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Ein Mitarbeiter einer Covid-19-Teststation hält einen Antigentest bereit.

© dpa

Steigende Zahlen und Ende der Gratis-Tests: Deutschland geht eine riskante Corona-Wette ein

Erst wenn der letzte Hustende im Supermarkt die Maske herunterreißen darf, sind die bürgerlichen Freiheiten wieder hergestellt? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Karin Christmann

Es ist eine Frontbegradigung im Kampf zwischen dem Team Sorglos und dem Team Vorsicht: Kostenlose Corona-Bürgertests gibt es für die allermeisten Menschen ab Freitag nicht mehr. Das passt zur politischen Gesamtstrategie, keinen ernsthaften Infektionsschutz mehr zu betreiben. Erst wenn der letzte fiebrig Hustende im Supermarkt die Maske herunterreißen darf, sind die bürgerlichen Freiheiten wieder hergestellt: So lässt sich die Gemengelage – leider – zusammenfassen.

Diese Signale aus der Politik kommen bei den Menschen natürlich an. Restaurant drinnen oder Biergarten draußen? Das ist für viele keine Frage des Ansteckungsrisikos mehr, sondern des Wetters. Alle, die nicht so sorglos sein können oder wollen, ziehen sich aus dem öffentlichen Raum zurück.

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Die Pandemietoten sind – nun ja – tot, die schwer an Long Covid Erkrankten fröhnen ebenfalls nicht im Biergarten dem Müßiggang. So können die anderen sich umso leichter dem Eindruck hingeben, das alte Leben wäre zurück.

Doch das ist noch keine gesellschaftliche Befriedung, kein Aufeinanderzugehen nach härtesten Auseinandersetzungen, von dem so viel die Rede ist. Dafür bräuchte es mehr.

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Zuallererst müsste das Team Sorglos die Beißstarre lösen, die mittlerweile gegenüber dem Team Vorsicht eingesetzt hat. Beispielsweise wurde in den Berliner Schulen das regelmäßige Testen eingestellt – ein weiterer Mosaikstein im Zerrbild vermeintlicher Normalität.

Beim Abräumen der Schutzmaßnahmen gibt es kaum noch ein Halten. Das macht die Verständigung schwierig, gerade aus Sicht der Vorerkrankten, deren Lebenskreis enger und enger wird und die immer weiter in die Isolation gezwungen werden.

Zweitens bräuchte es eine Solidarität der Vernünftigen. Wer sich selbst ohne Maske im Supermarkt sicher genug fühlt, aufgrund der Impfung oder weil er gerade erst eine Infektion durchgemacht hat, möge trotzdem freiwillig eine Maske aufsetzen und so zu einer Kultur der gegenseitigen Rücksichtnahme beitragen.

Drittens müsste alles getan werden, um die Konflikte dort zu entpolitisieren, wo das möglich ist. Luftfiltergeräte etwa bringen großen Nutzen und haben keine nennenswerten Nachteile. Entsprechend sollte die Politik handeln und versuchen,

solche Angelegenheiten aus den hitzigen Debatten herauszunehmen, bei denen tatsächlich jede Seite ernst zu nehmende Argumente vorzuweisen hat – zum Beispiel wenn es darum geht, ob Kinder mit oder ohne Maske in der Schule sitzen.

[Lesen Sie auch: Unsichere Bürgertests: Welchen Corona-Abstrich benutzt Ihr Testzentrum? (T+)]

Viertens müssten Zivilgesellschaft und Politik Rückgrat zeigen und wenigstens die noch bestehenden Schutzregeln durchsetzen. Davon kann beispielsweise im öffentlichen Nahverkehr in Berlin, wo nach wie vor Maskenpflicht gilt, keine Rede sein. Dieser Appell ist nur ein Rückzugsgefecht angesichts dessen, was eigentlich nötig wäre, um die Übertragung des Virus einzudämmen. Und natürlich wird selbst dies in der pandemiemüden Gesellschaft ungehört verhallen.

Es bleibt die Frage, wie lange das gut gehen kann. Die Antwort wird immer wieder neu davon abhängen, wie es im Wettrennen zwischen Virusmutationen und Impfstoffentwicklung steht. "Jetzt ist es mal gut mit Corona": Dieser Geist wäre im Fall des Falles nur schwer wieder in die Flasche zu bekommen. Die Gesellschaft geht im Moment – bei deutlich steigenden Fallzahlen – eine riskante Wette ein.

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