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Marcel Nguyen will dabei sein – im nächsten Jahr.

© dpa

Alles verschoben: Was die Olympia-Absage für Sportler bedeutet

Die Olympischen Spiele fallen in diesem Jahr aus. Fünf Athleten berichten von geplatzten Träumen, neuen Chancen und verworfenen Familienplänen.

MARCEL NGUYEN (32, Turnen)

Für den Turner Marcel Nguyen ist mit der Verschiebung der Olympischen Spiele ins nächste Jahr kein Traum geplatzt. Vielmehr haben ihm sich dadurch neue Möglichkeiten ergeben. Er hätte gerne dieses Jahr bei Olympia geturnt, sagt er, dafür sei er zu sehr Sportler. „Aber selbstverständlich ist es für mich so aus sportlicher Sicht besser.“

Nguyen hatte sich im vergangenen Oktober schwer an der Schulter verletzt und musste operiert werden. Es wäre für ihn eng geworden, um sich für die Olympischen Spiele in Tokio in diesem Jahr zu qualifizieren oder gar dort erfolgreich abzuschneiden. Der 32-Jährige konnte im Training seine Schulter noch nicht so extrem belasten wie üblich.

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In seinem Fall besonders erschwerend hinzu kam, dass in Stuttgart sehr schnell mit dem Beginn der Coronavirus-Krise in Deutschland die Trainingshallen geschlossen wurden. Seine Kollegen und gleichsam Rivalen aus Berlin zum Beispiel konnten etwas länger in den Hallen trainieren. Um den Trainingsrückstand aufzuholen, besorgte sich Nguyen einen kleinen Barren für seine Wohnung. „Da konnte ich ein paar Drehungen und Handstände machen.“ Doch ein Ersatz für richtiges Training war dies nicht. „Insofern hätte ich bei einem Qualifikations-Wettkampf für Olympia in diesem Jahr schlechte Karten gehabt“, sagt Nguyen.

Bitter wäre das nicht nur für Nguyen selbst gewesen, sondern auch für den Deutschen Turner-Bund (DTB). Nguyen ist trotz seines für einen Profiturner hohen Alters zusammen mit Lukas Dauser immer noch der vielversprechendste Mann im DTB. 18 Mal wurde er Deutscher Meister, bei den Olympischen Spielen vor acht Jahren in London holte er im Mehrkampf und im Barren jeweils die Silbermedaille. Die nächsten Olympischen Spiele dürften der Abschluss seiner Karriere sein. Und ein bisschen was reißen will er dann schon.

So war die Absage für die Spiele 2020 für ihn eine große Erleichterung. Nun hofft Nguyen, dass die Hallen in Stuttgart Ende April wieder zugänglich sind. „Denn Turnen ohne Geräte“, sagt er, „ist wie Schwimmen ohne Wasser. Es lässt sich einfach nicht simulieren.“

Hockey-Spieler Martin Häner

Ob es Martin Häner wirklich zu den Olympischen Sommerspielen 2021 in Tokio schafft?
Ob es Martin Häner wirklich zu den Olympischen Sommerspielen 2021 in Tokio schafft?

© imago images/Sven Simon

MARTIN HÄNER (31, Hockey)

Martin Häner arbeitet als Assistenzarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie am Martin-Luther-Krankenhaus in Berlin; in seiner Doktorarbeit hat er sich dem Kreuzband gewidmet. Aber auch jenseits seines Fachgebiets verfügt er natürlich über profunde medizinische Kenntnisse. Welche Gefahr durch das Coronavirus droht, hat Häner dadurch schon ein bisschen früher erkannt als viele andere. Deshalb, so sagt er, habe er „aus medizinischer Sicht“ auch nicht damit gerechnet, dass Olympia in diesem Sommer stattfinden könne. „Als Sportler habe ich es gehofft.“

Häner, 31 Jahre alt, ist nicht nur Arzt, er ist auch Kapitän der Hockey-Nationalmannschaft, hat 259 Länderspiele bestritten, 2012 in London Olympiagold gewonnen und 2016 in Rio Bronze. Die Spiele in Tokio sollten eigentlich der Abschluss zumindest seiner internationalen Karriere sein. Doch alle Pläne sind nun hinfällig. „Ich weiß noch nicht, was ich mache“, sagt Häner. „Das ist auch nichts, was ich von heute auf morgen entscheiden kann.“

Die Ungewissheit ist ihm deutlich anzuhören – weil die Entscheidung nicht nur ihn betrifft, sondern auch seine Familie und seinen Arbeitgeber. „Die Dreifachbelastung ist schon grenzwertig“, sagt er. Im Krankenhaus arbeitet er ausschließlich im Frühdienst, von 7.30 bis 16 Uhr. Danach steht das Training an, sodass er abends frühestens um neun wieder zu Hause ist. Seinen Sohn, 13 Monate alt, sieht Häner eigentlich nur am Wochenende. Wenn er nicht fürden Berliner HC in der Bundesliga spielt.

