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Gespräch unter Frauen: Margarete Bause (Grüne), Josephine Ortleb (SPD), Elisabeth Motschmann (CDU) und Gyde Jensen (FDP).

© Stefan Weger

Ein Interview über Frauen in der Politik: „Wenn Männer zu lange reden, schalte ich ihnen das Mikro ab“

Zum Frauentag erzählen vier Politikerinnen von Erfahrungen mit den männlichen Kollegen – und erklären, warum eine Kanzlerin allein für die Frauen nicht reicht.

Diese vier Frauen gemeinsam an einen Tisch zu bekommen, ist alles andere als einfach: Die Bundestagsabgeordneten, die vier verschiedenen Fraktionen angehören, haben einen vollen Terminkalender – Fraktionssitzungen, Ausschüsse, Plenum. Nur an einem Dienstag um acht Uhr morgens haben alle Zeit, wenn auch nicht lange. Die CDU-Abgeordnete Elisabeth Motschmann (67) und die Grüne Margarete Bause (61), die beiden erfahrensten Politikerinnen in der Runde, sind als erste da. Die 30-jährige FDP-Abgeordnete Gyde Jensen kommt mit ihrer fünfeinhalb Monate alten Tochter im Kinderwagen ins Paul-Löbe-Haus. Fast während des gesamten Interviews wird das Baby friedlich schlafen. Als Josephine Ortleb (33) von der SPD den Raum betritt, geht das Gespräch sofort los.

Die vier Frauen kennen sich aus gemeinsamen Ausschüssen, die beiden jüngeren und Bause duzen sich. Doch in dieser Runde saßen sie noch nie zusammen. Und dieses Mal soll es nicht um ihre fachpolitischen Themen gehen, sondern vor allem um sie selbst, um ihre persönlichen Erfahrungen als Frauen in der Politik. Schnell kommt eine offene, fast schon vertraute Atmosphäre auf. Denn trotz der sehr unterschiedlichen politischen Hintergründe und des Altersunterschiedes entdecken die vier Politikerinnen einige Gemeinsamkeiten. Über ihre Erlebnisse mit den männlichen Kollegen redet jede von ihnen ungewöhnlich offen – sehr zur Freude der anderen Frauen am Tisch. Überhaupt wird viel gelacht an diesem Morgen.

Lassen Sie uns über Ihre persönlichen Erfahrungen als Frauen in der Politik reden. Frau Bause, Sie sind im Jahr 1986 mit den Grünen in den bayerischen Landtag eingezogen. Damals war Franz Josef Strauß noch Ministerpräsident. Was waren das für Zeiten für Frauen im Parlament?
Margarete Bause: Die Stimmung war unglaublich aggressiv. Als wir im Parlament das Thema Gewalt gegen Frauen auf die Tagesordnung setzten, haben viele CSU-Männer gelacht, sich auf die Schenkel geklopft, und es gab extreme sexistische Zwischenrufe. Damals war Vergewaltigung in der Ehe noch nicht strafbar. Als eine Rednerin das thematisierte, musste sie sich anhören, so wie sie ausschaue, könne ihr das überhaupt nicht passieren. Das waren aggressive Männerhorden, die versuchten, uns fertigzumachen.

Margarete Bause zog 1986 zum ersten Mal für die Grünen in den bayerischen Landtag ein.
Margarete Bause zog 1986 zum ersten Mal für die Grünen in den bayerischen Landtag ein.

© Stefan Weger

Hat Sie das eingeschüchtert?
Bause: Es hat uns kämpferischer gemacht. Der Eklat war damals so groß, dass wir auch Unterstützung von Frauen aus anderen Parteien bekamen. Die Männer haben sich in ihrer Frauenfeindlichkeit entblößt, und wir haben danach erst recht Sexismus mit vielen parlamentarischen Initiativen auf die Tagesordnung gesetzt. Heute traut sich eigentlich niemand mehr – mit Ausnahme der AfD-Kollegen von ganz Rechtsaußen -, sich derart frauenverachtend zu äußern, selbst wenn der Gedanke im Kopf noch auftauchen mag. Unser Einsatz hat zu einer Zivilisierung geführt, auch wenn es Jahrzehnte gedauert hat.

