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Die Ryanair-Maschine am Minsker Flughafen.

© AFP

Update

„Entschlossene und vereinte Reaktion“: Belarus zwingt Flugzeug zur Landung, EU berät über Sanktionen

Lukaschenko befahl einem Kampfjet, ein Passagierflugzeug abzufangen. Nach der Landung in Minsk wurde ein Regierungskritiker festgenommen.

Die Festnahme eines belarussischen Exil-Oppositionellen nach einer erzwungenen Notlandung seines Flugzeugs in Minsk hat in der EU scharfe Proteste ausgelöst. Nach Angaben der belarussischen Behörden wich die Maschine am Sonntag auf dem Weg nach Litauen wegen einer "Bombendrohung" von ihrem Kurs ab. Machthaber Alexander Lukaschenko befahl demnach einem Kampfjet, die Maschine abzufangen. Am Flughafen von Minsk wurde dann der Regierungskritiker und Journalist Roman Protassewitsch festgenommen, wie der Oppositionskanal Nexta berichtete.

Der Ryanair-Flug mit dem ehemaligen Nexta-Chefredakteur an Bord war auf dem Weg von Athen nach Litauen, als die Maschine in die belarussische Hauptstadt umgeleitet wurde. Die belarussische Präsidentschaft bestätigte, dass ein Kampfflugzeug vom Typ MiG-29 aufgestiegen sei, um das Flugzeug abzufangen.

Nach der Notlandung sei bei einer Überprüfung des Flugzeugs keine Bombe gefunden worden, berichtete Nexta in Online-Plattformen weiter. Es seien "alle Passagiere zu einer weiteren Sicherheitskontrolle geschickt" worden. Unter ihnen habe sich auch Protassewitsch befunden. "Er wurde festgenommen."

Gegen Abend konnte das Flugzeug seine Reise nach Litauen fortsetzen und schließlich am Sonntag mit mehr als achtstündiger Verspätung in Vilnius landen. Das Flugzeug mit der Nummer FR4978 landete um 21.25 Uhr, wie auf der Webseite des Flughafens zu sehen war. Ursprünglich sollte die in Athen gestartete Maschine mit mehr als 100 Menschen an Bord um 13 Uhr Ortszeit landen. Das Schicksal des festgenommen Journalisten war zunächst unklar.

Die Aktion sorgte in der EU und vielen ihrer Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, für Empörung. Die Staats- und Regierungschefs der EU wollen auf ihrem Gipfeltreffen am Montag über eine Verschärfung der Sanktionen gegen Belarus beraten. Ein Sprecher von EU-Ratspräsident Charles Michel sagte am Sonntagabend in Brüssel, bei dem geplanten Gipfel werde es um die erzwungene Landung des Ryanair-Fluges in Minsk gehen. "Bei dieser Gelegenheit werden Konsequenzen und mögliche Sanktionen diskutiert."

Frankreichs Außenminister Minister Jean-Yves Le Drian forderte eine "entschlossene und vereinte Reaktion" der 27 EU-Staaten. Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Miguel Berger, verlangte von Minsk eine "sofortige Erklärung" für die Aktion. Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sprach von einem "Akt des Staatsterrorismus".

Oppositionsführerin prangert Festnahme an

Litauens Präsident Gitanas Nauseda sprach von einer "abscheulichen Aktion" der Regierung von Machthaber Lukaschenko. "Ein beispielloser Vorgang! Eine zivile Passagiermaschine auf dem Weg nach Vilnius wurde zur Landung in Minsk gezwungen", schrieb er auf Twitter. Der britische Außenminister Dominic Raab erklärte, die "haarsträubende Aktion von Lukaschenko wird ernste Auswirkungen haben".

Der Blogger und Journalist Roman Protassewitsch.
Der Blogger und Journalist Roman Protassewitsch.

© dpa/ Sergei Grits

Die in Litauen im Exil lebende Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja prangerte die Festnahme ihres Mitstreiters ebenfalls an. Die Regierung von Belarus habe die Landung der Maschine mit Protasewitsch an Bord "erzwungen", schrieb sie auf Twitter. Ihm drohe nun die Todesstrafe in seinem Heimatland. Die belarussischen Behörden hatten den 26-jährigen Lukaschenko-Gegner im vergangenen November auf die Liste der "an terroristischen Aktivitäten beteiligten Personen" gesetzt.

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Laut Nexta hatte Protassewitsch bereits vor dem Einstieg in das Flugzeug berichtet, dass er verfolgt werde. Nach Angaben des derzeitigen Chefredakteurs Tadeusz Gicsan waren Agenten des russischen Sicherheitsdienstes KGB an Bord der Ryanair-Maschine.

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"Als das Flugzeug in den belarussischen Luftraum einflog, begannen KGB-Offiziere ein Gerangel mit dem Ryanair-Personal", berichtete er. Sie hätten behauptet, an Bord sei eine Bombe. Nach den Informationen der auf die Flugverfolgung spezialisierten Internetseite Flightradar24 wurde die Boeing über belarussischem Gebiet, kurz vor der Grenze zu Litauen, abgefangen. Eine Sprecherin der litauischen Flughäfen bestätigte AFP, dass der Flughafen von Minsk in einer ersten Erklärung von einem Streit zwischen Passagieren und der Besatzung gesprochen habe.

Drohung gegen die Piloten?

Der frühere Kulturminister Pawel Latuschko, der in der EU als Oppositioneller im Exil lebt, sagte unter Berufung auf seine Kontakte, dass die Flugleitzentrale in Minsk den Piloten mit einem Abschuss der Maschine gedroht habe, wenn sie nicht landen. Dazu sei auch ein mit Raketen bewaffneter Kampfjet MiG-29 aufgestiegen, um das Flugzeug zur Umkehr und auf den Boden zu zwingen. Dass ein Kampfjet aufstieg, haben die Behörden in Minsk zwar bestätigt, nicht aber die Drohung gegen die Piloten.

Über Nexta waren nach der von massiven Betrugsvorwürfen begleiteten Präsidentschaftswahl in Belarus im vergangenen August hunderttausende Demonstranten mobilisiert worden. Die monatelang andauernden Proteste hatten sich später abgeschwächt.

Die Sicherheitskräfte waren gewaltsam gegen die Demonstranten vorgegangen, mehrere Demonstranten wurden getötet, es gab Massenfestnahmen und Folter von Inhaftierten. Mehr als 400 Demonstranten wurden zu Haftstrafen verurteilt. (AFP)

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