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Christine Lambrecht (SPD), Bundesverteidigungsministerin, spricht bei einem Besuch der deutschen Truppen, die in Constanta (Rumänien) stationiert sind.

© Christophe Gateau/dpa

US-Bevölkerung schert sich wenig um die Ukraine: Europa muss sich alleine verteidigen können

Amerikas Hinwendung nach Asien, die drohende Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus: Wir können uns nicht wie bisher auf die USA verlassen. Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Josef Braml

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben.

Heute lesen Sie einen Beitrag von Josef Braml. Er ist Politologe und Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Denkfabrik Trilaterale Kommission. Weitere Autoren und Autorinnen sind Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Sigmar Gabriel, Günther Oettinger, Prof. Jörg Rocholl PhD, Prof. Dr. Bert Rürup, Prof. Dr. Renate Schubert, Jürgen Trittin.

Wladimir Putin habe gedacht, er könne den Westen spalten und die Nato würde nicht auf seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine reagieren, sagte US-Präsident Joe Biden in seiner Rede zur Lage der Nation. „Putin hat sich geirrt. Wir sind bereit.“ Seinen Treueschwüren stehen allerdings einige prosaische Fakten entgegen.

Am Vorabend der russischen Invasion waren zwei von drei Amerikanerinnen und Amerikanern nicht in der Lage, die Ukraine auf einer Weltkarte zu finden. Im Vorfeld der russischen Aggression hatte die Mehrheit der US-Bevölkerung gefordert, die USA sollten sich aus den Verhandlungen über die Ukraine heraushalten.

Und selbst nach Putins Überfall auf sein Nachbarland scharten sich Bidens Landsleute kaum um ihren Präsidenten – der sonst übliche patriotische Sammlungseffekt des „rally around the flag“ blieb weitgehend aus.

Die USA konzentrieren sich vor allem auf China

Konsens herrscht nur in einem Punkt: Kein amerikanischer Soldat wird sein Leben für die Ukraine riskieren. Kiew wird kein zweites Kabul werden. Wer diese Fakten kennt, sollte sich darauf einstellen, dass die unlängst auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz beschworene transatlantische Einigkeit nicht unbedingt von Dauer sein muss. 

Russlands völkerrechtswidriger Angriff auf die Ukraine erschütterte die regelbasierte Weltordnung und damit auch die Grundfesten deutscher und europäischer Außenpolitik. Amerikas strategische Hinwendung nach Asien, Bidens Führungsschwäche und die drohende Rückkehr des Putin-Bewunderers Donald Trump ins Weiße Haus sollte auf dem Alten Kontinent endlich die Einsicht reifen lassen: Trotz Washingtons momentanem Engagement in der Ukraine-Krise können wir Europäer uns nicht mehr wie bisher auf die USA verlassen.

Schon vor dem überstürzten Rückzug aus Afghanistan wirkte die Weltmacht angeschlagen. Überdies konzentrieren sich die USA längst auf den Jahrhundertkonflikt mit dem auch militärisch zum Rivalen aufgestiegenen China – und auf ihre nationalen Interessen. Deshalb sollte Europa endlich darauf hinarbeiten, sich selbst verteidigen zu können.

US-Präsident Joe Biden spricht zu Abgeordneten bei seiner Rede zur Lage der Nation.
US-Präsident Joe Biden spricht zu Abgeordneten bei seiner Rede zur Lage der Nation.

© Saul Loeb/dpa

Es ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung nun verstärkt in unsere Sicherheit investiert. Wie von Washington seit Längerem angemahnt, will sie künftig mindestens zwei Prozent der Wirtschaftsleistung fürs Militär ausgeben. Hinzu kommt das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, das aber nicht vorrangig dem wackligen Schutzversprechen der USA Tribut zollen sollte. Das Geld muss vielmehr in eigene militärische Fähigkeiten investiert werden, auch um technisches und industrielles Know-how in Europa zu halten.

Berlin und Paris müssen ein Konzept für eine gemeinsame europäischer Sicherheitspolitik erarbeiten

Die Bundesregierung sollte sich zur deutsch-französischen Rolle eines Motors für Kerneuropa bekennen, wobei alle Initiativen für andere europäische Staaten offen sein müssten. Es braucht einen Antreiber, denn der sicherheitspolitische Weg hin zu einer Verteidigungsunion  – er wurde letztmals in den frühen 1950er-Jahren beschritten, scheiterte dann aber am Veto der französischen Nationalversammlung – wird nicht im Gleichschritt erfolgen, zumal es Selbst- und Fremdblockaden zu überwinden gilt.