Frau Motschmann, Sie haben in den 70er Jahren in der CDU Schleswig-Holstein mit der Politik angefangen. Wie haben Sie den Einstieg erlebt?
Elisabeth Motschmann: Aggressionen habe ich nicht zu spüren bekommen. Aber der Anfang in der Politik war mühsam. Ich habe mich einsam gefühlt. Oft war ich die einzige Frau in den Gremien. Es gab niemanden, mit dem ich mir Bälle zuspielen konnte. Keine andere Frau, die sagte, ich bin der gleichen Meinung wie Frau Motschmann. Männer haben ein richtiges System, sich gegenseitig zu loben. Sie beziehen sich in ihren Redebeiträgen immer wieder auf andere Männer, auch wenn vorher eine Frau genau dasselbe gesagt hat.

Frau Jensen, Frau Ortleb, Sie gehören einer anderen Generation an, sind beide Anfang 30. Kommt Ihnen von diesen Erfahrungen etwas bekannt vor?
Josephine Ortleb: Ich bin 1986 geboren, als du in den Landtag gekommen bist, Margarete. Damals gab es eine starke feministische Bewegung, die dafür gekämpft hat, dass es einen großen Schritt nach vorn geht. Aber die Frage ist doch: Was kommt jetzt? Ich habe den Eindruck, dass wir gerade ein Rollback erleben, einen echten Rückschritt. Auch heute gibt es auf der rechten Seite des Parlaments Männerhorden, die laut rumschreien. Frauenrechte werden wieder in Frage gestellt, der Frauenanteil sinkt, im Bundestag und in den Landtagen. Die Aufgabe unserer Generation ist es, Erkämpftes zu erhalten und trotzdem voranzukommen. Wir sind gesellschaftlich noch lange nicht da, wo wir hinwollen. Frauen verdienen in der Regel weniger, sie sind unterrepräsentiert in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik.

Hatten Sie bei ihrem Einstieg in die Politik den Eindruck, dass für Sie etwas schwieriger war als für die Männer?
Ortleb: Ich habe bei den Jusos angefangen, das ist ein dezidiert feministischer Verband. Zum ersten Mal habe ich einen Unterschied gemerkt, als ich in den Saarbrücker Stadtrat gewählt wurde. Ich bin Gastronomin. Bei der ersten Sitzung des Kulturausschusses war ich die einzige Frau im Raum. Der Fraktionsvorsitzende schickte mich Bier holen, nach dem Motto: Du bist doch vom Fach. Wäre ich ein junger Mann gewesen, wäre mir das ganz sicher nicht passiert.

Die FDP-Bundestagsabgeordnete Gyde Jensen ist Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.
Die FDP-Bundestagsabgeordnete Gyde Jensen ist Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.

© Stefan Weger

Gyde Jensen: Mir persönlich wurden bisher keine Steine in den Weg gelegt. Als die Liste für die Bundestagswahl aufgestellt wurde, hatte ich einen Gegenkandidaten. Da wurden die Ellenbogen ausgefahren, aber das ist auch in Ordnung. Ich bin allerdings auch zu einer Zeit angetreten, in der die FDP es sich nicht leisten wollte, auf Kandidaturen von Frauen zu verzichten. In der Partei gibt es ja nicht so viele Frauen, schon gar nicht in Führungspositionen. Ich habe einen Vertrauensvorschuss erhalten.

Und wie sind die Auseinandersetzungen im Bundestag?
Ortleb: Im Familienausschuss habe ich einmal über die Quote in der SPD geredet, die letztes Jahr 30 geworden ist, für uns war das ein echter Erfolg. Von der AfD kam der Spruch: Das war der Niedergang der SPD. So geht das ständig.

