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Auf dem Bildschirm eines Tablets (l.) ist die Website des russischen Fernsehsenders RT zu sehen. Rechts ist auf dem Bildschirm eines Smartphones der offizielle Twitter-Account des ukrainischen Präsidenten Selenskyj zu sehen.

© dpa

Unterstützung für Russland in den Sozialen Medien: Der Informationskrieg ist nicht gewonnen

Russlands Darstellung des Kriegs hat international Anhänger. Und das sind keineswegs alles nur Bots. Ein Gastbeitrag.

Der Westen schien sich lange gewiss, dass Russland den Informationskrieg außerhalb des Landes verliert. Doch diese Annahme bröckelt: Ein Blick auf den Rest der Welt zeigt, wie russische Narrative dort verfangen. Zunächst schien das durchaus anders: Memes mit Traktoren, die russische Panzer ziehen; Sonnenblumen-Emojis in Social-Media-Profilen; ukrainische Flaggen, wo man hinsieht, und kaum Politiker:innen, die sich nicht für die Unterstützung der Ukraine aussprechen.

[Veronika Datzer ist Stipendiatin des Mercator Kollegs und Visiting Scholar beim Nato-Kompetenzzentrum für Cyberabwehr in Tallinn. Paula Köhler ist Forschungsassistentin in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.]

Im Westen war man sich einig: Das Putin Regime überfällt völkerrechtswidrig die Ukraine und die Ukraine wehrt sich gegen eine grausame Invasion. Schon nach wenigen Tagen und Wochen vermeldeten einige westliche Medien, dass die Ukraine den Krieg im Informationsbereich gewonnen habe. Aber stimmt das?

Ein Blick über den Tellerrand des Westens zeigt, was in der westlichen Medienlandschaft lange nicht vorkam: Bereits nach Beginn der Invasion teilten Tausende Twitter-Accounts aus Staaten wie Indien, Nigeria oder aber Südafrika ihre Unterstützung für Putins Invasion unter den Hashtags #IstandwithPutin und #IStandwithRussia, während in Deutschland und anderen westlichen Staaten hauptsächlich Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine zu lesen waren.

Aus Indien bekommt Putin viel Unterstützung

Zunächst war unklar, ob es sich lediglich um russische Bots handelte. Zwar sind viele der Accounts erst vor Kurzem online gegangen, doch scheint zumindest ein Teil derer, die aktiv unter den Hashtags gepostet haben, authentische Nutzer:innen zu sein. Besonders in Indien trägt die russische Propaganda und Desinformation, gepaart mit engen wirtschaftlichen und politischen Bindungen, Früchte: Die Unterstützung Putins scheint insbesondere unter Unterstützer:innen des Premiers Modi und seiner nationalistischen Partei BJP verbreitet.

[Der Ukraine-Krieg und Berlin: Alles Aktuelle und Wichtige hier im Newsblog.]

Die verbreiteten Inhalte kreisen dabei immer wieder um dieselben Themen. So zeigen Carl Miller und seine Kolleg:innen von der Organisation CASM Technology, dass vor allem Narrative, die westliche Doppelmoral und Heuchelei kritisieren, stark vertreten sind. Zum Beispiel der Irakkrieg, die angeblich russische Sicherheitsinteressen gefährdende Expansion der Nato oder die westliche Intervention im Kosovo werden häufig angeprangert.

Doch auch Beispiele, bei denen der Ukraine Rassismus vorgeworfen wird, werden durch Tweets, Memes und Videos verbreitet. Zudem gibt es Posts, die Solidarität der BRICS-Länder gegen den Westen beschwören. Diese Posts werden auch durch „Russia Today en Español“ verbreitet, was inzwischen die drittmeistgeteilte spanischsprachige Quelle auf Twitter zum Thema Krieg in der Ukraine ist und insbesondere in Lateinamerika genutzt wird.

Das soll nicht bedeuten, dass jede Form von Kritik an westlicher Politik automatisch russische Propaganda ist. Jedoch ist der gezielte Einsatz von Hashtag-Pairing und Whataboutism, mit dem die russische Invasion durch ein Hinweisen auf Fehler des Westens relativiert wird, eine beliebte Taktik des Kreml. Und womöglich könnte es eine Strategie Putins sein, den russischen Informationskrieg auf nichtwestliche Staaten zu konzentrieren, in denen er möglicherweise langfristige wirtschaftliche Partner sieht.

Auch im Westen wird die Öffentlichkeit verunsichert

Zwar sind viele der Accounts mittlerweile von den bekannten sozialen Medien wie Twitter verschwunden, doch haben es die Drahtzieher hinter der Kampagne geschafft, nicht nur die Hashtags, sondern auch ihre Propaganda zu verbreiten. Es wird deutlich, dass Desinformation selten komplett neue Geschichten erfindet, sondern Fakten und Fiktion gezielt vermischt. Dies erschwert eine Auseinandersetzung dort, wo Kritik an der Politik des Westens durchaus angebracht ist, aber auch die ganz praktische Moderation von Inhalten auf sozialen Medien.

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Obwohl ein Großteil der russischen Narrative im Moment gezielt ein nichtwestliches Publikum anspricht, mehren sich genau solche Versuche auch in westlichen Medien. So sehen wir erste russische „Erfolge“. Parallel zu authentischer Berichterstattung wird eine wachsende Zahl an Falschinformationen zu denselben Themen veröffentlicht. Diese Überflutung mit sich widersprechenden Informationen hat zum Ziel, die Öffentlichkeit zu verunsichern und Misstrauen gegenüber jeglicher Berichterstattung zu säen. Das passiert aktuell in der Berichterstattung zu Butscha.

Russland baut neue Wege zur Verbreitung seiner Gegen-Narrative auf

Darüber hinaus verstärken sich in den USA Weltbilder von Rechten wie dem Fox-News-Moderator Tucker Carlson und russischen Propagandisten gegenseitig. Auch in Deutschland häufen sich Fälle erfolgreicher russischer Einflussnahmen und es zeichnet sich immer offenere Unterstützung auch für Russland ab. Erst am Wochenende fuhr ein Autokorso mit 900 Teilnehmer*innen, stolz russische Fahnen schwenkend, durch Berlin. Es ist unklar, ob und wie die Teilnehmenden in Zusammenhang mit Desinformationskampagnen Putins stehen, aber zumindest verstärken sie die Propaganda Putins. Abgesehen von den Entwicklungen in sozialen Netzwerken warnten das ukrainische IT-Krisenteam sowie der deutsche Verfassungsschutz unlängst, dass die mutmaßlich vom russischen Geheimdienst gesteuerte Hackerkampagne „Ghostwriter“ wieder Fahrt aufnehmen würde: Diese könnte insbesondere auf Polen und die Länder des Baltikums abzielen.

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Klar ist: Es ist zu früh, um zu beurteilen, ob die Ukraine und der Westen den Informationskrieg gewonnen haben. In der aktuellen Situation zeichnet sich ein langwieriger Konflikt ab und je länger dieser dauert, desto mehr Zeit hat auch Russland, die Desinformationsmaschine anzukurbeln. Nachdem Amplifikationskanäle wie Youtube für Russland gesperrt worden waren und so lange Zeit wenig Desinformation zum Krieg durchdrang, ist zu erwarten, dass Russland neue Wege zur Verbreitung seiner Gegen-Narrative aufbaut. Besonders die Gräueltaten aus der Ortschaft Butscha könnten dazu führen, dass der Kreml versucht, durch Desinformation seine Kriegsverbrechen in der Ukraine zu vertuschen und zu relativieren.

Veronika Datzer, Paula Köhler

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