Immerhin haben sich Berlin und Paris im Aachener Vertrag ja bereits 2019 auf eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik verständigt. Um die militärische Zusammenarbeit zu stärken und den Weg hin zu einer Europäischen Verteidigungsunion zu ebnen, so heißt es in dem Vertrag, sei nicht zuletzt eine enge Zusammenarbeit der Rüstungsindustrien erforderlich.

Den Festtagsreden müssen im Lichte der von Putin verursachten Zeitenwende nun endlich Taten folgen: Berlin und Paris müssen ein Konzept für eine gemeinsame europäischer Sicherheitspolitik erarbeiten.

Was die Kooperation der Rüstungsindustrien betrifft, könnte Europa zum Beispiel das geplante Future Combat Air System (FCAS), das die veralteten Kampfflugzeuge Eurofighter und Rafale ersetzen soll, durchaus in Eigenregie schultern – auch wenn die  Kosten im dreistelligen Milliardenbereich liegen.

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Damit FCAS nicht im politischen Wolkenkuckucksheim endet, müssen zunächst die Wirtschaftsinteressen der bislang konkurrierenden deutschen und französischen Unternehmen austariert werden. Ohne eine verstärkte Achse Berlin-Paris und gesamteuropäische finanzielle Kooperationsanreize für die Rüstungsindustrien weiterer Länder ist nicht auszuschließen, das FCAS scheitert.

Washington will, dass die Europäer mehr Geld für amerikanische Rüstungsgüter ausgeben

Washington hingegen dürfte kaum an einem Gelingen europäischer Rüstungsinitiativen und Verteidigungsstrukturen gelegen sein. Schließlich würden die Europäer, sollte das FCAS-Projekt erfolgreich sein, nicht nur ihre militärische, sondern auch ihre technologische Abhängigkeit von den USA verringern und ihre eigene Souveränität stärken. Washington will zwar, dass die Europäer mehr Geld für Militär ausgeben – aber vor allem für amerikanische Rüstungsgüter. Der politisch-militärische Komplex in den USA sieht es nicht gerne, wenn Verbündete technologisch unabhängig werden.

Das wird bei der Ersetzung deutscher Tornado-Kampfjets besonders deutlich, die Washington bewusst mit der Machtfrage der „nuklearen Teilhabe“ verknüpft. Im Ernstfall könnte Berlin wohl nicht den Eurofighter für den Transport der in Büchel stationierten taktischen US-Nuklearwaffen einsetzen, sondern müsste dafür ein amerikanisches Waffensystem kaufen, um unter dem US-Nuklearschirm zu bleiben.

Ein Eurofighter startet vom Fliegerhorst in Neuburg an der Donau.
Ein Eurofighter startet vom Fliegerhorst in Neuburg an der Donau.

© Felix Hörhager/dpa

Solange die Bundesregierung die nukleare Teilhabe fortführt, delegiert sie letztlich die Entscheidung über Deutschlands nationale Sicherheit an den jeweiligen Amtsinhaber im Weißen Haus. Gleichzeitig gibt sie ihm einen wirkungsmächtigen Hebel in die Hand, der immer mehr dazu dient, aus dem politischen Schutzversprechen auch wirtschaftlich Kapital zu schlagen.

Das Streitthema nukleare Teilhabe sollte mit den USA und im Nordatlantikbündnis möglichst schnell geklärt werden: Mit der von Biden beabsichtigten Begrenzung der nuklearen Abschreckung auf ausschließlich atomare Bedrohungen – der sogenannten „Sole Purpose“-Strategie der USA – müssten die europäischen Nato-Länder ohnehin ihre eigene Abschreckungsstrategie gegenüber nichtnuklearen Bedrohungen grundlegend überdenken.

Eine gemeinsame deutsch-französische Außen- und Sicherheitspolitik sollte sich allerdings auch auf die nukleare Abschreckung erstrecken. Schließlich ist Paris – wie schon zu Zeiten von Staatspräsident Charles de Gaulle – ja durchaus bereit, seinen atomaren Schutz in eine europäische Gesamtstrategie einzubringen, also als europäischer Pfeiler innerhalb der Nato. Deutschlands Teilhabe an der „Force de Frappe“ würde vermutlich mehr Sicherheit bringen  als die von den USA dominierte „nukleare Teilhabe“. 

Wenn Deutschland als stärkste Volkswirtschaft Europas sein sicherheitspolitisches Schicksal an das militärisch mächtigere Frankreich knüpfte, würden auf dem Alten Kontinent, anders als in der Vergangenheit, Sorgen vor einem Großmachtstreben Berlins endgültig zerstreut. Für die notwendige europäische Sicherheitsunion wäre das eine wertvolle psychologische Vorleistung. 

Josef Braml

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