Jensen: Wir sitzen im Plenum direkt neben den Vertretern der Rechten. Abfällige und hämische Bemerkungen über Frauen hören wir oft. Und es trifft nicht nur sie. Sobald ein Redner am Pult steht, der einen männlichen Partner hat, können AfD-Abgeordnete wie Herr Brandner nicht an sich halten und rufen „warmer Bruder“. Die Mikrofone sind an, auf der Tribüne und auch am Fernseher hören die Leute solche Zwischenrufe. Mit vorbildlichem Verhalten von Volksvertretern hat das nichts mehr zu tun. Bei vielen Frauen sorgen solche Situationen dafür, dass sie sich Politik nicht antun wollen. Das finde ich sehr schade.

Motschmann: Der Ton im Parlament ist härter geworden. Manchmal frage ich mich, wie die AfD-Kollegen auf solche Gedanken kommen. Die ordnen nicht nur alles der Flüchtlingskrise unter, sondern reden ständig von „Gender-Gaga“. In den Reihen der AfD sitzen aber auch nur ganz wenige Frauen.

Die CDU-Politikerin Elisabeth Motschmann wurde von der Gegnerin der Quote zu einer Befürworterin.
Die CDU-Politikerin Elisabeth Motschmann wurde von der Gegnerin der Quote zu einer Befürworterin.

© Stefan Weger

Mit Politikern anderer Parteien haben Sie noch nie Probleme gehabt?
Jensen: Doch, und das liegt auch an meinem Alter. Nach einer namentlichen Abstimmung bin ich mal mit einem Kollegen, der auch einen Ausschuss leitet, zurück ins Paul-Löbe-Haus gegangen. Es war relativ spät, er ging neben mir und fragte: Lässt der Chef Sie länger arbeiten? Ich sagte: Nein, aber ich muss noch eine Rede schreiben. Er sagte: Ach so, macht der Chef das nicht selbst? Und ich antwortete: Doch. Ich glaube, der hat auch im Nachhinein immer noch nicht verstanden, dass ich eine Kollegin bin. Dabei saß ich ihm schon bei einem Abendessen von Herrn Schäuble gegenüber. Manchmal komme ich auch in einen Raum, und die Leute fragen: Wer ist denn diese Praktikantin? Dir geht es doch vermutlich ähnlich, Josephine?

Ortleb: Mir passiert es fast täglich, dass ich an der Pforte meinen Bundestagsausweis zeigen muss. Der junge Kollege vor mir im Anzug läuft einfach durch, ihm wird zugenickt – und bei mir heißt es: Entschuldigung, dürfen wir Ihren Ausweis sehen?

Die SPD-Politikerin Josephine Ortleb ist 2017 als Direktkandidatin für den Wahlkreis Saarbrücken in den Bundestag gewählt worden.
Die SPD-Politikerin Josephine Ortleb ist 2017 als Direktkandidatin für den Wahlkreis Saarbrücken in den Bundestag gewählt worden.

© Stefan Weger

Jensen: Mein Vorgänger, der früher den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe geleitet hat, macht den Eindruck, als könne er bis heute nicht verwinden, dass er abgelöst wurde. Und dann auch noch von einer jungen Kollegin. Natürlich leite ich den Ausschuss anders als er. Manchmal fühle ich mich im Bundestag an „House of Cards“ erinnert.

Bause: Bei einigen Kollegen musst du wirklich dauernd um Autorität kämpfen.

Jensen: Ich habe mir zum Ziel gesetzt, meinem Vorgänger und auch manchen anderen Mitgliedern bis zum Ende der Legislaturperiode klarzumachen, dass ich ihm jetzt das Wort erteile und nicht umgekehrt. Ich habe im Ausschuss sogar schon einmal die Glocke geläutet, was früher wohl nie vorgekommen ist. Dann war Ruhe, weil alle sich erschreckt haben.

Machen Frauen anders Politik als Männer?
Jensen: Wir sind effizienter in der Sitzungsführung, sprechen auch anders. Ich halte keine langen Eingangsstatements, weil wir ja mit der Tagesordnung durchkommen und die Expertinnen und Experten im Ausschuss hören wollen. Es nervt mich, wenn manche Männer lange Grundsatzreferate halten und erst dann zu ihrer Frage kommen, wenn ihre Zeit schon längst abgelaufen ist. Dann schalte ich ihnen irgendwann das Mikro ab.

