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Mit Polizeiband abgesperrter Kaufhauseingang, in dem der Mörder von Würzburg auf seine Opfer einstach.

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Was trieb den Messerstecher von Würzburg an?: Ermittler halten islamistisches Motiv für naheliegend

Warum griff der Messerstecher von Würzburg ihm völlig unbekannte Menschen an? Der Druck auf die Ermittler, eine Antwort zu geben, ist groß.

Die Polizei sucht weiterhin nach dem Motiv für die tödliche Messerattacke eines Mannes in Würzburg. Zwischenergebnisse will sie offenkundig nicht veröffentlichen, sondern die Beweise in ihrer Gesamtheit bewerten und dann schlussfolgern: War es ein islamistischer Anschlag? Oder die Tat eines psychisch Verwirrten oder gar Kranken? Oder vielleicht auch beides?

Der Somalier stach am Freitagnachmittag in der Würzburger Innenstadt auf Menschen ein, die er wohl gar nicht kannte. Drei Frauen starben, sieben Menschen wurden verletzt, darunter ein elfjähriges Mädchen. Der 24-Jährige wurde mit einem Polizeischuss gestoppt. Er sitzt in Untersuchungshaft – wegen dreifachen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung sowie vorsätzlicher Körperverletzung.

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Wie am Montag bekannt wurde, war gegen den Mann bereits einmal wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt worden: Zwischen 2015 und 2019 lebte er in Sachsen und geriet dort ins Visier der Staatsanwaltschaft Chemnitz.

Bei der Auseinandersetzung in einer Asylunterkunft Ende 2015 erlitten der heute 24-Jährige und sein Kontrahent leichte Schnittverletzungen, wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Chemnitz am Dienstag auf Anfrage sagte. Die Verletzungen seien aber nur oberflächig gewesen und hätten keiner ärztlichen Versorgung bedurft.

Bundesanwaltschaft in Karlsruhe befasste sich bereits mit Tatverdächtigen

Bei dem Streit ging es um die Benutzung eines Kühlschranks. Die Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung wurden laut Staatsanwaltschaft Anfang 2017 eingestellt, weil es den Angaben zufolge aufgrund widersprüchlicher Aussagen keinen Tatnachweis gab. Über die Ermittlungen in Sachsen berichtete am Montagabend zuerst die „Welt“, die Staatsanwaltschaft Chemnitz äußerte sich daraufhin auf Anfrage.

Wie die Münchner Ermittler mitteilten, hatte sich in diesem Jahr bereits die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe mit dem Tatverdächtigen befasst. Hintergrund sei ein Zeugenhinweis aus dem Januar gewesen, wonach der Tatverdächtige in den Jahren 2008 und 2009 für islamistische Shebab-Miliz in Somalia Zivilisten, Journalisten und Polizisten getötet haben wolle.

Mangels konkreter Tatsachen habe der Generalbundesanwalt von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen. Außerdem wäre der Somalier zum angeblichen Tatzeitpunkt elf oder zwölf Jahre alt gewesen und damit als Kind strafunmündig.

Wie die Clips im Internet vom Tattag der Messerattacke in Würzburg zeigen, versuchten Passanten, den Messerstecher aufzuhalten. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will diese couragierten Bürger nun mit der Bayerischen Rettungsmedaille auszeichnen.

Experten untersuchen gesicherte Gegenstände

„Man muss sich die Situation noch mal vorstellen. Da läuft jemand rum mit einem Messer, sticht Menschen ab, und Leute kommen mit einem Stuhl oder einem Besenstil und verhindern Schlimmeres, retten Leben und treiben den dann auch so in die Enge, dass am Ende die Polizei auch schnell zugreifen konnte“, sagte Söder der Zeitung „Welt“. „Ist schon eine tolle Leistung.“

Experten untersuchen und bewerten derweil die gesicherten Gegenstände, die in der Würzburger Obdachlosenunterkunft des Täters gefunden worden waren. Darunter sind auch zwei Handys. „Wir gehen davon aus, dass sie ihm gehören“, sagte ein Sprecher des Landeskriminalamtes in München.

Nach eigenen Angaben haben die Ermittler in der Unterkunft des Messerstechers von Würzburg bisher keine Hinweise für ein islamistisches oder extremistisches Motiv entdeckt. „Bislang sind beim Tatverdächtigen noch keine Hinweise auf Propagandamaterial oder sonstige extremistische Inhalte gefunden worden“, teilten Generalstaatsanwaltschaft München und Landeskriminalamt am Dienstag mit.

