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Renate Künast setzt sich seit Jahren gegen Hass im Netz ein.

© imago images/Future Image

Update

Künast erringt Sieg in Karlsruhe: Facebook muss Renate Künast Daten von Hetzern geben

Als Politikerin müsse sie manche Schmähung aushalten, sagten Berliner Richter der Grünen Renate Künast. Das Verfassungsgericht ist nun anderer Ansicht.

Die Kommentare, die im Jahr 2019 über die Grünen-Bundestags-Abgeordnete Renate Künast bei Facebook kursierten, waren heftig: Als„Drecksfotze“ wurde sie bezeichnet, als „Pädophilietrulla“, „Schlampe“, „Stück Scheisse“.

Mit einer Klage wollte Künast erreichen, dass Facebook verpflichtet wird, Daten von Nutzerinnen und Nutzern, die sie im Internet beleidigt hatten, an sie herauszugeben.

Dank eines richtungsweisenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe wird die Politikerin am Ende nun voraussichtlich Recht bekommen. Das hat sie vor allem ihrem langen Atem zu verdanken.

Bei zwei Berliner Gerichten scheiterte sie mit ihrer Klage, nun stärkte das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung Politikern wie der Grünen-Bundestagsabgeordneten Renate Künast im Kampf gegen wüste Beschimpfungen im Netz den Rücken.

Die Karlsruher Richterinnen und Richter gaben einer Verfassungsbeschwerde Künasts statt und hoben mehrere Entscheidungen der Berliner Zivilgerichte auf. Diese hatten verschiedene Hasskommentare auf Facebook nicht als Beleidigungen gewertet. Das verletze die Klägerin in ihrer persönlichen Ehre, teilte nun das höchste Gericht mit. (Az. 1 BvR 1073/20)

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Der Schutz der Meinungsfreiheit diene besonders der Machtkritik, betonten die Richter. Bei öffentlicher Verächtlichmachung oder Hetze gerade im Netz setze die Verfassung aber gegenüber allen Personen Grenzen - Politiker und Amtsträger eingeschlossen. Das sei auch im öffentlichen Interesse: „Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist.“

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Auslöser der Hasskommentare war die 2015 aufgekommene Debatte über die Haltung der Grünen zur Pädophilie in den 1980er Jahren. Ein rechter Netzaktivist hatte einen Zwischenruf Künasts im Berliner Abgeordnetenhaus aus dem Jahr 1986 zunächst in seinem Blog und dann Anfang 2019 auf seiner Facebook-Seite verfälscht zitiert.

Etliche Nutzer reagierten mit massiven Beleidigungen der Politikerin - darunter waren auch Vergewaltigungswünsche. Künast will von Facebook die Daten der verantwortlichen Nutzer, um gegen diese juristisch vorgehen zu können. Es geht um 22 Kommentare.

Landgericht hatte zunächst keine Beleidigungen gesehen

Der Fall hatte auch deshalb für Aufsehen gesorgt, weil ihr das Berliner Landgericht die notwendige gerichtliche Anordnung zunächst komplett verweigert hatte. Das Landgericht Berlin befand unter anderem, dass die Politikerin diese wüsten Beschimpfungen qua Amt hinnehmen müsse. Künast habe mit ihrer Äußerung im Abgeordnetenhaus Widerstand aus der Bevölkerung provoziert, entschied die zuständige Kammer im September 2019.

Weil sie sich zu Pädophilie, einem sexualisierten Thema, geäußert habe, müsse sie auch sexualisierte Äußerungen hinnehmen. Wörtlich heißt es im damaligen Beschluss: „Als Politikerin muss die Betroffene sodann in stärkerem Maße Kritik hinnehmen, so dass Facebook-Kommentare wie „Schlampe“, „Drecks Fotze“, „Sondermüll“, „Geisteskranke“, „Alte perverse Drecksau“, „Pädophilen-Trulla“ wegen des immer noch vorhandenen Sachbezugs zu der Äußerung keine Beleidigung darstellen.“

Später hatte sich die Kammer auf Beschwerde Künasts korrigiert und immerhin sechs Kommentare als Beleidigung eingestuft. Das Berliner Kammergericht hatte dies auf zwölf Kommentare ausgeweitet.

Beschimpfungen müssen nun neu geprüft werden

Solche Äußerungen wie „kranke Frau“ oder „Gehirn Amputiert“ gehörten jedoch nicht dazu, diese seien zwar ungehörig, überzogen, respekt-und distanzlos, seien jedoch ein Teil der politischen Meinungsbildung und daher von einer Politikerin auszuhalten.

In Karlsruhe ging es noch um die übrigen zehn Kommentare. Die Fachgerichte hätten die erforderliche Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht unterlassen, teilten die Verfassungsrichter mit. Das Kammergericht habe fälschlicherweise angenommen, „eine strafrechtliche Relevanz erreiche eine Äußerung erst dann, wenn ihr diffamierender Gehalt so erheblich sei, dass sie in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheine“. Die Beschimpfungen müssen nun neu geprüft werden, dabei sind die Vorgaben aus Karlsruhe zu beherzigen.

Mit diesem Sieg hat Renate Künast, die mittlerweile an mehreren Stellen mit juristischen Mitteln für den Schutz der Persönlichkeit im Netz kämpft, einen großen Erfolg errungen. „Heute ist ein Stück Rechtsgeschichte im digitalen Zeitalter geschrieben worden“, sagte Künast dem Tagesspiegel. „Diese Entscheidung wird Auswirkungen für sehr viele Menschen haben, die sich im Land engagieren und hate speech - teilweise sogar organisiert - ausgesetzt sind.“

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts freue sie sehr. „Hier wurde bekräftigt, dass es ein öffentliches Interesse gibt, die Persönlichkeitsrechte derer, die sich für das Land engagieren, zu schützen.“ Auch die Fachgerichte seien nun ausdrücklich zu einer sehr konkreten Abwägung im Einzelfall verpflichtet.

