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Der Kanzler und der Krieg: Schwere Entscheidungen für Olaf Scholz

© IMAGO/Bernd Elmenthaler

Update

„Es darf keinen Atomkrieg geben“: Warum der Kanzler in der Ukraine-Frage bremst und was jetzt passieren soll

Lange wehrte sich Olaf Scholz gegen die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine. Nun gibt es eine Lösung. Doch auch die wirft Fragen auf. Eine Analyse.

Olaf Scholz hält nichts von Symbolpolitik – ein Grund, warum der sozialdemokratische Kanzler bisher nicht in die Ukraine gereist ist, was ihm heftige Kritik einbringt. Und nun fügt sich in das für ihn missliche Bild ein, dass auch der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez, ein gern gesehener Gast bei SPD-Parteitagen, zum Solidaritätsbesuch in Kiew aufgetaucht ist. Mit der dänischen Regierungschefin Mette Frederiksen traf er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

„Das wäre mal wieder eine super Gelegenheit gewesen“, kommentiert der Sozialdemokrat und gebürtige Ukrainer Igor Matviyets dies. Aber es gebe ja immer noch ein paar Staatschefs, „mit denen man gemeinsam anreisen könnte, oder?“, fragt er provozierend an die Adresse von Scholz. Der verweist darauf, dass er ja immer wieder stundenlang mit Selenskyj telefoniere.

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Der langjährige Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, ist so vernetzt wie wenige deutsche Verteidigungsexperten. Sein Urteil ist schonungslos. „Die internationale Stimmung hat sich leider längst gegen Deutschland gedreht. Wir müssen aus dieser Falle rasch raus“, betont er bei Twitter.

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Auch wenn das Kanzleramt zumindest schrittweise – und auf Druck gerade der Grünen –  Widerstände aufgibt, vermengt sich das alles noch mit dem Veto des Kanzlers gegen einen Boykott russischer Erdgas- und Erdöllieferungen, was Wladimir Putins Politik weiter mitfinanziert.

Das macht es für Scholz und seine Wahrnehmung gerade doppelt schwer, zumal es noch die parallele Debatte um die Fehler der SPD in der Russlandpolitik gibt. Und gerade in seiner Partei gibt es Widerstände gegen die Lieferung schwerer Waffen, auch das beeinflusst natürlich sein Handeln.

In der Ampelkoalition knirscht es deshalb und einige erinnern daran, dass es auch für eine Jamaika-Koalition eine Mehrheit im Bundestag gebe – dann mit einem Kanzler Friedrich Merz (CDU).

Die Union wird nach Scholz‘ Schiffbruch mit der Impfpflicht weiter versuchen, die Ampel zu treiben – für kommende Woche wird ein Antrag zur Lieferung schwerer Waffen geprüft; richtig ernst könnte es werden, wenn Scholz für sein Kernprojekt eines 100-Milliarden-Sondervermögens für die Bundeswehr im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit braucht. Wenn dann die Koalition nicht geschlossen steht, könnte das scheitern. Dann würde Scholz‘ Kanzlerschaft schnell am sehr seidenen Faden hängen.

Bremst der Kanzler auch, weil er auf einen kalten Frieden setzt?

Den Ukraine-Kurs des Kanzlers in der Frage der Lieferungen schwerer Waffen zu verstehen in diesen Tagen, ist auch für langjährige Beobachter eine Herausforderung.

Es begleitet die Karriere des Kanzlers schon länger, dass das Selbst- und Außenbild auseinanderklaffen können. Sein Umfeld bestreitet, dass er über Gebühr bremse. Alles sei halt nicht so trivial, wie es manche darstellen.

„Keine Alleingänge“, lautet das Motto mit Blick auf die anderen Nato-Partner. Deutschland stehe da bewusst nicht an der Spitze, aber reihe sich ein. Dass man überhaupt Waffen an eine Kriegspartei liefere, sei ein Tabubruch gewesen, man passe alle Schritte der sich stetig veränderten Lage an. Und mache weitaus mehr, als einige wahrnehmen.

