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Wessen Koffer in welchem Flur? In Berlin scheut man sich vor einen Transparenzregister, wie es das jetzt in Brüssel gibt.

© Kai-Uwe Heinrich/TSP

Neues Transparenzregister: Lobbyisten arbeiten in Berlin weiter im Verborgenen - in Brüssel nicht mehr

Wer wo Einfluss nimmt, wird in der EU künftig transparent gemacht. Sogar der sonst so diskrete Rat macht mit. Anders läuft es in Berlin. Ein Gastbeitrag.

Katarina Barley (SPD) ist Vizepräsidentin des Europaparlaments, Michael Roth ist Staatsminister für Europa (ebenfalls SPD)

Ein undurchsichtiger Koloss, eine technokratische Mühle, ein bürgerferner Institutionendschungel, in dem Entscheidungen in intransparenter Weise ausgeklüngelt werden. An solchen Zerrbildern von der Europäischen Union und ihren Institutionen mangelt es wahrlich nicht. Bei aller Kritik an den bisweilen verschlungenen Brüsseler Entscheidungswegen muss sich die EU den Vorwurf der Intransparenz nicht gefallen lassen.

Denn zum einen gelten genauso wie auf nationaler Ebene umfassende Rechtfertigungspflichten der Exekutive – also der Kommission und des Rates – gegenüber dem Europäischen Parlament. Zum anderen geht die EU in Sachen Lobbytransparenz seit Jahren entschlossen voran und dabei über die Regelungen in den Mitgliedstaaten hinaus. Die Brüsseler Offenheit könnte sogar zur Blaupause nationalstaatlichen Handelns werden.

Aber ist Brüssel denn nicht die europäische „Lobby-Hauptstadt“? Es stimmt, dass in der europäischen Kapitale so viele Lobbyistinnen und Lobbyisten nach Einfluss auf politische Entscheidungen trachten wie wohl sonst nur in Washington. Das gemeinsame Transparenzregister von EU-Kommission und Parlament zählt derzeit rund 12 000 Organisationen, die sich der Interessenvertretung widmen.

Die Registrierten sind nach Art der Organisation, aber auch nach der Höhe ihrer finanziellen Ausstattung aufgeschlüsselt. Dazu zählen nicht nur die "klassischen" Unternehmensvertretungen, sondern auch eine Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen, Think Tanks und Repräsentanzen von lokalen Körperschaften wie beispielsweise Regionalverbände.

Dass es überhaupt so ein umfangreiches Bild gibt, ist ein Alleinstellungsmerkmal der EU. Denn im Vergleich dazu hinken viele Mitgliedstaaten hinterher: Im Bundestag gibt es beispielsweise lediglich eine 1972 eingeführte Liste, in der Verbände aufgeführt sind, die Interessen gegenüber Parlament oder Bundesregierung vertreten. Während sich die Art und Weise, wie Politik gemacht und auf politische Entscheidungen Einfluss genommen wird, in den vergangenen 40 Jahren rasant verändert hat, ist das Register ein Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert geblieben.

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Mit der Registrierung sind für die Verbände keinerlei Rechte und Pflichten verbunden. Die SPD will das ändern und endlich ein verpflichtendes Lobbyregister mit einem Verhaltenskodex einführen. Bisher scheiterte das am Widerstand von CDU und CSU - auch wenn der Fall Philipp Amthor kurzzeitig Bewegung bei den Konservativen hervorgerufen hat.

Anders als im Bundestag gibt es in Brüssel Parlaments-Zugangspässe für Lobbyistinnen und Lobbyisten nur nach einer Eintragung im Register. Abgeordnete, die als Berichterstatter oder Berichterstatterinnen für Gesetzesvorhaben arbeiten, müssen Lobby-Treffen veröffentlichen. Auch in der Kommission gilt: Ein Treffen mit Mitgliedern und hochrangigen Mitarbeitenden der Kommission gibt es nur mit Registrierung.

Die Eintragung ins Lobbyregister ist kein Makel

Deshalb gilt eine Eintragung in das Lobbyregister nicht als Makel, sondern als notwendiger Schritt, wenn man seine Interessen vertreten möchte. Dafür nehmen Lobbyistinnen und Lobbyisten in Kauf, dass sie Einblick in ihre Aktivitäten geben müssen. Der Blick nach Brüssel zeigt: Mehr Transparenz ist möglich und schafft auch Vertrauen.

