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Wird Trump angeklagt? Noch laufen die Anhörungen des Untersuchungsausschusses zum Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021.

© Foto: dpa

Wie ist ein Sturm auf den Bundestag zu verhindern?: Schluss mit der geistigen Brandstiftung – auch in Deutschland!

Trumps eigentliches Verbrechen ist die Propagierung eines Rechts auf Widerstand. Diese gefährliche Mär ist auch in Deutschland längst Alltag. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Der Schock über die Tat ist so groß, dass sie nach Strafe verlangt. Doch worin genau besteht das Vergehen Donald Trumps, das ein zweites Impeachment rechtfertigt? Er habe zum Sturm auf das Kapitol aufgerufen, sagen die Demokraten. Manche behaupten gar, er habe den Befehl dazu gegeben.

Hat er das? Die politische Verantwortung für den Angriff auf Amerikas Parlament liegt in der Tat beim Präsidenten. Doch es könnte schwierig werden, zu beweisen, dass Trump explizit dazu aufrief oder den Rädelsführern Anordnungen gab.

Da liegt eine Schwachstelle des Rufs nach Amtsenthebung. Ein Scheitern des Verfahrens mangels Beweisen würde ihn stärken.

Systematischer Angriff auf Institutionen der Demokratie

Sein wahres Verbrechen ist die geistige Brandstiftung: die systematische Diskreditierung der Repräsentanten und Institutionen von Demokratie und Rechtsstaats. Seit Jahren verunglimpft er Politiker, Richter, die Justiz, den demokratischen Wahlprozess so systematisch, dass sich in erschreckend vielen Köpfen der Gedanke verfestigt hat: Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht.

Donald Trump spricht vor dem Sturm auf das Kapitol zu seinen Unterstützern vor dem Weißen Haus.
Donald Trump spricht vor dem Sturm auf das Kapitol zu seinen Unterstützern vor dem Weißen Haus.

© Evan Vucci/AP/dpaa

Wäre das auch in Deutschland möglich, dass ein Mob den Bundestag oder ein Gericht angreift? Auf den ersten Blick scheint der Vergleich krass. Es gibt hier keine führenden Politiker, die ein Wahlergebnis für Betrug erklären und zu Gewalt ermuntern. Doch die Sprache der Verunglimpfung ist längst Alltag.

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Die einen reden vom „Schweinesystem“, die anderen von den „verrotteten Altparteien“. Rechte wie Linke fantasieren von einer schweigenden Mehrheit, die ähnlich denke, und dass es nur eines revolutionären Funkens bedürfe, um die morschen Machtverhältnisse umzustürzen.

Auch in Deutschland berufen sich viele auf eine höhere Moral

Alltag quer durch das politische Spektrum ist auch die Berufung auf eine höhere Moral, die es angeblich rechtfertigt, gegen demokratische Entscheidungen aufzubegehren, unter Missachtung von Recht und Gesetz - und im Extremfall unter Gefährdung der Gesundheit und des Lebens anderer.

Die Einen lehnen die Corona-Auflagen ab, andere den Umgang mit Migration und Asyl, die Kosten des Wohnens, die Klimapolitik, den Kohleabbau und neue Straßen, das Wahlrecht oder die Rechtsprechung zum Kreuz in Schulen und Kopftüchern. Schnell heißt es, Politik und Gerichte verrieten damit ein höherwertiges Gut: die Freiheit, das Überleben des Planeten, die soziale Gerechtigkeit, den Schutz Verfolgter, die Glaubensfreiheit. 

Moment mal, darf man das alles in einen Topf werfen: rechte und linke Anliegen, Corona und Klima, Asyl und Religion, gute und schlechte Motive? Der Einwand ist berechtigt, einerseits. Andererseits misst der Verfassungsschutz eine steigende Gewaltbereitschaft von immer Extremisten, rechts wie links.

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Was als legaler Protest beginnt, führt über „zivilen Ungehorsam“ und die fragwürdige Differenzierung zwischen Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Personen bis zum gezielten Angriff auf Menschen. Das lehren Mordanschläge heute auf Menschen mit Migrationshintergrund oder jüdischen Glaubens oder den Kasseler Regierungspräsidenten ebenso wie früher der Baader-Meinhof-Terror. Anschläge auf Züge, S-Bahnen, Autos und Asylbehörden, Stahlkugeln und Fäkaliencocktails gegen Polizisten führen über kurz oder lang zu Schwerverletzten und Toten.

Alle demokratischen Kräfte müssen Rechtsbruch ächten

Fast immer fängt es mit der Berufung auf ein Widerstandsrecht im Dienst einer höheren Moral an. Doch dieses angebliche Recht, sich gewaltsam gegen Entscheidungen der Demokratie und des Rechtsstaats zur Wehr zu setzen, gibt es nicht. Das Widerstandsrecht im Grundgesetz folgt der umgekehrten Logik: Es greift nur, wenn Demokratie und Rechtsstaat handlungsunfähig sind. Nur dann können Bürger sich darauf berufen. Und auch nur um Demokratie und Rechtsstaat wiederherzustellen. Und nicht um ihre Vorstellung von Richtig und Gerecht durchzusetzen.

In Trumps Amerika führte eine direkte Linie von der Verunglimpfung zum Angriff auf das Parlament. Das ist auch in Deutschland möglich. Schlimmer noch, es ist doch längst geschehen, unter braunen und roten, rechten und linken Vorwänden.

Der erste und wichtigste Schritt zur Prävention müsste sein, dass die demokratischen Kräfte die Verunglimpfung und die Mär vom Widerstandsrecht konsequent zurückzuweisen – auch dann, wenn es um Anliegen von Aktivisten geht, mit denen sie sympathisieren. Auch Strafverfolgung kann helfen, weil sie die Täter öffentlich delegitimiert. In erster Linie aber liegt die Bewahrung der Demokratie in der Verantwortung der Res Publica, ihrer Bürger, Politiker und Medien.

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