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Wolfgang Schäuble (CDU) ist Bundestagspräsident.

© Kay Nietfeld/dpa

Das Militär als „blinder Fleck“: Schäuble warnt vor Ignoranz gegenüber der Bundeswehr

Der Bundestagspräsident fordert zu Lehren aus den Einsätzen in Afghanistan und Mali auf: Ein Bürgerrat solle die Lebenswelt der Soldaten öffentlich diskutieren.

Unter Verweis auf die Erfahrungen der Bundeswehr in Afghanistan und Mali hat Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) die Deutschen aufgefordert, die „unbequeme“ und „unpopuläre“ gesellschaftliche Debatte über ihr Verhältnis zum Militär zu führen. Angesichts der „prekären Weltordnung“ werde diese Frage „noch relevanter“. Manchmal müsse „Gewalt mit Gewalt beendet werden“.

Soldaten seien keine „Streetworker in Uniform“. Deutsche blendeten gerne aus, dass „Kämpfen und notfalls auch Töten“ zum Soldatsein gehöre. „Hier scheint es einen blinden Fleck in unserer postheorischen Gesellschaft zu geben“, monierte Schäuble am Dienstagabend in Berlin bei der Vorstellung des Buchs „Deutsche Krieger: Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte“ des Historikers Sönke Neitzel vor dem Bundeswehrverband.

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Ein Bürgerrat soll nach Schäubles Worten eine „wirklich ernsthafte Debatte über die sicherheitspolitische Rolle Deutschlands in der Welt“ führen. Die Gesellschaft müsse mehr Verständnis erlernen für die besondere Lebens- und Berufswelt der Soldatinnen und Soldaten. Dies sei „kein Beruf wie jeder andere.“

Kritik an Richtlinien für Rüstungsexporte und Parlamentsvorbehalt

Deutschland müsse auch militärisch mehr tun, um seiner globalen Mitverantwortung für Freiheit, Demokratie und universale Menschenrechte und seinen Bündnispflichten gerecht zu werden, bekräftigte der Bundestagspräsident Kernaussagen seiner Humboldt-Rede 2019. Er erneuerte seine Kritik an den engen deutschen Vorgaben für Rüstungsexporte und die Zustimmung des Bundestags bei Auslandseinsätzen. „Wer eine gemeinsame europäische Verteidigung will, muss bereit sein, von den eigenen, althergebrachten Positionen ein Stück weit abzurücken, etwa beim Thema Rüstungsexporte oder beim Parlamentsvorbehalt.“

Deutsche Kampfhubschrauber des Typs Tiger im Einsatz in Mali.
Deutsche Kampfhubschrauber des Typs Tiger im Einsatz in Mali.

© Marc Tessensohn/Bundeswehr/dpa

Die Verbündeten drängten Deutschland seit langem, entschiedener zu handeln. Das führe in ein „Spannungsverhältnis zwischen unseren Werten und Idealen, die wir nicht aufgeben wollen, und der realistischen Einschätzung“, dass eben diese Werte und Ideale „den Einsatz von militärischer Gewalt gerade nicht ausschließen“. Denn „die Welt ist leider nicht so, wie wir sie uns wünschen.“

Ignoranz gegenüber der Truppe in Deutschland

Mit Besorgnis fragte Schäuble, ob mit der Abschaffung der Wehrpflicht vor 15 Jahren und dem Umbau zur Einsatzarmee aus dem „freundlichen Desinteresse“ der Deutschen an ihrem Militär inzwischen eine „Kluft“ geworden sei? Und sich „mangelndes Verständnis und Ignoranz gegenüber der Truppe“ in der Gesellschaft „verfestigen“? Er verwies auf rechtsextremistische Verdachtsfälle und verstörende Vorkommnisse wie zuletzt beim Spezialkräftekommando KSK.

Auch da soll die öffentliche Debatte im Bürgerrat helfen. Auch und „vor allem in der Politik fehlt es am notwendigen Verständnis für militärische Belange“, zitierte Schäuble den Buchautor Sönke Neitzel. Der werfe den Abgeordneten vor, über die Einsatzwirklichkeit in Afghanistan nicht Bescheid zu wissen. In Mali habe sich die reale Lage ganz anders entwickelt, als bei der Zustimmung des Parlaments zum Mandat erwartet worden war.

Kein Beruf wie jeder anderes: Soldatenfamilien nach der Rückkehr aus dem Afghanistan-Einsatz.
Kein Beruf wie jeder anderes: Soldatenfamilien nach der Rückkehr aus dem Afghanistan-Einsatz.

© Hauke-Christian Dittrich/dpa

„Die Erfahrungen am Hindukusch sollten uns Demut lehren“, was man mit Militärinterventionen erreichen könne, folgerte der Bundestagspräsident. Frieden lasse sich „nicht kostenlos“ wahren oder schaffen. Beides habe einen Preis, auch einen moralischen Preis. Das gelte jedoch ebenso für die Weigerung zu handeln.

Verantwortung gegenüber einer schrecklichen Realität

Der Problemdruck wachse. In Folge der Pandemie, des Klimawandels und des Terrorismus seien Menschen von Armut, Hunger und Wassermangel bedroht. Kriege seien eine „schreckliche Realität“, mit der man gleichwohl „verantwortungsbewusst umgehen“ müsse, zitierte Schäuble den grünen Außenpolitiker Jürgen Trittin, der sich beim Parteitag im Juni gegen die Ablehnung bewaffneter Drohnen aussprach.

Es dürfe, betonte Schäuble, nicht bei einer Arbeitsteilung bleiben, in der „wir uns auf Aufklärungs-, Überwachungs- und Transportflüge beschränken“ und „andere kämpfen“.

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