Ortleb: Ich habe das Gefühl, dass es lauter wird, sobald eine Frau redet, egal ob im Ausschuss oder im Plenum. Diese Hintergrundgeräusche erlebe ich auch in unserer eigenen Fraktion. Den Männern wird sehr aufmerksam zugehört. Aber sobald eine Frau spricht, wird es wahnsinnig laut.

Motschmann: Es wird auch weniger geklatscht, wenn Frauen reden. Das liegt aber auch an uns. Wir müssen als Frauen mit dem Beifall anfangen.

Ortleb: Oder wir sollten auch mal tuscheln, wenn Männer reden. Das ist ja mein Plan. Übrigens finde ich es toll, Gyde, dass ich in einem Ausschuss sein darf, in dem eine junge Frau Vorsitzende ist. Das hat für mich etwas Bestärkendes. Wir brauchen viel mehr Vorbilder.

Motschmann: Wir Frauen sind oft zu selbstkritisch. Neulich kam der Außenminister in den Auswärtigen Ausschuss. Der Vorsitzende fragte am Tag vorher, wer für die CDU reden wolle, es gebe vier Redebeiträge. Ich habe überlegt, worüber der Minister wohl sprechen wird, ob ich dafür als Berichterstatterin kompetent bin und ob es Sinn macht, mich zu melden. Ehe ich diese Fragen für mich beantworten konnte, hatten sich schon vier Männer gemeldet. Frauen sollten nicht so an ihrer Kompetenz zweifeln und in diesem konkurrenzbetonten Geschäft mutiger werden.

Elisabeth Motschmann (CDU) ist Sprecherin für Kultur und Medien der Unions-Bundestagsfraktion.
Elisabeth Motschmann (CDU) ist Sprecherin für Kultur und Medien der Unions-Bundestagsfraktion.

© Stefan Weger

Bause: Dabei helfen Regeln. Wir haben in Partei und Fraktion eine quotierte Redeliste, eine Frau, ein Mann, eine Frau, ein Mann. Und eine Redezeitbegrenzung. Wenn man die Welt erklären will, können zwei Minuten schnell vorbei sein. Natürlich habe ich auch die Erfahrung gemacht, dass Männer versuchen, sich viel Raum zu nehmen, ihre Macht zu demonstrieren. Allein schon, wie sie sich hinsetzen, wie sie auftreten. Regeln sind da sehr nützlich: Zack, nach zwei Minuten wird der Ton abgedreht, egal, wie toll der Redner sich findet. Wenn es um Macht geht, brauchen wir klare Vorgaben. Männer geben nicht freiwillig Macht ab.

Jensen: Was passiert denn bei euch, wenn sich keine Frau mehr zu Wort meldet, aber die Debatte noch nicht zu Ende ist und Männer noch reden möchten?

Bause: Dann gibt es eine Abstimmung, ob die Frauen in der Versammlung wollen, dass auch die Männer, die auf der Redeliste stehen, noch reden dürfen.

Jensen: Dann können Frauen bei euch eine Debatte ja extrem lenken, indem sie einfach entscheiden, dass alles zum Thema gesagt ist.

Ortleb: Das kann auch ein Machtinstrument sein.

Bause: Ich habe nichts gegen Machtinstrumente.

Margarete Bause ist Sprecherin für Menschenrechte und humanitäre Hilfe der Grünen im Bundestag.
Margarete Bause ist Sprecherin für Menschenrechte und humanitäre Hilfe der Grünen im Bundestag.

© Stefan Weger

Motschmann: Mir ginge das zu weit. In der CDU haben wir bei den Mitgliedern etwa 26 Prozent und in den Parlamenten etwa 20 Prozent Frauen, da würde das nicht funktionieren. Ich finde, Frauen haben auch die Verantwortung, sich zu Wort zu melden und zu sagen: Hier bin ich, ich habe etwas beizutragen. Man muss den Frauen nicht alles auf dem Silbertablett servieren. Sie sollten sich dem Wettbewerb stellen, auch wenn der gerechter werden muss. Immerhin hat sich die Kultur in der CDU geändert. Wir stellen die erste Kanzlerin, die erste EU-Kommissionspräsidentin und die erste Verteidigungsministerin.

