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Am Mittwoch wird Joe Biden als 46. US-Präsident vereidigt.

© Kevin Lamarque/REUTERS

Trumps schwieriges Erbe: Diesen Schutt will Biden abtragen – was ab Tag 1 ansteht

Der neue US-Präsident Biden bekommt keine Schonfrist. Er will Fehler seines Vorgängers Trump zügig rückgängig machen und Neues anfangen. Ein Überblick.

Während in der Auffahrt vor dem Weißen Haus die Umzugswagen parken, wirken große Teile der Innenstadt Washingtons rund um die amerikanische Regierungszentrale immer mehr wie ein militärisches Sperrgebiet. Gepanzerte Fahrzeuge und Betonbarrieren blockieren Straßenkreuzungen, meterhohe Eisenzäune verhindern ein Durchkommen, Geschäfte, Hotels und Restaurants sind wieder verrammelt. Selbst im weiter entfernt gelegenen Stadtteil Georgetown schlossen bereits am Samstag manche Läden.

Den Verantwortlichen, allen voran Bürgermeisterin Muriel Bowser, ist es am liebsten, wenn alle Auswärtigen fernbleiben und das Leben auf den Straßen der Hauptstadt bis Donnerstag ruht, also bis zum Tag nach der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Joe Biden. Die Angst vor Anschlägen und Ausschreitungen ist wenige Tage vor dem immer als „friedlich“ gepriesenen Machtwechsel groß.

DIE SICHERHEITSLAGE

Den Anhängern von Donald Trump wird nach dem Sturm auf das Kapitol inzwischen fast alles zugetraut. Und offenbar zurecht: Am Samstag wurde in der Nähe des Kongressgebäudes ein Mann aus dem angrenzenden Bundesstaat Virginia mit einer Waffe, 500 Schuss Munition und einer gefälschten Zugangsberechtigung für Bidens Vereidigungszeremonie festgenommen. Mehr als 20.000 Nationalgardisten sollen nun kontrollieren, dass nur noch bestimmte Personen die „Green Zone“, das zentrale Sperrgebiet, betreten.

Biden ist bei weitem nicht der erste designierte Präsident, dessen Leben rund um die Inauguration als besonders gefährdet eingestuft wird. Bei Barack Obama, dem ersten schwarzen Präsidenten, waren die Sorgen ebenfalls riesig. Und auch bei früheren Amtseinführungen herrschten strenge Sicherheitsvorkehrungen. Aber dieses Mal ist die Anspannung besonders hoch. Biden selbst erklärte, er fühle sich mit Blick auf Mittwoch gut geschützt.

DIE AUSGANGSLAGE

Da sich um seine Sicherheit andere kümmern, kann der President-elect zusammen mit seiner designierten Vizepräsidentin Kamala Harris weiter an seinem Programm feilen – für die ersten 100 Tage und für die kommenden vier Jahre. Das unmittelbare Ziel: die schlimmsten Auswüchse von vier chaotischen Trump-Jahren rasch zu beseitigen.

Ihr Start wird allerdings gleich durch mehrere Herausforderungen erschwert: Schon die eigentlich für eine reibungslose Einarbeitung der neuen Regierung gedachte Übergangsphase hat der nur widerwillig scheidende Präsident teilweise blockiert. Außerdem hat Trump große Teile der Republikanischen Partei gegen seinen Nachfolger aufgebracht, der eigentlich darauf setzt, wo immer möglich parteiübergreifend zu regieren.

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Und: Schon bald könnte das Impeachment-Verfahren gegen Trump im Senat beginnen, von dem viele fürchten, dass es eher spaltend als versöhnend wirkt – und damit Bidens ehrgeizige Agenda bremsen könnte.

Dazu kommen die Corona-Pandemie mit derzeit mehr als 200.000 Neuinfektionen am Tag und seit Beginn der Krise fast 400.000 Toten sowie ihre gravierenden wirtschaftlichen Folgen. Auch ansonsten hinterlässt Trump seinem Nachfolger zahlreiche innen- und außenpolitische Groß-Baustellen, die gleich von Beginn an Bidens volle Aufmerksamkeit verlangen.

Eine Schonfrist kann der mit 78 Jahren älteste US-Präsident aller Zeiten nicht erwarten. Da Biden auf jahrzehntelange politische Erfahrung – im Senat und als Vizepräsident Obamas – zurückgreifen kann und zudem ein sehr erfahrenes Team zusammenstellt, spricht vieles dafür, dass er darauf zumindest nicht bauen muss.

DER NEUSTART

Am Wochenende hat der Demokrat ein Zehn-Tage-Programm vorgelegt, mit dem er „vier sich überschneidende und gegenseitig verstärkende Krisen“ bekämpfen will: die Pandemie, die Wirtschaftskrise, den Klimawandel sowie die Diskriminierung ethnischer Minderheiten. Dafür werde er direkt nach seiner Vereidigung „rund ein Dutzend“ Verordnungen unterschreiben, wie aus einem am Samstag veröffentlichten Memorandum seines künftigen Stabschefs Ronald Klain hervorgeht.

Bereits angekündigt hat Biden, dass er die USA „an Tag eins“ zurück ins Pariser Klimaabkommen führen wolle. Auch soll der Einreisestopp für Bürger aus muslimisch geprägten Ländern schnellstmöglich rückgängig gemacht werden, und ehemalige Studenten sollen weiter damit warten können, ihre teils enormen Studiengebühren zurückzahlen zu müssen.