In normalen Zeiten wäre Häner in diesem Jahr, einschließlich Olympia, an insgesamt 100 Tagen mit der Nationalmannschaft unterwegs gewesen. Das erfordert viel Disziplin und eine gute Planung. Ob sich das im kommenden Jahr einfach wiederholen lässt, das müsste er mit seinem Chef im Krankenhaus besprechen, mit Bundestrainer Kais al Saadi – und an allererster Stelle mit seiner Frau.

Viele Mitspieler aus der Nationalmannschaft sind Studenten, die meisten wollen auch bei Olympia 2021 dabei sein. Für einige Ältere wie Tobias Hauke, 32 Jahre alt, stellt sich hingegen die Frage, ob sie den Aufwand ein weiteres Mal auf sich nehmen wollen und können. Häners Berliner Teamkollege Martin Zwicker, 33, hat immerhin schon erklärt, dass er weitermachen will. Für Häner selbst steht nun auch im Beruf erst einmal ein dramatischer Einschnitt an.

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Im Martin-Luther-Krankenhaus ist die Zahl der Intensivbetten von 15 auf 28 nahezu verdoppelt worden. Komplette Stationen sind für mögliche Coronapatienten frei geräumt worden. Auch die Orthopädie ist betroffen. Statt vier OP-Sälen gibt es nur noch einen, lediglich in Notfällen wird noch operiert. Martin Häner hilft jetzt erst einmal in der Rettungsstelle aus.

Marathon-Läuferin Katharina Steinruck

Katharina Steinruck hatte die Olympia-Norm zuletzt schon zweimal unterboten. Nun muss sie neu Anlauf nehmen.
Katharina Steinruck hatte die Olympia-Norm zuletzt schon zweimal unterboten. Nun muss sie neu Anlauf nehmen.

© dpa

KATHARINA STEINRUCK (30, Leichtathletik/Marathon)

Wer auf der Marathonstrecke unterwegs ist, muss in großen Zyklen denken. Wohl und Wehe einer ganzen Saison hängen von vielleicht zwei oder drei Rennen ab. Der Rest des Jahres ist eine einzige Schinderei für diese Höhepunkte. Katharina Steinruck kennt es nicht anders. Ihre Mutter ist die frühere Weltklasse-Läuferin Katrin Dörre-Heinig, ihr Vater der renommierte Lauftrainer Wolfgang Heinig. Langfristig zu planen, das wurde ihr quasi in die Wiege gelegt.

Bis vor zwei Wochen sah der Plan so aus: Olympische Spiele im Sommer. Vielleicht noch die EM in Paris. Danach eine Pause, ein Kind bekommen, eine Familie gründen mit ihrem Mann. Und bei der EM 2022 in München dann das Comeback. „Man bereitet das lange vor“, sagt sie. „Da steckt sehr viel Arbeit, Zeit und Herzblut drin.“

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Entsprechend hart getroffen hat sie die Olympia-Verschiebung – eine Entscheidung, die eben nicht nur ihr sportliches Leben vollständig umkrempelt. „Das tat weh“, betont sie. „Das ist einfach so.“

Steinrucks Gedanken kreisten. Halten Form und Gesundheit? Die Familienplanung einfach so nach hinten verschieben? Der neue Termin wurde bekannt gegeben. Ihre Qualifikationsleistung würde Bestand haben. Das gab ihr wieder Sicherheit. Steinruck ist überzeugt, dass es auch unter veränderten Umständen geht. „Ich sehe es als Chance, mich zu verbessern“, sagt sie nun. Inzwischen hat die 30-Jährige neue, langfristige Pläne entworfen: Ein Marathon im Herbst. Einer im folgenden Frühjahr. Dann endlich Olympia. Anschließend die Pause, das Kind, die Familie. Ende 2022 wieder langsam einsteigen. Im Herbst 2023 oder Frühjahr 2024 den ersten Marathon laufen. Und dann – sind ja fast schon wieder Olympische Spiele.

