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Stop mit "Social Engineering": China lockert die Ein-Kind-Politik

© dpa

Sozialpolitik in China: Ende des gesellschaftlichen Maßschneiderns

China beendet seine grausame Ein-Kind-Politik - das Modell "Social Engineering" ist gescheitert. Aus der Abkehr von der erzwungenen Gesellschaftsformung kann auch Deutschland lernen.

Die Volksweisheiten haben sich gewandelt. „Eine Tochter ist ein Lottogewinn“, deklamiert Herr Wu. Der 28-Jährige muss zwar zahlen, um heiraten zu dürfen, zählt sich aber zu den Glücklichen in Peking. 30.000 Dollar verlange die Familie seiner künftigen Frau. Das sei immer noch besser, als leer auszugehen. In Chinas Städten herrscht Frauenmangel. Er ist die Folge eines Großversuchs im „Social Engineering“: der Formung einer Gesellschaft durch Zwangsmaßnahmen. Meist haben sie unerwünschte Konsequenzen, die ihre Urheber nicht mitbedacht haben.

1980 hatte Chinas KP die Ein-Kind-Politik angeordnet. Sie fürchtete, dass das Bevölkerungswachstum sonst jeden ökonomischen Fortschritt auffressen werde. Mit rigorosen Mitteln erzwang sie die Einhaltung und setzte so eine grausame Dynamik in Gang. Eltern töteten weibliche Babys, da sie sich einen Sohn gewünscht hatten. Den natürlichen Ausweg, es mit einem zweiten Kind zu versuchen, hatte die Partei versperrt. Behörden terrorisierten Familien, die sich widersetzten, mit Zwangsabtreibungen. China gelang es, die Geburtenrate von 33,4 pro Tausend 1970 auf 15,6 pro Tausend im Jahr 1998 zu halbieren.

Lange wurde die KP für ihre Einsicht in die Notwendigkeit gelobt. Die Eingriffe in die Familienstrukturen seien brutal, dienten aber den Nationalinteressen. Mehr als 30 Jahre später gibt die Partei die Ein-Kind-Politik auf. Heute ist offensichtlich, dass sie neue Ungleichgewichte geschaffen hat, die die Zukunft und Prosperität der chinesischen Gesellschaft ähnlich bedrohen wie damals die gefürchtete Bevölkerungsexplosion. Sie zeigen sich in Herrn Wus Erfahrung mit der Ökonomie des Heiratsmarkts und anderswo. In den Großstädten ist die Geburtenrate weit unter die Reproduktionsrate von 2,1 Kindern pro Ehepaar gefallen. In Schanghai liegt sie laut der Volkszählung von 2010 bei 0,7.

Chinas Ein-Kind-Politik hatte im Vergleich wenig Erfolg - aber brachte großes Leid mit sich

In 20 Jahren werden auf einen Rentner nur zwei Bürger in erwerbsfähigem Alter kommen, rechnet Wang Feng, Soziologe an der University of California, vor. Wer wird die Alten pflegen, nachdem 30 Jahre lang Kindermangel vorgeschrieben war? Im Rückblick können Forscher zudem nachweisen, dass die Ein- Kind-Politik nicht unumgänglich war. Die durchschnittliche Kinderzahl in China hatte sich bereits im Jahrzehnt davor von 5,8 auf 2,7 halbiert, dank der natürlichen Reaktion auf veränderte Lebensbedingungen. Ein Vergleich mit 16 großen Entwicklungsländern, die 1970 ähnlich hohe Geburtenraten hatten, aber keine Ein-Kind-Politik verordneten, zeigt: Auch ihre Geburtenraten reduzierten sich signifikant, im Schnitt von 35,6 auf 22 pro Tausend. China war nur wenig erfolgreicher. Doch um welchen Preis an Leid, an Kindstötungen und Familientragödien!

Nun hat Chinas Führung den Abschied von der Ein-Kind-Politik beschlossen. Lernt die Menschheit daraus? Sie war ja nur ein besonders krasses und grausames Beispiel für die Illusion, dass die Politik Gesellschaften nach einem Wunschbild formen könne, statt auf die freiwillige Anpassung der Menschen an soziale und ökonomische Veränderungen zu vertrauen. Die positiven Effekte der Zwangseingriffe werden vorher regelmäßig überschätzt und das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen ebenso regelmäßig ignoriert. Der Geist des „Social Engineering“ ist auch westlichen Gesellschaften nicht fremd, obwohl die nach ihrem Selbstbild der individuellen Freiheit und den natürlichen Reaktionen, vulgo „Marktkräften“, Vorrang geben.

Deutschland gibt Milliarden aus, um die Geburtenrate zu steigern - ohne Erfolg

Wer hinterfragt in Deutschland, ob Verbote und Subventionen die behaupteten Ziele erreichen – und fordert eine Abkehr, wenn das nicht der Fall ist? Seit vielen Jahren schüttet die Bundesregierung, zum Beispiel, viele Milliarden aus, um die Geburtenrate zu steigern – ohne großen Erfolg. Dies führt aber nur zum Ruf nach noch mehr Geld und nicht etwa zu den Fragen, ob der gedankliche Ansatz womöglich falsch sei und was andere Industrieländer besser machen, in denen mehr Kinder geboren werden, obwohl sie keine so hohen Förderungen anbieten?

Ähnliches gilt für erneuerbare Energien. Anderswo steigt ihr Anteil ebenfalls dynamisch, zwar etwas langsamer als hier, aber ohne die deutsche Überförderung. Unseren Weg hält das Ausland für eine gigantische Geldverschwendung. Niemand möchte ihn kopieren. Gott sei Dank geht es da nur um Geld, nicht um Tötungen als Folge staatlicher Zwangspolitik. Zweierlei sollte Chinas Erfahrung lehren: Skepsis gegen gesellschaftliche Großexperimente. Und Mut zur Umkehr, wenn der Schaden durch unerwünschte Nebenwirkungen zu groß wird.

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