Welche anderen westlichen Staaten denn Panzer liefern würden, wird gefragt. Oberste Prämisse müsse zudem bleiben, dass Aktionen vermieden werden müssten, die als Kriegseintritt der Nato gewertet werden könnten. Und eventuell eine nukleare Eskalation durch Wladimir Putin provozieren könnten. Ein Atomkrieg dürfe es auf keinen Fall geben - auch das prägt das Handeln des Kanzlers, weshalb er genervt ist von Leuten, die es sich zu einfach machten.

Aber was Scholz nicht sagt: Das Kanzleramt hat auch eine Resthoffnung auf einen kalten Frieden, eine Art neues Minsker Abkommen – wohl auch deshalb sträubt sich Scholz nach Insidereinschätzungen bisher zum Beispiel gegen eine direkte Lieferung deutscher Kampfpanzer.

Wie Scholz seinen Kurs erklärt

Der Kanzler betont in einem aktuellen Interview mit dem „Spiegel" zu seiner „Philosophie“ im Waffenstreit: „Das militärische Gerät muss ohne langwierige Ausbildung, ohne weitere Logistik, ohne Soldaten aus unseren Ländern eingesetzt werden können. Das geht am schnellsten mit Waffen aus ehemaligen sowjetischen Beständen, mit denen die Ukrainer gut vertraut sind. Deshalb ist es kein Zufall, dass mehrere osteuropäische Nato-Partner jetzt solche Waffen liefern und bisher kein Bündnispartner westliche Kampfpanzer.“

Und liefern könne man nur, „was man hat und hergeben kann“, verweist er auf den Mangel der Bundeswehr. „Man muss schon genau hinsehen, wie einsatzfähig welches Material wirklich ist – und wann. Wenn ich ein Fahrzeug liefere, das von jedem Maschinengewehr durchschossen werden kann, hilft das den ukrainischen Truppen wenig.“ Kritiker monieren, das Mangel-Argument sei vorgeschoben, um nicht im Konflikt mit Russland aufs Ganze gehen zu müssen.

Scholz erklärt eingehend, warum es für ihn bestimmte Grenzen bei der militärischen Unterstützung der Ukraine gibt: „Ich habe einen Amtseid geschworen. Ich habe sehr früh gesagt, dass wir alles tun müssen, um eine direkte militärische Konfrontation zwischen der Nato und einer hochgerüsteten Supermacht wie Russland, einer Nuklearmacht, zu vermeiden. Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt. Es darf keinen Atomkrieg geben.“

Warum ist es ein Wettlauf gegen die Zeit?

Sergij Wolyna, Kommandeur der 36. Ukrainische Marinebrigade, die im „Asow“-Stahlwerk in Mariupol eingekesselt ist, appellierte mit folgenden Worten an Scholz, umgehend mehr Waffen zu schicken: „Vor einer gewissen Zeit hat die Welt schon einmal das große Böse gestoppt. Daran erinnern Sie sich besser als alle anderen. Jetzt ist das Böse zurück. Und Sie haben jetzt die Chance, sich auf die richtige Seite der Geschichte zu stellen und den Faschismus in seinen Anfängen zu stoppen, bevor er alles ringsum verbrannt hat.“

Russische Angriffe auf das Azov-Stahlwerk in Mariupol, wo sich ukrainische Soldaten verschanzt haben.
Russische Angriffe auf das Azov-Stahlwerk in Mariupol, wo sich ukrainische Soldaten verschanzt haben.

© AFP

Im russischen Staatsfernsehen wird offen darüber gesprochen, dass bei einem Sieg über die Ukraine andere Länder dran seien – angespielt wird auf die Staaten, die jetzt die Ukraine so massiv unterstützen. Da Wladimir Putin als unberechenbar gilt, könnte es entscheidend sein, dass die Ukraine die Russen irgendwie stoppen kann: Verbunden damit ist die Hoffnung, dass dies in Moskau einen Sturz Putins einleiten könnte.

Aber: „Es sind keinerlei Risse erkennbar“, wird dieser Option in Regierungskreisen wenig Hoffnung geschenkt. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erfährt gerade im Baltikum, wie groß dort die Angst ist, Putins nächstes Opfer zu sein. Dann wären die Nato-Partner direkte Kriegspartei.

