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Ein weltweiter Kampf: Frauen in Ecuador protestieren im März gegen die geplante Verschärfung der Abtreibungsgesetzes in ihrem Land.

© Johanna Alarcon/Reuters

Schwangerschaftsabbruch: Der Bauch der Bürgerin

Wer nicht einmal über den eigenen Körper verfügt, welche Rechte hat der oder die? Was Staatsbürgerschaft und Abtreibung verbindet - ein Kommentar

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

"Keine Kompromisse" – eine Art Aufschrei, der Berufspolitiker:innen ziemlich unpolitisch vorkommen muss, ist der Titel einer Petition, die ein buntes Bündnis feministischer und queerer Gruppen im Februar startete. Sie wollen nach dem § 219a nun auch den zentralen Paragrafen gegen den Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetz bekommen, den § 218. Das haben Frauen, aber auch Männer, 150 Jahre lang versucht. Seit es den Paragrafen gab. Was sie bekamen, waren bisher Kompromisse. Der letzte im Zuge der Einheit konnte selbst politische Köpfe durchaus glauben lassen, es sei so gut wie geschafft: immerhin Straffreiheit, wenn ein paar Bedingungen erfüllt waren.

Gebären müssen oder nicht dürfen: Zwei Seiten der Frauenverachtung

Doch seit sich die Gießener Ärztin Kristina Hänel und nach ihr andere Kolleginnen gegen das angebliche „Werbeverbot“ für Abtreibung im 219a wehrten, wurde klar: Der Kompromiss war faul. Weil Schwangerschaftsabbruch weiter eine Straftat ist, wird er nicht im Medizinstudium gelehrt, wird er schamhaft verschwiegen, gibt es immer weniger Ärzt:innen, die ihn anbieten. Er bleibt ein verweigertes und dabei elementares Frauenrecht.

Wobei das für viele andere hieß und heißt, nicht gebären zu dürfen. Im soeben erschienenen Buch "Selbstbestimmt" widmen sich die Journalistinnen Patricia Hecht und Dinah Riese und die frühere frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Gesine Agena, der Geschichte und Gegenwart reproduktiver Rechte. Historisch hatte das Abtreibungsverbot immer eine paradoxe andere Seite, Sterilisation und Zwangsabtreibungen.

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Erwünschte Kinder mussten zur Welt gebracht werden, weiße, gesunde und alle, die Arbeitssklavinnen oder Kanonenfutter werden sollten. Gebärverbot galt für Behinderte, Kranke, aber auch für rassistisch abgewertete Frauen. Das NS-Regime mordete und sterilisierte im „Euthanasie“-Programm. Aber eugenisches Denken verschwand 1945 nicht, weltweit nicht: In den USA wurden zwischen 1970 und 1976 schätzungsweise die Hälfte der Native Women gebärunfähig gemacht, von 1966 bis 1989 Tausende Romnja auf dem Gebiet der heutigen Slowakei. Und bis heute wird es Menschen mit Handicap schwergemacht, Eltern zu sein.

Femizide, Wegschweigen von Frauen - Europa kann das ganz ohne Scharia

„Keine Kompromisse!“ ist also ein passender Schlachtruf. Die Kompromisse haben den Kern des Problems immer unberührt gelassen. Mit eben jenen praktischen Folgen. Aber sie haben auch auf der symbolischen Ebene einen hohen – politischen – Preis. Wer nicht einmal das Recht auf den eigenen Körper hat, ganz gleich ob zum Gebären oder Nichtgebären: Ist der oder die überhaupt ein Mensch im vollen Sinne? Kann sie Bürgerin sein?

Offensichtlich auch dann nicht richtig, wenn sie das Recht dazu auf dem Papier hat. Die Art, wie heute im Netz mit Frauen umgegangen wird, was Frauen geschieht, die öffentlich sprechen, dazu die Zahl der Femizide ist deutlich. Und wie anders will man die quasisaudische Geschlechterordnung in Meetings, Vorstandssitzungen, Redaktionskonferenzen deuten, wo es gar keine Scharia braucht, um Frauen auszuschließen, wegzuschweigen und ihre Beiträge lächerlich zu machen, vorzugsweise die besseren?

Russische Feministinnen haben kürzlich gegen den Krieg gegen die Ukraine mit den Worten protestiert, er werde auch für jene „traditionellen Werte“ geführt, die zuallererst gegen Frauen gingen. Getroffen! Insofern ist feministische Politik seit dem 24. Februar dringender denn je. Außenpolitik eingeschlossen.

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