Bause: Aber kaum dass die CDU-Chefin und die Kanzlerin gehen, folgen nur noch Männer.

Motschmann: Ja, jetzt dürfen auch mal Männer kandidieren. Es gibt ja schon Kinder, die ihre Eltern fragen, ob auch ein Mann Kanzler werden kann.

Bause: ... Kanzlerin!

Ortleb: Auch wenn uns vieles verbindet, merkt man bei der Debatte um Quoten doch, dass es einen Unterschied gibt. Für mich ist Geschlechtergerechtigkeit eine strukturelle Frage, keine individuelle. Das fängt bei der Erziehung von Mädchen an, wenn es heißt: Sei brav, halte dich zurück. Das zieht sich durch das ganze Leben. Auch in der Politik sind die Strukturen männlich geprägt. Das können wir nur mit Instrumenten wie der Quote aufbrechen und nicht allein dadurch, dass wir Frauen individuell stärken.

Josephine Ortleb (SPD) will die männlich geprägten Strukturen in der Politik aufbrechen.
Josephine Ortleb (SPD) will die männlich geprägten Strukturen in der Politik aufbrechen.

© Stefan Weger

Bause: Als wir in Bayern vor mehr als 30 Jahren im Landtag für die Quote gekämpft haben, glaubten die CSU-Frauen, sie bräuchten so etwas nicht. Viele Jahre später hat mir eine ehemalige Kollegin aus der CSU gesagt: Damals war ich gegen die Quote, aber heute muss ich Ihnen sagen: Sie haben Recht gehabt, und wir hätten das auch machen sollen, dann hätten wir uns vieles erspart.

Motschmann: So eine Kollegin sitzt jetzt gerade neben Ihnen. Als junge Frau war ich eine knallharte Gegnerin der Quote. Ich dachte: Wir sind gut ausgebildet, wir haben gute Zeugnisse, uns liegt die Welt zu Füßen. Ich habe Aufsätze geschrieben nach dem Motto „Leistung muss zählen, nicht Chromosomen“ - was ich damals alles von mir gegeben habe! (alle lachen)

Und wie sehen Sie das heute?
Motschmann: Im Laufe eines langen beruflichen und politischen Lebens habe ich die strukturellen Benachteiligungen und die gläserne Decke gesehen, die es nach wie vor gibt - nicht nur in der Politik, sondern auch in Dax-Unternehmen, Banken und Medien. Dann kommt man zu dem Ergebnis: Ohne Druck von außen geht es nicht. Deshalb bin ich heute eine Befürworterin der Quote.

Aber in Ihrer Partei ist diese Position nicht mehrheitsfähig.
Motschmann: Heute haben junge Frauen in der CDU auch große Probleme, sich für eine Quote auszusprechen. So wie ich damals denken sie, die Welt liege ihnen zu Füßen. Sie werden alle noch merken, dass es die gläserne Decke gibt und dass es in manchen Bereichen für Frauen mühsamer ist, nach vorn zu kommen. Wenn allerdings eine Frau eine Position nur erhält, weil sie eine Frau ist - das gibt es selten, aber das gibt es -, und dann nicht die erforderliche Leistung bringt, schadet uns das sehr.

Bause: Aber bei den Männern fragt danach keiner. In der CSU haben sie jede Menge Quoten: Da müssen ein Evangelischer und ein Katholischer und einer aus Mittelfranken und einer aus der Oberpfalz und einer aus Niederbayern vertreten sein. Aber wenn es um die Frauenquote geht, also die gleichberechtigte Repräsentanz der Geschlechter, dann heißt es: Um Gottes willen, wir setzen lieber auf Freiwilligkeit. Die entscheidende Gerechtigkeitsfrage in der Gesellschaft wird nicht angegangen.

Die FDP-Politikerin Gyde Jensen bezeichnet sich selbst als Feministin.
Die FDP-Politikerin Gyde Jensen bezeichnet sich selbst als Feministin.