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Der Kanzler sagt selbst, Russland dürfe den Krieg auf keinen Fall gewinnen. Doch ist die teils scharfe Kritik an Scholz so berechtigt? Denn auch bei schweren Waffen tut sich etwas nach dem massiven Druck der vergangenen Tage – auf drei verschiedenen Wegen. Der Kanzler redet darüber nur kaum ausführlich öffentlich, auch um Transporte nicht zu gefährden. Dadurch entsteht teils ein etwas sehr schiefes Bild. In seinem Umfeld wird eine schwierige kommunikative Lage eingeräumt – daher nun das Interview im „Spiegel“.

Kampfpanzer (l) vom Typ T-72, hier im Deutschen Panzermuseum, sollen nun von Slowenien an die Ukraine geliefert werden.
Kampfpanzer (l) vom Typ T-72, hier im Deutschen Panzermuseum, sollen nun von Slowenien an die Ukraine geliefert werden.

© Philipp Schulze/dpa

Aber was ist nun konkret geplant? Am weitgehendsten ist ein sogenannter Ringtausch: Der Nato-Partner Slowenien soll eine größere Stückzahl seiner Kampfpanzer an die Ukraine abgeben und aus Deutschland dafür den Schützenpanzer Marder sowie den Radpanzer Fuchs erhalten. Slowenien nutzt bisher eine jugoslawische Variante des Kampfpanzers T-72 unter der Bezeichnung M-84.

Was nun geplant ist: Der Panzer-Ringtausch mit Slowenien

Das aus der Sowjetzeit stammende Waffensystem T-72 wird vom ukrainischen Heer bereits eingesetzt und erfordert keine größere Zusatzausbildung. Nach dpa-Informationen aus Regierungskreisen hat Slowenien als Kompensation neben dem Schützenpanzer Marder sowie den Radpanzer Fuchs zusätzlich moderneres Gerät aus Deutschland angefordert, darunter den Kampfpanzer Leopard 2, den Radpanzer Boxer sowie den Schützenpanzer Puma, der in der Bundeswehr als Marder-Nachfolger eingeführt wird.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) betont dazu in Berlin: „Dieser Ringtausch würde gewährleisten, dass schnell geliefert werden kann und vor allem ohne lange Ausbildungszeiten. Das ist das, was die Ukraine jetzt braucht.“

Deutschland fülle entsprechend die Bestände der Nato-Partner auf, damit deren Sicherheitsinteressen nicht geschwächt werden. Zusammen mit Rüstungskonzernen wie Rheinmetall soll dafür eine Abmachung getroffen werden, dass zum Beispiel ausrangierte Marder nochmal zügig wieder fit gemacht werden.

Eine Panzerhaubitze 2000 vom deutschen Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei Wegmann wird auf einen Tieflader verladen - die Ukraine setzt auf dieses Artilleriegeschütz.
Eine Panzerhaubitze 2000 vom deutschen Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei Wegmann wird auf einen Tieflader verladen - die Ukraine setzt auf dieses Artilleriegeschütz.

© Peter Endig/dpa

Die große dahinter stehende Frage lautet: Warum können Slowenien zeitnah deutsche Panzer als Ersatz geliefert werden, der Ukraine aber nicht? Scholz-Kritiker bei den Grünen mutmaßen, dass er sich gegenüber Putin noch einen Spielraum für eine bisher kaum denkbare Verhandlungslösung erhalten wolle. Deswegen dürften keine deutsche Panzer dazu dienen, Gebiete in der Ukraine gegen russische Truppen zurückzuerobern.

Die Ukraine will auch schwere Artillerie, was ist hier geplant?

Hier steht die Panzerhaubitze 2000 steht im Fokus, ein gepanzertes Artilleriegeschütz, dass von dem Unternehmen Krauss-Maffei Wegmann (KMW) als Generalunternehmer hergestellt wird. Aus eigenen Beständen kann es die deutsche Truppe nicht liefern. „Die Bundeswehr ist in einer Situation, in der sie leider keine Waffen abgeben kann, wenn ich die Landes- und Bündnisverteidigung weiter gewährleisten will“, sagt Lambrecht.