„Heute ist ein Stück Rechtsgeschichte geschrieben worden“

Ein Urteil des Bundesverfassungsgericht in dieser Konstellation ist bislang einzigartig, es ist das erste Mal, dass in Karlsruhe über Kommentarspalten im Internet entschieden wurde. Die Marschroute ist klar: Zurückhaltung und Respekt sind auch bei Texten in den sozialen Medien zu erwarten. Ob eine Äußerung beleidigende Wirkung hat, ist laut Bundesverfassungsgericht auch ins Verhältnis zu der Reichweite und ihrer jederzeitigen Wiederholung zu setzen.

Auch sei die Schutzwürdigung als geringer zu erachten, wenn es bei Kommentaren nicht um einen Beitrag zur öffentlichen Meinung gehe, sondern um reine Stimmungsmache, wie im Fall Künast.

Josephine Ballon von Hateaid, einer Beratungsstelle für Opfer von Hass im Netz, bezeichnet die Entscheidung im Gespräch mit dem Tagesspiegel als wegweisend. „Fachgerichte sind von nun an gezwungen, in derartigen Fällen eine ordentliche Abwägung vorzunehmen, auch wenn das oft juristisch komplex ist und mit viel Schreibarbeit einhergeht.“

Bislang seien Gerichte oft überfordert gewesen, auch weil es keine neuere Rechtsprechung zu Hatespeech im Netz gegeben habe. Ballon ist sich sicher, dass es so lapidare Entscheidungen wie die des Landgerichts Berlin im Fall Künast in Zukunft nicht mehr geben werde. „Zum Glück. Denn viele Betroffene fühlen sich von den Gerichten nicht ernst genommen, das erschreckende Urteil von damals hängt ihnen immer noch nach. Auch für sie ist die Entscheidung aus Karlsruhe ein sehr wichtiges Signal.“

Grünen-Politikerin Renate Künast (Archivbild vom März 2021)
Grünen-Politikerin Renate Künast (Archivbild vom März 2021)

© dpa/Annette Riedl

Die Zahl derer, die sich wegen Beschimpfungen im Netz an Hateaid wenden, steige von Woche zu Woche. „Vor allem seit Beginn der Pandemie geht es steil bergauf.“ Unmittelbar wirke sich das Urteil sogar auf unsere Demokratie aus, meint Josephine Ballon.

„Das Bundesverfassungsgericht hat ganz klar gesagt, dass Bezeichnungen wie `Drecksfotze` kein Teil eines politischen Meinungskampfes sind und auch Politiker:innen schützenswert sind. Das ist wichtig, denn sonst stellt sich für solche Ämter bald niemand mehr zur Verfügung.“

Fall geht wieder zurück an das Berliner Kammergericht

Auch Renate Künasts Rechtsanwalt Severin Riemenschneider bezeichnete das Urteil als eine Grundsatzentscheidung, die von den Plattformen respektiert werden müsse. „Die Instanzgerichte haben es nun wieder in der Hand, die Kommunikation bei Hassdelikten im Internet deutlich zu versachlichen“, erklärte er. „Wir führen viele Unterlassungsklagen gegen Personen, die andere verleumden oder mit Hass überziehen und da wird dieses Urteil ein Meilenstein sein.“

Das Bundesverfassungsgericht habe mit der Entscheidung außerdem dem Persönlichkeitsschutz im Internet einen höheren Stellenwert gegeben. „Bisher wurden Äußerungen in Schriftform als weniger eingriffsintensiv betrachtet, als wörtliche Rede. Da hat das Bundesverfassungsgericht sich jetzt klar positioniert und die Äußerung in Textform der Schriftform gleichgesetzt.“

Karl Nikolaus Peifer, Direktor des Instituts für Medienrecht und Kommunikationsrecht der Universität zu Köln sieht in dem Urteil aus Karlsruhe eine deutliche Korrektur zur bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Bislang sei die Meinungsfreiheit stets sehr liberal ausgelegt und im Rahmen einer Abwägung mit Persönlichkeitsinteressen oft bevorzugt worden.

Bundesverfassungsgericht korrigiert seinen Kurs

„Aus dem Urteil lese ich heraus, dass das Gericht selbst erschrocken darüber war, was bisweilen alles unter den Schutz unserer Kommunikationskultur gefasst wird. Dem haben die Gerichte durch ihre liberale Haltung auch Vorschub geleistet.“

Das Urteil werde eine mäßigende Wirkung auf Kommunikation und Diskurs haben, ist der Medienrechtler sich sicher. „Bislang war es für Gerichte leichter, beleidigende Äußerungen durchzuwinken als andersherum. Nun haben sie mehr Handhabe, Verbote zu begründen. Das ist nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Gerichte ein wichtiger Schritt.“

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Damit Facebook die Daten tatsächlich herausgibt, muss sich zunächst das Berliner Kammergericht wieder dem Fall annehmen. Rechtsgrundlage ist das Telemediengesetz, nach dem Social-Media-Unternehmen die Herausgabe der Daten durch ein Gericht zunächst gestattet werden muss.

Durch das Urteil dürften die Social Media-Konzerne unter Druck geraten: Allen voran Facebook steht seit längerem in der Kritik dafür, selten Daten von Hasspostern herauszugeben. (mit dpa)

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