© Sefan Weger

Frau Jensen, die FDP tut sich ebenfalls schwer mit einer Quote. Und Sie?

Jensen: Am Anfang habe ich gedacht, dass wir die Quote gar nicht brauchen, weil es bei uns in der Partei starke Frauen gab und gibt. Ich bin aber relativ schnell zu dem Schluss gekommen, dass es egoistisch ist zu sagen: Ich habe das ohne Quote geschafft, deswegen müssen alle anderen das auch schaffen. Meine Erfahrung ist, dass man Frauen häufiger fragen muss, bevor sie ja sagen. Ich mache mir fünf Mal mehr Gedanken, ob ich die Richtige für eine Rede bin. Ich glaube, das macht uns besser. Aber manchmal sorgt es dafür, dass weniger Frauen in der ersten Reihe stehen. In meiner Partei habe ich keine Mehrheit für die Quote. Das akzeptiere ich. Außerdem gibt es bei uns noch nicht so viele Frauen, dass wir eine 50-Prozent-Quote überhaupt anwenden könnten. Das würde bedeuten, dass wir wahrscheinlich jeder einzelnen Frau, die wir in der Partei haben, einen Posten geben müssten. Trotzdem ist das politische Ziel richtig, die Zahl der Frauen in der Politik zu erhöhen, möglichst sogar auf 50 Prozent, um die Gesellschaft abzubilden.

Bause: Im Grundgesetz steht, dass der Staat verpflichtet ist, aktiv zur Gleichberechtigung beizutragen. Das ist auch ein Auftrag für die Parteien. Wir Grüne haben auch nicht 50 Prozent Frauen in der Partei, aber immerhin über 40 Prozent. Das war ein langwieriger Prozess. Es geht um eine Kultur der Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern. Frauen, die neu in die Partei kommen, kriegen von Anfang an ein spezielles Angebot. Sie werden angesprochen, ob sie sich vorstellen können zu kandidieren. Bei der aktuellen Kommunalwahl in Bayern haben wir es so tatsächlich erreicht, dass alle Listen quotiert sind. Am Anfang dachten wir, das schaffen wir nie.

Jensen: Aber du kannst die Grünen doch nicht mit der FDP vergleichen! Wir haben eine andere Mitgliedschaft. Wir können nicht einfach eine Idee mit der Brechstange durchsetzen und erklären, dass es ab heute eine Quote gibt. Das geht nur Schritt für Schritt. Wir brauchen noch ein bisschen Geduld. Da seid ihr schon weiter.

Motschmann: Das ist die Frage. Im Auswärtigen Ausschuss haben die Grünen im Augenblick kein einziges ordentliches weibliches Mitglied. Und wir wollen mal sehen, wer im Rennen um die Spitzenkandidatur am Ende die Nase vorn hat – Annalena Baerbock oder Robert Habeck.

Was sagen Sie, Frau Bause?
Bause: (lacht) Das werden wir sehen.

Trotz unterschiedlicher politischer Hintergründe teilen die Abgeordneten etliche Erfahrungen.
Trotz unterschiedlicher politischer Hintergründe teilen die Abgeordneten etliche Erfahrungen.

© Stefan Weger

Frau Jensen, vor einem Jahr haben Sie zum Frauentag eine Rede im Bundestag gehalten, in der Sie mehrfach sagten: „Ich bin Feministin“. Wird Ihnen das in Ihrer Partei zum Nachteil ausgelegt?
Jensen: Nein, ich habe viel Lob dafür bekommen. Einige zucken zusammen, weil das Wort Feministin offenbar eine negative Konnotation hat – allerdings nur in Deutschland. In anderen Ländern, in Kanada beispielsweise oder in Schweden, wird ganz selbstverständlich über feministische Außenpolitik diskutiert. Solche Länder haben mehr Frauen in den Parlamenten und in den Führungsetagen von Verwaltungen und Ministerien.