Jedoch halten sie einen islamistischen Hintergrund der Tat mittlerweile für naheliegend. Die Generalstaatsanwaltschaft München begründete dies am Dienstag mit den zweimaligen Ausrufen von „Allahu akbar“ durch den 24-jährigen Tatverdächtigen während der Tat und einem Hinweis auf den sogenannten Dschihad nach seiner Festnahme im Krankenhaus.

Markus Söder, Bayerns Ministerpräsident (CSU), nimmt an einem Gedenkgottesdienst im Kiliansdom teil.
Markus Söder, Bayerns Ministerpräsident (CSU), nimmt an einem Gedenkgottesdienst im Kiliansdom teil.

© dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Das Ermittlungsverfahren dauere an. Im Zuge dessen soll es ein psychiatrisches Gutachten geben, um zu klären, ob der 24 Jahre alte Somalier bei der Tat am Freitag schuldfähig war und in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden muss.

Denn womöglich war der Täter geistig verwirrt oder ist psychisch krank, wie Ermittler seit der Attacke immer wieder zu bedenken geben. Es wird aber auch geprüft, ob islamistische Einstellungen zur Tat beigetragen haben könnten. Landesinnenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte am Sonntagabend im „Bild live“-Talk „Die richtigen Fragen“: „Es spricht sehr viel angesichts dessen, was wir aufgefunden haben, dafür, dass es sich um eine islamistisch motivierte Tat handeln könnte.“

Der Weiße Ring zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern kündigte an, den Opfern und Angehörigen zur Seite stehen zu wollen, und startete einen Spendenaufruf. „Niemand sollte nach so einer traumatischen Erfahrung allein bleiben“, sagte der Landesvorsitzende Bayern-Nord des Vereins, Josef Wittmann. Er forderte die Öffentlichkeit auf, den Blick vor allem auf die Opfer zu richten und nicht auf den Täter.

Psychologe sieht neue Qualität von Terrorismus

Nach der Messerattacke von Würzburg warnt der Psychologe Ahmad Mansour zudem vor einer neuen Qualität des Terrorismus. Derzeit gebe es weltweit eine „Welle von sehr labilen Personen, die sich in alle Richtungen radikalisieren“, sagte er der „Welt“. Diese Menschen trügen „ideologische Züge, sind voller Hass“.

Trauerkerzen und Blumen liegen vor einem Kaufhaus in der Innenstadt, in dem ein Mann Menschen mit einem Messer attackiert hatte.
Trauerkerzen und Blumen liegen vor einem Kaufhaus in der Innenstadt, in dem ein Mann Menschen mit einem Messer attackiert hatte.

© dpa/Nicolas Armer

Sie radikalisierten sich indes nicht in bestimmten Organisationen, erklärte der Islamismus-Experte. „Terrorismus wird bei uns noch mit Gruppen von mindestens zwei, drei Personen verbunden. Wenn kein Bekennervideo und kein Hinweis auf die Kommunikation mit dem IS gefunden wurde, gehen wir in der Regel nicht von Terrorismus aus.“ Zumeist seien persönliche Krisen ein Auslöser für die Radikalisierung dieser Einzeltäter.

Die Gesellschaft brauche „ein anderes Selbstbewusstsein und eine andere Wahrnehmung für die Probleme, die wir haben. Wir wollen es ja gar nicht wahrhaben, dass es Probleme mit der politischen Einstellung und der psychischen Lage von Geflüchteten gibt“, kritisierte Mansour. So brauche es Psychotherapeuten, „die sich in den Kulturen der Geflüchteten auskennen, die wissen, was Islamismus bedeutet“.

Zudem seien Geflüchtete „ganz normale Menschen, unter denen gibt es gute und schlechte“, so der Psychologe. „Wenn jede Problematisierung gleich mit dem Vorwurf des Rassismus belegt wird, ist das fatal.“ Für eine gelingende Integration brauche es zudem „gewisse emotionale Zugänge“, einen Dialog zwischen Aufnahmegesellschaft und Migranten. Dies sei in Corona-Zeiten erschwert gewesen, gab Mansour zu bedenken. (dpa, KNA, AFP)

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