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Eine russische Öl- und Gasförderanlage in Nowy Urengoi.

© dpa

Russland und die deutsche Energieversorgung: Deutschland braucht eine neue Energie-Außenpolitik

Die Ukraine-Krise hat die Aufmerksamkeit auf geopolitische Faktoren gelenkt, die die Energieversorgungssicherheit maßgeblich mitbestimmen. Und es gibt weitere gute Gründe, sich mit einer vorausschauenden Energie-Außenpolitik neu zu positionieren.

Im Zuge der Ukraine-Krise ist die große Importabhängigkeit Deutschlands von russischem Gas und Öl in den öffentlichen Fokus gerückt. Abermals wird uns vor Augen geführt, dass Geopolitik ein Schlüsselfaktor für die Versorgungssicherheit bleibt. Diversifizierung ist mithin ein logischer, aber kein einfacher Schritt und wird nur mit EU-Partnern, zu höheren Kosten als bisher und mit Strukturveränderungen zu machen sein. Zugleich greift es zu kurz, sich nur auf die Diversifizierung von Russland zu konzentrieren. Daneben gibt es zahlreiche weitere Gründe, die eine vorausschauende Energie-Außenpolitik erforderlich machen.

Grundlegende Veränderung der Energiemärkte erfordert Neuausrichtung

Die Nachfragezentren auf den internationalen Energiemärkten verschieben sich in den pazifischen Raum, Nordamerika wird zum größten Energieproduzenten und der Mittlere Osten verbraucht immer mehr seiner fossilen Energie selbst. Die Ungewissheiten über die weitere Entwicklung sind groß. Staaten wie Unternehmen müssen sich in dieser sich wandelnden Energielandschaft neu positionieren. Vor diesem Hintergrund braucht Deutschland eine Energieaußenpolitik, um die kooperativen Beziehungen zu Verbraucher-, Transit-, Liefer- sowie Energiewende- und EU-Partnerländern anzupassen. Ein Ziel sollte es dabei sein, die USA für die Stärkung der internationalen Energie-Governance und funktionierende, globale Energiemärkte in die Verantwortung zu nehmen. Die Ukraine-Krise bietet hierfür eine Chance.

Neue Gestaltungsspielräume erlauben eine Bündelung energie- und außenpolitischer Interessen

Zu den konventionellen und regenerativen Energiequellen kommen heute nicht-konventionelle Ressourcen hinzu; vieles ist geologisch verfügbar und technologisch machbar. Das schafft Gestaltungsspielräume, die die Chance bieten, das Bezugsportfolio und die Energiebeziehungen nach ihrer Dividende für Frieden, Stabilität und Wohlfahrt auszurichten. Energie- und klimapolitische Interessen und außenpolitische Präferenzen sollten strategisch gebündelt werden: so würde etwa die Transformation in Nordafrika unterstützt, wenn man auf eine Partnerschaft zum Ausbau der Erneuerbaren Energien im Austausch für Gaslieferungen setzte. Im östlichen Mittelmeer könnte der Energiehandel die Einhegung von Konflikten befördern.

Die EU-Positionen drohen angesichts der Ukraine-Krise auseinanderzudriften

Die Ukraine-Krise sowie die Frage nach dem weiteren Umgang mit Russland bergen auf mittlere Sicht die Gefahr eines Auseinanderdriftens von EU-Positionen. Es wird großer Anstrengungen bedürfen, politische und wirtschaftliche Interessen auszutarieren. Insbesondere darf die konjunkturelle Erholung von der Krise im Euroraum nicht aus dem Blick geraten. Deutschland hat hier eine Schlüsselrolle, der es sich stellen muss: es ist eines der EU-Länder, dessen Energiesektor eng mit Russland verflochten ist. Deutschland ist die Drehscheibe für russisches Gas in Europa. Zudem hängt die Wettbewerbsfähigkeit seiner Raffinerien zum Teil am russischen Rohöl. Kurzfristig ist eine gesicherte Energieversorgung ohne Russland nicht machbar; auch mittelfristig wird sie nur mit Russland komfortabel sein. Umso wichtiger ist es, dass Deutschland aktiv den Ausgleich zwischen völkerrechtlichen Prinzipien, eigenen Interessen und den Interessen der EU-Partner sucht.

Energiewende und Diversifizierung brauchen verlässliche Rahmenbedingungen

Deutscher Energie-Außenpolitik muss an stabilen und klaren EU-Rahmenbedingungen für die Fortführung der Energiewende gelegen sein. Ohne klare gemeinsame EU-Klima- und Energieziele wird die Nachfrageentwicklung vor allem beim Erdgas im Unklaren bleiben. Nachfragesicherheit ist aber ein zentraler Baustein für Diversifizierung und Netzausbau. Auch die Diversifizierung setzt ein Miteinander in der EU voraus, denn sie beginnt nicht erst an den EU-Außengrenzen. Der EU-Binnenmarkt ist nicht vergleichbar mit einem Pool, für den nur entscheidend ist, dass er von außen ausreichend befüllt wird.

Vielmehr müssen Flüssigerdgas (LNG) aus Katar oder den USA und Erdgas aus Norwegen oder aus Aserbaidschan zum richtigen Zeitpunkt und zu der passenden Qualität an den Ort gelangen, an dem sie gebraucht werden. Um dies zu gewährleisten, müssen in der EU weiter Pipelines gebaut und Rückflussoptionen geschaffen, aber auch die strategische Krisenvorsorge verbessert werden, damit nicht alles zu jeder Zeit von der Liquidität der Gasversorgung von außen abhängt.

Versorgungssicherheit als Staatsaufgabe gewährleisten

Der Staat kann zwar die Energieversorgung privaten Unternehmen überantworten, dies entbindet ihn jedoch nicht davon, die Versorgungssicherheit als öffentliches Gut zu garantieren. In Deutschland wurde privatisiert, entflochten, zerstückelt, verkauft. Ein Großteil der Energieversorgungskette beginnt im Ausland. Aus der Summe der Teile aber ergibt sich noch kein sicher versorgtes Land. Denn die Unternehmen sorgen aus eigenen Stücken nicht für Krisen vor. Sie werden von sich aus auch nicht die dringend notwendigen Diversifizierungsprojekte wie etwa den Bau des LNG-Terminals in Wilhelmshaven vorantreiben. Die mangelnde Nachfragesicherheit, eine fehlenden Bindung der Unternehmen an den deutschen Markt, hohe Projektkosten und ihre Profitorientierung halten sie davon ab. Entsprechend muss der Staat sich damit auseinandersetzen, wie Versorgungssicherheit in einem veränderten Umfeld garantiert werden kann. Die Debatte hierüber wird jedoch im Augenblick zu wenig geführt.

Die Energie-Außenpolitik wurde zuletzt vernachlässigt, weil sich die Frage der Versorgungssicherheit im Zuge der Stromwende in Deutschland weitgehend auf das technische Problem von Systemstabilität im Stromnetz reduziert hatte. Es hat sein Gutes, dass die Ukraine-Krise die Aufmerksamkeit nun auf die geopolitischen Faktoren lenkt, die die Versorgungssicherheit maßgeblich mitbestimmen. Die dringend gebotene Ausgestaltung einer vorausschauenden Energie-Außenpolitik rückt so in greifbare Nähe.

Kirsten Westphal forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) u.a. zu internationalen Öl- und Gasmärkten sowie zu Versorgungssicherheit. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik Kurz gesagt.

Kirsten Westphal

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