Motschmann: Im Bundestag haben wir eine Debatte geführt über feministische Außenpolitik und die Männer wussten nicht so richtig, was das eigentlich soll. Mir war vorher klar, dass es hämische Bemerkungen und Gelächter geben würde. Genau diese Reaktionen kamen. Sie sind ja sehr berechenbar, die Männer. Wenn man lange genug dabei ist, weiß man, wie sie reagieren. Aber wir Frauen bauen jetzt Brücken über die Parteigrenzen hinweg. Wir haben beispielsweise einen überparteilichen Arbeitskreis für Außenpolitik. Je mehr wir gemeinsam kämpfen, umso besser. Wir werden nicht in jedem Punkt gleiche Positionen haben. Aber es gibt viele Themen, bei denen wir gemeinsam etwas machen können, und die müssen wir nutzen. Dann sind wir stark.

Ortleb: An der Frage der feministischen Außenpolitik sieht man sehr gut, dass Sprache auch Gesellschaft formt.

Was ist das eigentlich, feministische Außenpolitik?
Ortleb: Wenn wir Friedensprozesse voranbringen wollen, müssen die Frauen mit einbezogen werden. Es gibt Untersuchungen, dass Friedensprozesse nachhaltiger sind, wenn die ganze Gesellschaft beteiligt ist – und Frauen sind ja die Hälfte der Gesellschaft. Leider wird der Begriff Feminismus oft mit Männerhass gleichgesetzt. Wir sollten auch in unserer Sprache viel stärker darauf achten, wie wir zum Beispiel mit weiblichen Formen umgehen.Es gibt im Bundestag AfD-Politiker, die unabhängig davon, wer die Sitzung im Plenum gerade leitet, immer „Herr Präsident“ sagen. Die machen das konsequent.

Jensen: Oder sie sagen „liebe Grüninnen“.

Bause: Das Präsidium des Bundestags hat beschlossen, dass es gerügt werden soll, wenn jemand nicht „Frau Präsidentin“ sagt. Das finde ich gut.

Ortleb: Aus meinem Wahlkreis kommt die Frau, die dafür gekämpft hat, dass wir alle auf unserem Personalausweis als „Inhaberin“ bezeichnet werden. Früher stand da immer nur „Inhaber“. Jetzt, mit fast 85 Jahren, will sie erreichen, dass auf dem Sparkassen-Formular auch „Kundin“ steht. Nun könnte man denken, das sei nicht wichtig. Aber das stimmt nicht. Ebenso sollten wir auf die Sprache achten, wenn es um Außenpolitik geht.

In Finnland ist jetzt eine 34-jährige Frau Ministerpräsidentin, die Mutter eines Kleinkinds ist. Warum ist das in Deutschland eigentlich so undenkbar, Frau Jensen?
Jensen: (guckt ihr Baby an, das im Kinderwagen neben ihr liegt) Ich habe da erst fünfeinhalb Monate Erfahrung, Ich weiß nicht, ob das ausreicht, um diese Frage zu beantworten. Dass wir wenige junge Mütter in der Politik sehen, liegt einfach daran, dass es hier zu wenige junge Frauen gibt.

Bause: Und viel zu wenige Väter übernehmen den Job, den bei männlichen Politikern normalerweise die Frauen haben.

Jensen: Heute hätte mein Mann eigentlich auf unsere Tochter aufpassen sollen. Aber er ist Abgeordneter im Landtag und hat eine kurzfristig einberufene Sitzung. Ich versuche es irgendwie hinzukriegen. Das klappt nicht immer, meistens aber doch. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz habe ich die Grünen-Abgeordnete Agnieszka Brugger getroffen. Unsere Männer saßen währenddessen mit den Kindern im Hotelzimmer. So etwas sollte es häufiger geben.

Motschmann: Vor allen Dingen auf der Sicherheitskonferenz!

Und wie ist es mit den männlichen Kollegen, die selbst Kinder haben?
Ortleb: Im Bundestag ging ein Grünen-Abgeordneter einmal mit seinem Kind zur Abstimmung. Als er seine Stimmkarte eingeworfen hat, mit dem Kind auf dem Arm, wurde das groß in den sozialen Medien und anderswo berichtet. (alle lachen) Frauen machen in der Regel den Job jeden Tag - aber dieser eine Mann, der wird gefeiert.

