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Eine schwedische Soldatin bei einem Manöver im Mai 2021.

© Adam Ihse/TT/dpa

Nach Russlands Invasion in der Ukraine: Wachsende Mehrheit in Schweden für Beitritt zur Nato

Jahrzehntelang gehörte Bündnisfreiheit zu den Grundpfeilern schwedischer Außenpolitik. Immer mehr im Land sind wie in Finnland aber nun für einen Nato-Beitritt.

Kommt nach der Nato-Osterweiterung jetzt schon bald die Nord-Erweiterung, werden die EU-Staaten Schweden und Finnland nun auch neue Mitglieder der Militärallianz? Immer mehr Menschen in den beiden nordischen Ländern sind jedenfalls dafür. So ist in Schweden die zweite Woche in Folge eine Mehrheit für eine Mitgliedschaft. Dies zeigte am Samstag eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Novus, über die der öffentlich-rechtliche Sender SVT berichtet.

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Demnach sprechen sich jetzt 54 Prozent der Schwedinnen und Schweden dafür aus, dem Militärbündnis beizutreten – vor einer Woche waren es 51 Prozent. Rund ein Viertel (24 Prozent) ist dagegen. Auch Umfragen anderer Institute hatten zuletzt eine Mehrheit für einen Nato-Beitritt ergeben.

Schweden mit seinen rund 10,2 Millionen Einwohnern ist wie Finnland bereits ein enger Nato-Partner, aber kein Mitglied. Für beide Staaten gehörten Bündnisfreiheit und militärische Unabhängigkeit jahrzehntelang zu den Pfeilern ihrer Außenpolitik. Nach der vom russischen Präsidenten Wladimir Putin befohlenen Invasion in der Ukraine deutet aber nun viel daraufhin, dass beide Länder anstreben, sich gleich und in etwa gleichzeitig für oder gegen eine Nato-Mitgliedschaft zu entscheiden.

Hinsichtlich der laufenden Prozesse sei es sehr wichtig, dass die beiden Länder Entscheidungen „in die gleiche Richtung und im gleichen Zeitrahmen“ treffen, sagte der finnische Außenminister Pekka Haavisto am Freitag nach einem Treffen mit seiner schwedischen Kollegin Ann Linde in Helsinki. Natürlich werde die Unabhängigkeit der jeweiligen Entscheidungsfindung dabei vollständig respektiert.

Der finnische Präsident Sauli Niinistö kündigte am Samstag an, schon bald seinen eigenen Standpunkt bekanntzugeben. Er habe vor, seine Nato-Position spätestens am 12. Mai zu präsentieren, sagte Niinistö in einem Interview der Zeitung „Ilta-Sanomat“. An dem Tag tagen die finnischen Parlamentsfraktionen. Zwei Tage danach beabsichtigt auch die sozialdemokratische Partei von Ministerpräsidentin Sanna Marin, ihren Standpunkt darzulegen. Einen Entschluss zu einem möglichen finnischen Nato-Antrag treffen der Präsident und die Regierung letztlich gemeinsam.

In Finnland hat sich seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine die Zustimmung zu einem Nato-Beitritt in Umfragen auf rund 60 Prozent verdoppelt. Das nordische Land mit seinen 5,5 Millionen Einwohnern teilt sich Russland eine gut 1300 Kilometer lange Grenze.

Schwedens Außenministerin Linde wies auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Haavisto darauf hin, dass sich die beiden engen Partner dauerhaft über ihre sicherheitspolitischen Überprüfungen im Zuge des Ukraine-Kriegs auf dem Laufenden hielten. Einen Beschluss in der Nato-Frage habe man in Schweden noch nicht gefasst, bekräftigte sie. Über den laufenden Prozess informiere man EU- wie Nato-Länder sowie andere Staaten, sagte Haavisto.

Die Ministerpräsidentinnen von Schweden und Finnland: Magdalena Andersson (l.) und Sanna Marin.
Die Ministerpräsidentinnen von Schweden und Finnland: Magdalena Andersson (l.) und Sanna Marin.

© Paul Wennerholm/TT News Agency/Reuters

In zwei Wochen schon könnte in der Frage mehr Klarheit herrschen: Am 13. Mai wird in Schweden eine sicherheitspolitische Analyse vorgelegt, die sich auch mit der Nato-Frage beschäftigen wird. Schwedens sozialdemokratische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson war bisher eine Verfechterin der Bündnisfreiheit. Ende März erklärte sie dann aber, sie schließe einen Beitritt zur Nato keineswegs aus.