DIE CORONA-PANDEMIE

Als oberste Priorität sieht Biden aber den Kampf gegen die Pandemie. Klain bestätigte, dass Biden unmittelbar nach der Vereidigung eine zunächst für 100 Tage geltende Maskenpflicht für Orte anordnen wird, die in die Zuständigkeit der Bundesregierung fallen, also zum Beispiel Regierungsgebäude.

Außerdem soll das Tempo der Corona-Impfungen im Land deutlich beschleunigt werden. Das kündigte Biden am Freitag an. Unter anderem soll die Katastrophenschutzbehörde Fema beim Aufbau von Impfzentren helfen, und mobile Impfstationen sollen in entlegene Gebiete geschickt werden.

Biden will auch die Apotheken im Land einbinden, um Impfungen vorzunehmen. Außerdem sollen schon früher als geplant weitere Bevölkerungsgruppen geimpft werden. Innerhalb der ersten 100 Tage nach Bidens Amtsantritt sollen demnach mindestens 100 Millionen Impfdosen verabreicht werden.

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Am Donnerstag, dem Tag nach der Vereidigung, werde Biden mehrere Erlasse („executive orders“) für den Umgang mit der Coronakrise unterschreiben, bei denen es unter anderem darum gehen soll, wie Schulen und Unternehmen in absehbarer Zeit sicher wieder aufmachen können, schrieb Klain.

Am Freitag werde Biden zudem die zuständigen Behörden anordnen, von der wirtschaftlichen Krise besonders betroffene Familien zu unterstützen. Bereits angekündigt hat Biden in diesem Zusammenhang ein neues Hilfsprogramm im Umfang von 1,9 Billionen Dollar (knapp 1,6 Billionen Euro). Unter anderem will er im Dezember beschlossene Einmalzahlungen an Steuerzahler von 600 Dollar auf 2000 Dollar aufstocken. Die im vergangenen Jahr vom Kongress auf den Weg gebrachten Hilfspakete, zuletzt wurde im Dezember ein Programm von 900 Milliarden Dollar beschlossen, reichen Experten zufolge bei weitem nicht aus.

WEITERE PRIORITÄTEN

In den Tagen danach werde es prioritär um den Klimaschutz, eine Strafrechtsreform, die Ausweitung der Gesundheitsfürsorge sowie eine Reform der Einwanderungsgesetze gehen, heißt es in dem Memorandum weiter. Unter anderem sollen unter der Trump-Regierung an der amerikanischen Südgrenze getrennte Familien wieder zusammengeführt werden. Mittelfristig will Biden zudem den elf Millionen Migranten, die seit Jahren ohne Aufenthaltsgenehmigung in den Vereinigten Staaten leben („Dreamer“), die Einbürgerung ermöglichen. Auch Trumps Mauer wird er nicht weiterbauen.

US-WIRTSCHAFT UND KLIMASCHUTZ

Das Motto lautet „Build Back Better“: Ziel der Biden-Regierung ist es, die leidende amerikanische Wirtschaft nach dem Ende der Pandemie auf lange Sicht zu stärken, notfalls auch mit protektionistischen Maßnahmen. Geplant sind bereits massive Investitionen in die heimische Industrieproduktion, in Forschung und Entwicklung und in die Infrastruktur.

Dabei sollen erneuerbare Energien ausgebaut werden, wovon sich die neue Regierung Millionen Jobs verspricht. Auch mit strengeren Emissionsregeln soll das Ziel erreicht werden, dass die USA bis spätestens 2050 klimaneutral wirtschaften.

Biden will außerdem den Mindestlohn auf 15 Dollar pro Stunde anheben. Zur Finanzierung der zusätzlichen Ausgaben sollen Superreiche und Großkonzerne künftig über höhere Steuern stärker beteiligt werden.

AMERIKAS FÜHRUNGSROLLE

In seinem Schreiben kündigt der designierte Stabschef auch an, was viele in der Welt von der neuen US-Regierung erwarten: Biden werde zeigen, „dass Amerika zurück ist, und Maßnahmen ergreifen, um Amerikas Platz in der Welt wiederzuerlangen“.

Nach vier Jahren „America First“ hoffen vor allem die leidgeprüften Verbündeten in der Europäischen Union und der Nato auf einen neuen Umgangston und multilaterale Impulse. Biden hat versprochen, verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen und wieder stärker auf internationale Kooperation zu setzen.

So will er neben dem Klimavertrag auch weiteren von Trump gekündigten Abkommen wieder beitreten und amerikanische Außenpolitik generell verlässlicher gestalten. Seine außenpolitische Führungsmannschaft um den künftigen Außenminister Antony Blinken gilt als erfahren, gut vernetzt und sehr europafreundlich.

Gleichzeitig wird aber auch erwartet, dass die neue Regierung den Druck auf die Partner im Westen erhöhen wird, angesichts der zunehmenden Herausforderung durch rivalisierende Systeme etwa in China oder Russland stärker eine gemeinsame Linie zu verfolgen. Beim Umgang mit dem Iran ist Biden offen für eine Rückkehr zum internationalen Atomabkommen, aber nur, wenn Teheran neue Auflagen erhält.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version war versehentlich die Rede von fast vier Millionen Corona-Toten in den USA. Diese Zahl war falsch. Es sind fast 400.000. Wir haben die Angabe korrigiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen!

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