Dazu sei sie auch den Nato-Partnern gegenüber verpflichtet – und der russische Krieg zeige, dass auch die anderen Nato-Staaten alles Material brauchen und weiter aufrüsten wollen.

Aber mit der von Scholz zugesagten weiteren Militärhilfe von einer Milliarde Euro könnte die Ukraine die Panzerhaubitze 2000 selbst bei Kraus-Maffei bestellen – eine Anfrage, wie schnell das Unternehmen liefern kann, blieb zunächst unbeantwortet. In der ersten Phase des Krieges ließ das Kanzleramt nach ukrainischen Angaben noch solche Wünsche von einer Liste streichen, doch seither hat sich die Lage weiter dramatisch zugespitzt.

Wie der Tagesspiegel erfuhr, soll eine Bestellung und Ausfuhr dieses Artilleriegeschützes nun nicht mehr blockiert werden. Zumal die Niederlande aus eigenen Beständen genau diese Panzerhaubitze liefern will an die Ukraine. Diese Variante, ein Waffenkauf mit deutschem Geld, ist Variante zwei im Scholz-Plan zu schweren Waffen.

Deutsche Ausbildung, aber keine Bundeswehr-Panzerhaubitzen

Bei der Panzerhaubitzen-Lieferung der Niederlande kommt der dritte Strang der nach Wochen der Kritik ausgeweiteten Waffenhilfe zum Tragen: Lambrecht hat bestätigt, dass Bundeswehrsoldaten ukrainische Soldaten an der Panzerhaubitze 2000 ausbilden sollen. „Weil wir das Knowhow haben, um daran auszubilden. Das ist eine Möglichkeit, um auch diesen Support zu leisten“, sagte Lambrecht bei RTL/ntv.

Die Ausbildung kann in Deutschland und Polen stattfinden – aber nicht in der Ukraine, da man dort zu direkt in das Kriegsgeschehen involviert sein könnte. Da wäre man schnell wieder bei der Frage, wann man direkt zur Kriegspartei wird.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht setzt auf den "Ringtausch", um der Ukraine auch mit Panzern zu helfen.
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht setzt auf den "Ringtausch", um der Ukraine auch mit Panzern zu helfen.

© Sean Gallup/Getty Images

Die Niederlande haben nach Angaben des dortigen Verteidigungsministeriums 54 der Artilleriegeschütze, von denen 35 genutzt werden und 19 im Lager stehen. Die Bundeswehr verfügt über etwa 120 Panzerhaubitzen – von denen aber angeblich keine entbehrlich sein soll. Hier landet man wieder bei den Überlegungen im Kanzleramt, dass bestimmte rote Linien nicht überschritten werden sollen, wie bei den deutschen Panzern.

Wie viele Waffen hat Deutschland bisher geliefert?

Scholz redet nicht gern über Zwischenstände oder schon Geliefertes, was ihm in dieser aufgeheizten Phase den Ruf des Bremsers und Zauderers einbringt. Nach Angaben der ukrainischen Regierung hat Deutschland seit Kriegsbeginn aber immerhin bereits gut 2500 Luftabwehrraketen, 900 Panzerfäuste mit 3000 Schuss Munition, 100 Maschinengewehre und 15 Bunkerfäuste mit 50 Raketen geschickt.

Hinzu kommen 100.000 Handgranaten, 2000 Minen, rund 5300 Sprengladungen sowie mehr als 16 Millionen Schuss Munition verschiedener Kaliber für Handfeuerwaffen vom Sturmgewehr bis zum schweren Maschinengewehr, aber bisher eben keine Panzer oder Artillerie.

Auch hier gibt es nun – über Umwege wie Slowenien und die Niederlande – eine Korrektur. Die Frage ist nur, ob sie nicht hätte früher kommen sollen. Denn, so formuliert es der hier besonders auf Scholz Druck machende polnische Premier Mateusz Morawiecki: Es gehe gerade um einen in Wendepunkt in der Geschichte Europas und der Welt.

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