Die oppositionelle schwedische Linkspartei fordert allerdings zuvor die Bevölkerung zu befragen. Da eine solch wichtige Entscheidung breiten Rückhalt benötige, sollte es darüber eine Volksabstimmung geben, ob Schweden dem Militärbündnis beitreten sollte oder nicht, forderte Vänsterpartiet-Chefin Nooshi Dadgostar gerade im schwedischen Radio.

Angesichts einer seit über 200 Jahren geltenden Tradition der Bündnisfreiheit, die das Land von Kriegen ferngehalten habe, handle es sich um eine äußerst große Frage.

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Die Linke ist nach wie vor gegen einen Nato-Beitritt, unter anderem, da das Bündnis über Atomwaffen verfügt. Keine andere Parlamentspartei in Schweden fordert derzeit eine Volksabstimmung in dieser Frage. Unter anderem wegen Zeitdrucks und der Gefahr einer russischen Beeinflussung halten es Experten im Land für unwahrscheinlich, dass es ein solches Referendum geben wird.

Ein Aspekt ist außerdem, dass die regierenden Sozialdemokraten die Nato-Frage vor der nächsten Parlamentswahl im September gerne vom Tisch haben wollen.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat Schweden und Finnland eine zügige Aufnahme quasi bereits zugesichert. „Wenn sie einen Antrag stellen, werden Finnland und Schweden mit offenen Armen in der Nato empfangen“, sagte er am Donnerstag bei einem Besuch im Europaparlament in Brüssel.

Schwedischen Medienberichten zufolge könnten beide Länder ihr Beitrittsgesuch womöglich schon Mitte Mai bei der Nato einreichen. Darüber könnten dann theoretisch die Staats- und Regierungschefs der 30 Nato-Länder auf ihrem Gipfel in Madrid Ende Juni beraten. Stoltenberg wiederholte, eine Mitgliedschaft sei dann „schnell“ möglich.

Beide Länder seien Demokratien und ihre Streitkräfte entsprächen den Nato-Standards. Zudem habe es in den vergangenen Jahren zahlreiche gemeinsame Manöver gegeben.

Auf einen Antrag folgt normalerweise der sogenannte Aktionsplan für die Mitgliedschaft (Membership Action Plan), der die genauen Schritte festlegt. Der Nato-Beistandsartikel 5, der allen Mitgliedsländern im Falle eines Angriffs Schutz zusichert, gilt nur für Vollmitglieder der Allianz. Stoltenberg sagte, für die Übergangszeit müssten „Vereinbarungen“ gefunden werden.

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Am Ende müssen dann alle 30 Nato-Länder zustimmen. Die großen Mitglieder signalisierten bereits offensiv ihre Bereitschaft zur Aufnahme, darunter die USA, Frankreich, Deutschland und die Türkei.

Verstimmung gab es allerdings gerade über eine Reaktion aus Kroatien. Zoran Milanović, seit 2020 Präsident des Nato- und EU-Mitglieds, stellte den Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens infrage. Erst wenn EU und Nato das „Wahlgesetz in Bosnien und Herzegowina“ zugunsten der kroatischen Volksgruppe ändere, könne er grünes Licht für den Beitritt der beiden Länder geben.

Zwar kassierte die Regierung von Premierminister Andrej Plenković diese Aussage sofort wieder ein, doch in Stockholm und Helsinki bleibt Unsicherheit, was auch daran liegt, dass man mit dem gerade wiedergewählten ungarischen Präsidenten Viktor Orban, der unverhohlen mit Putin sympathisiert, einen zweiten Risikofaktor ausgemacht hat.

Russland hat beiden Länder wiederholt mit schwerwiegenden Konsequenzen gedroht, sollten sie der Allianz beitreten. Für den Fall eines Beitritts von Finnland und Schweden zur Nato kündigte Moskau eine „neue Ausbalancierung der Lage“ mit eigenen Maßnahmen an.

„Wir müssten unsere Westflanke im Hinblick auf die Gewährleistung unserer Sicherheit“ aufwändiger gestalten, sagt der Sprecher des russischen Präsidialamts, Dmitri Peskow, dem britischen Sender Sky News Ende der ersten April-Woche. Als Bedrohung der eigenen Existenz würde Moskau einen Beitritt der beiden Staaten allerdings nicht sehen (mit Agenturen).

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