Ruderer Olaf Roggensack

Olaf Roggensack galt mit dem Deutschland-Achter als Medaillenanwärter.
Olaf Roggensack galt mit dem Deutschland-Achter als Medaillenanwärter.

© promo

OLAF ROGGENSACK (22, Rudern)

Die Überraschung war groß, als Olaf Roggensack Ende Januar einen Platz im Deutschland-Achter erhielt – nur rund drei Monate, nachdem er zum erweiterten Kreis des Teams gestoßen war. Er ist mit 22 Jahren jüngster aller Ruderer im Boot und einziger, der noch nicht Weltmeister geworden ist. Der Berliner wäre sicher mit dem deutschen Flaggschiff zu Olympia gefahren und hätte sich seinen Traum erfüllt. Nun muss er sich neu bewiesen.

Die anderen Ruderer wittern die nun wieder reelle Chance, ihm seinen Platz streitig zu machen. „Natürlich bin ich frustriert. Es ist ja meine erste richtige Saison im Achter, die ich jetzt nicht fahren kann“, sagt Roggensack. Vor allem sind die Chancen auf

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„Es sitzt nicht umsonst ein Stamm an Personen im Achter, der sich seinen Platz durch gute Leistungen über Jahre verdient hat“, sagt er. Seinen ersten großen Wettkampf könnte er trotzdem noch in diesem Jahr haben. Es steht im Raum, dass die Europameisterschaft, die Anfang Juni stattfinden sollte, in den Winter verschoben wird.

Geklärt werden muss auch noch ein zweites Problem, dass sich für Roggensack aufgrund der Olympia-Verschiebung ergeben hat: Eigentlich hat er nur ein Jahr Pause von der Ausbildung bei der Bundespolizei. Die steht ihm als Kaderathlet zu. „So etwas gab es ja noch nie“, sagt Roggensack. „Durch das Jahr Pause hätte die Ausbildung ja ohnehin schon fünf statt vier Jahre gedauert – nun dürften es sechs werden.“ Allerdings steht noch nicht einmal fest, ob das Ausbildungsjahr überhaupt stattfinden kann: Der Start wurde am 1. April erst einmal auf unbestimmte Zeit verschoben.

400-Meter-Läufer Marc Koch

Marc Koch hatte via Crowdfunding schon 8000 Euro für den Olympia-Traum zusammengekratzt.
Marc Koch hatte via Crowdfunding schon 8000 Euro für den Olympia-Traum zusammengekratzt.

© picture alliance / Hendrik Schmi

MARC KOCH (25, Leichtathletik/400 Meter)

Natürlich: Olympia. „Das ist mein persönlicher Traum“, sagt Marc Koch. Aber die Vorbereitung auf den Höhepunkt seiner bisherigen Laufbahn als 400-Meter-Sprinter hat er gewissermaßen nicht nur für sich selbst absolviert, sondern ein bisschen auch für die 130 Fans, Interessierten, Bekannten und Unternehmen, die ihm bei der Erfüllung dieses Traums behilflich sein wollten. Sie hatten im Januar mehr als 8000 Euro zusammengekratzt, als Koch mithilfe eines Crowdfundings um Unterstützung bat.

Diese Summe hatte der 25-Jährige vorher wohlkalkuliert: Zehn Monate lang wollte er zwischen Berlin und Birmingham pendeln, hier sein Studium fortsetzen, in England mit der internationalen Spitze trainieren. Doppelte Miete, Reisekosten, Trainings- und Behandlungsgebühren – alles hatte der BWL-Student auf Tag und Euro genau ausgerechnet. Doch die Olympia-Verschiebung hat diese Kalkulation gründlich verpfuscht.

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„Finanziell ist das natürlich schon krass“, sagt Koch. „Das ist ein Riesenbatzen, den ich da jetzt schon investiert habe.“ Entmutigen lassen will er sich jedoch nicht, immerhin hat sich das Wichtigste bereits gefügt: Seine Wohnung in Birmingham konnte er schnell abgeben, und seine Studienpläne bleiben durch ein kurzfristiges Praktikum intakt.

Zeit und Geld laufen Koch also zumindest nicht komplett davon. Er hofft deshalb, ab Oktober einen neuen Anlauf in Birmingham starten zu können. „Das würde ich sogar als Vorteil sehen“, blickt er optimistisch voraus. „Dann würde ich sogar noch mal ein zweites Jahr auf dem Niveau trainieren.“ 130 Leuten gefällt das.

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