Jensen: Und wir sind die Rabenmütter. Das Konzept gibt es ja nur in Deutschland.

Motschmann: Aber mit den Rabenmüttern ist es doch jetzt vorbei!

Jensen: Nein, ich erlebe ganz häufig, dass vor allem jüngere Frauen zu mir sagen: ob das jetzt das Richtige für dein Kind ist... Das ist eine große Frage, die ich mir täglich stelle. Ich versuche, sowohl der Arbeit im Bundestag als auch meiner Tochter gerecht zu werden. In Deutschland muss man sich ja leider sehr schnell anhören, dass man eine schlechte Mutter ist.

Bause: Wenn du den ganzen Tag zu Hause hocken würdest, allein mit dem Kind, könnte man auch fragen, ob das für das Kind das Richtige ist.

Jensen: Das wäre für mich auch nicht das Richtige.

Ortleb: Ein paar Wochen nach meiner Nominierung für den Bundestag sagte eine ältere Genossin ganz selbstverständlich zu mir: Du hast dich ja jetzt gegen Kinder entschieden. Aus ihrer Sicht war das vollkommen klar. Es gab gar keine Diskussion, dass es eine Vereinbarkeit von Familie und politischer Tätigkeit geben kann. Das hat mich schon zum Nachdenken gebracht.

Seit fast fünfzehn Jahren wird Deutschland von einer Kanzlerin regiert. Was hat Angela Merkel für die Frauen in Deutschland verändert? Hat sie überhaupt etwas verändert?
Bause: Sie ist Vorbild geworden, weil sie einen anderen Politikstil praktiziert hat. Im Grunde hat Angela Merkel diese überbordende Männlichkeit der Lächerlichkeit preisgegeben. Sie hat gezeigt, dass man in einer Machtposition nicht unbedingt breitbeinig auftreten muss. Aber sie hat keine strukturelle Politik gemacht, um die Repräsentanz von Frauen zu verbessern.

Motschmann: Angela Merkel hat gezeigt, dass jedes Amt, auch das höchste Regierungsamt, von einer Frau ausgeübt werden kann. Das macht ja etwas mit uns, wenn wir sehen, was andere Frauen leisten. Die Kanzlerin hat das Land durch drei Krisen geführt. Das ist schon eine enorme Leistung.

Ortleb: Weibliche Vorbilder sind wichtig. Aber eine Kanzlerin allein hilft den Frauen noch nicht. Angela Merkel hat keinen Fokus auf die Repräsentanz von Frauen und die Vereinbarkeit gelegt. Ich glaube, da hätten wir manchmal ein Kanzlerinwort gebraucht, um voranzukommen. Andererseits habe ich die Bilder von ihren Auftritten auf der internationalen Bühne vor Augen, wo sie oft die einzige Frau war. Das war ein wichtiger Schritt. Manche anderen Länder sind da allerdings schon weiter, dort sind Frauen im Kabinett sogar in der Mehrheit. Wir sind in den letzten Jahren nur im Schneckentempo vorangekommen.

Jensen: Die Kanzlerin hat strukturell nicht so viel verändert, wie sie es hätte tun können. Wir haben uns immer damit zufriedengegeben, dass wir eine Frau an der Spitze haben. Am Ende sind Länder wie Finnland an uns vorbeigezogen. Wir müssen jetzt ein bisschen nacharbeiten, weil es natürlich nicht nur auf die Regierungschefin ankommt. Als Frau bewundere ich Angela Merkel, unabhängig davon, ob ich jede ihrer Entscheidungen befürwortet hätte. Aber wir brauchen noch viel mehr Vorbilder. Auch Netzwerke sind für Frauen entscheidend. Ich war kürzlich bei einer Veranstaltung des DGB, dort hieß es: Frauen, bildet Banden! Das tun wir zu selten. Männer streiten sich und gehen dann gemeinsam ein Bier trinken. Frauen sind häufig Einzelkämpferinnen. Auch Merkel ist eine Einzelkämpferin. Das macht sehr einsam. Ich würde mir wünschen, dass es in Zukunft normaler wird, dass auch Frauen sich gegenseitig unterstützen.

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