Die Vertretung von Interessen gegenüber der Politik ist per se nichts Schlechtes. Im Gegenteil: Politische Entscheidungen werden nicht im luftleeren Raum getroffen. Es ist wichtig, dass von europäischer Gesetzgebung Betroffene ihre Interessen bündeln und artikulieren. Das geschieht über Unternehmen, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände, aber eben auch Initiativen und Nichtregierungsorganisationen. Allerdings muss klar ersichtlich sein, wer seine Interessen wie vertritt und an welcher Stelle Einfluss nimmt.

Jetzt macht auch der Rat mit, der bisher lieber diskret verhandelte

Das gemeinsame Transparenzregister von Kommission und Parlament gibt es schon seit 2011. Aber die EU hat jetzt bei der öffentlichen Kontrolle einen Riesenschritt nach vorne gemacht: Es wird künftig für die drei EU-Organe – Kommission, Parlament und Rat – ein Transparenzregister geben. Mit erfolgreicher Vermittlung durch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ist nun endlich auch der Rat an Bord. Das ist ein echter Meilenstein.

Bislang war der Rat gewissermaßen die Black Box Brüssels. Das liegt auch in der Natur der Sache: Im Rat kommen Vertreterinnen und Vertreter der Mitgliedstaaten zusammen. Und die Diplomatie ist traditionell ein eher verschwiegenes Geschäft. Manchmal gelingt der große Durchbruch erst nach intensiver, vertraulicher Vorbereitung. Den Besonderheiten jeder der drei Institutionen wird mit dem neuen Register gebührend Rechnung getragen.

Allerdings wird künftig auch für den Rat und insbesondere für die amtierende Ratspräsidentschaft gelten: Wer von außen Einfluss auf die Entscheidungsfindung nimmt, wird öffentlich einsehbar sein. Eine solche Transparenzgesetzgebung für Legislative und Exekutive sucht auf Ebene der Mitgliedstaaten noch ihresgleichen.

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Auch hinsichtlich der Prüfung von Lobbyistinnen und Lobbyisten wurden deutliche Verbesserungen auf den Weg gebracht. Vor der Eintragung in das Lobbyregister bedarf es fortan noch ausführlicherer Angaben, die das gemeinsame Sekretariat dann überprüft. Auch der finanzielle Umfang des Lobbyings und das betroffene Vorhaben müssen klar benannt werden. Die Angaben des Registers werden jährlich überprüft und wesentliche Erhöhungen eingesetzter Beträge angezeigt. Möglich sind schließlich auch Sanktionen bis hin zum Entzug des Eintrags.

Doch nicht nur auf Ebene der Lobbytransparenz schreitet die EU entschlossen voran und wird zum Vorreiter. Auch ihre Parlamentskultur entwickelt sich fortwährend weiter. Jetzt sollten wir die anstehende Konferenz zur Zukunft Europas als Chance begreifen, um die europäische Gesetzgebung noch demokratischer und transparenter zu machen.

Europa entwickelt sich weiter - und die Bürger sollen mitdiskutieren

Es gibt viel zu diskutieren. Das vereinte Europa ist ein lebendiger Prozess, es entwickelt sich ständig weiter – aber nicht in den Hinterzimmern, sondern vor unser aller Augen und mit tatkräftiger Unterstützung seiner Bürgerinnen und Bürger.

Doch nicht nur auf Ebene der Lobbytransparenz schreitet die EU entschlossen voran und wird zum Vorreiter. Auch ihre Parlamentskultur entwickelt sich fortwährend weiter. Anders als es uns manches Zerrbild weismachen will, ist die EU am Ende des Jahres 2020 alles andere als intransparent, technokratisch oder bürgerfern. Und mit der im Jahr 2021 anstehenden Konferenz zur Zukunft Europas geht die EU bereits den nächsten Schritt: Dann sollen die Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam mit den unterschiedlichen Institutionen der EU darüber diskutieren, wie sich Europa noch besser und demokratischer für die Zukunft aufstellen kann. Wir brauchen eine breit angelegte, inklusive und transparente Debatte, bei der sich möglichst viele Europäerinnen und Europäer beteiligen - und dabei kein Blatt vor den Mund nehmen. Es gibt viel zu bereden. Klar ist jedenfalls: Auch über unsere gemeinsame europäische Zukunft wird nicht im Brüsseler Hinterzimmer entschieden.

Katarina Barley, Michael Roth

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