dem 1. FC Union, dem Rivalen aus der eigenen Stadt, mit 1:4 unterlegen waren. Bei der Verabschiedung von ihren Fans schlug ihnen Hass entgegen, einige Spieler mussten auf Geheiß der Ultras sogar ihre Trikots ausziehen.

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Am Samstag, diesmal in der Alten Försterei in Köpenick, war es für die Blau-Weißen aus dem Westen der Stadt ähnlich frustrierend wie im Frühjahr im Olympiastadion. „Wir waren nicht da heute“, sagte Herthas Torhüter Oliver Christensen nach der 1:3-Niederlage, bei der sich die Gäste dem 1. FC Union in allen Belangen als unterlegen erwiesen hatten.

Und doch war nach dem Abpfiff vieles anders. Herthas Spieler standen in einer Reihe vor ihren Fans. In ihrem Rücken, auf der Waldseite, wurde wie schon bei den drei Derbys zuvor, der Stadtmeister in Rot und Weiß gefeiert. Doch ein paar Meter vor ihnen wurde ebenfalls gesungen und angefeuert.

„Sensationell“ fand Trainer Sandro Schwarz die Reaktion der Fans auf einen wenig inspirierenden und noch weniger mitreißenden Auftritt seiner Mannschaft. „Wie sie nach so einem Spiel reagiert haben. Das ist ganz großer Sport.“

Bloß keine negativen Grundgedanken

Am Tag nach der Niederlage ist Schwarz gefragt worden, wie er aktuell die Stimmung rund um Hertha empfinde. „Sehr gute Frage“, antwortete er. Vermutlich weil diese Frage, obwohl die Ergebnisse etwas anderes vermuten lassen, gar nicht so leicht zu beantworten ist.

Die Situation für Hertha ist schwierig, wieder mal. Aber sie ist anders schwierig als im Frühjahr, als der Klub kurz vor dem Abstieg stand und auch sonst vieles bis alles bei Hertha in Frage gestellt wurde.

Nur nicht liegenbleiben. Kapitän Marvin Plattenhardt hilft seinen Kollegen Kempf und Uremovic auf die Beine.
Nur nicht liegenbleiben. Kapitän Marvin Plattenhardt hilft seinen Kollegen Kempf und Uremovic auf die Beine.

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Für Schwarz, der damals noch nicht als Trainer für den Klub tätig war, spielt diese Vorgeschichte keine Rolle. „Ich bin nicht der Typ, der sich mit der Vergangenheit beschäftigt und sich von negativen Grundgedanken runterziehen lässt“, sagte er. Offenbar gilt das auch für viele organisierte Fans im Stadion – selbst wenn es schwer sein mag.

„Es war ernüchternd gestern, weil wir die Kompromisslosigkeit von Union nicht mitgehen konnten“, erklärte Sportgeschäftsführer Fredi Bobic am Sonntag in der Sendung Doppelpass. „Und wenn man sich die Ergebnisse anschaut, ist es schwierig zu sagen: Da wächst was ganz Großes.“

Im Pokal hat sich die Mannschaft durch eine Niederlage gegen Eintracht Braunschweig, den Vorletzten der Zweiten Liga, bereits in der ersten Runde verabschiedet, und in die neue Saison der Bundesliga ist sie nun mit einer Niederlage im Derby gestartet.

„Wir sind nicht enttäuscht, wir sind verärgert“, sagte Trainer Schwarz am Tag danach. „Es schmerzt immer noch, selbstverständlich. Vor allem die Art und Weise, wie wir in der ersten Halbzeit aufgetreten sind.“

Hertha BSC wirkte im Derby harmlos und blutleer

Hertha hatte nur scheinbar keine Idee, wie man Unions gewohnt kompakte Defensive hätte bespielen müssen. In Wirklichkeit war die Mannschaft nicht in der Lage, die Idee ihres Trainers umzusetzen. „Wir haben Räume angezeigt, die wir belaufen, die wir besprinten müssen“, erklärte Schwarz. „Wir haben es innerlich nicht gemacht.“

So wirkte Herthas Auftritt – denkbar schlecht für ein Derby – komplett harmlos und seltsam blutleer. Eine Stunde dauerte es, bis die Gäste durch den eingewechselten Wilfried Kanga zu ihrem ersten Torschuss aus dem Spiel heraus kamen. Und das 1:3 durch Dodi Lukebakio fiel fünf Minuten vor Schluss, zu spät, um den Widerstandsgeist noch einmal zu wecken. Was Hertha künftig verbessern müsse, wurde Lukebakio gefragt. „Ein bisschen alles“, antwortete er. „Offensiv. Defensiv.“

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Trainer Schwarz hatte nach eigener Aussage zumindest genügend Dinge gesehen, an denen er nun arbeiten kann. Und muss. „Gegenseitiges Helfen, gegenseitiges Unterstützen, wenn Fehler passieren – das ist das große Thema, das wir haben“, sagte er. „Wir brauchen als Gruppe einfach eine bessere Ausstrahlung.“

Trotzdem wehrt sich Schwarz vehement dagegen, die aktuellen Probleme in eine Linie zu stellen mit den Problemen der vergangenen beiden Jahre. „Freunde, jetzt muss man schon mal aufpassen“, sagte er, als er zum wiederholten Male mit dieser Sicht der Dinge konfrontiert wurde. „Ich versteh die Frage, ich kann das nachvollziehen. Aber die Grundstimmung werden wir uns nicht abhängig machen lassen davon, wie es letztes Jahr oder vor zwei Jahren war. Wir müssen uns damit beschäftigen, was aktuell geht.“

Dass auf die Schnelle viel gehen wird, bezweifeln viele. Die Mannschaft ist noch in der Findungsphase, weitere personelle Wechsel sind wahrscheinlich, lassen womöglich aber noch bis kurz vor Ende der Transferperiode auf sich warten. Und die nächsten Aufgaben sind durchaus anspruchsvoll. Für Hertha geht es jetzt gegen Frankfurt, Gladbach und Dortmund. „Ja, wir freuen uns“, sagte Marvin Plattenhardt, der neue Kapitän.

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