zum Hauptinhalt
Kopftuch vor Gericht: Bürgerrechtler:innen kritisieren, dass das Kopftuchverbot weit über den öffentlichen Dienst hinaus wirkt - hier die Kundenberaterin eines Drogeriemarkts, die gegen das Verbot ihres Arbeitgebers vor Gericht zog.

© Uwe Anspach/pa-dpa

Neues Kopftuchgesetz: Warum stellt der Staat Kopftücher auf eine Stufe mit NS-Tattoos?

Die Drangsalierung kopftuchtragender Frauen geht weiter. Jetzt wurde, in aller Stille, sogar ein Bundesgesetz erlassen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Fast ein Vierteljahrhundert schwelt nun schon der Konflikt um das Kopftuch muslimischer Frauen. Es ging schon zu Beginn, als die Lehrerin Fereshta Ludin in Baden-Württemberg klagte, meist um den öffentlichen Dienst. Aber allein die Debatte wirkte all die Zeit über auch auf die Berufschancen von Kopftuchträgerinnen anderswo. Sie traf sogar Arzthelferinnen und Drogeriemarktmitarbeiterinnen. Gegen die Macht des Narrativs über sichtbare Musliminnen - ein diskriminierendes, antimodernes, illiberales und notabene frauenfeindliches – halfen den Opfern im Rechtsstaat Deutschland nicht einmal etliche höchstrichterliche Urteile, die der Willkür ihres Ausschlusses wenigstens Grenzen zu setzen suchten.

Es ging um NS-Tattoos, doch die Gelegenheit war günstig

Als wäre das alles nicht genug, hat der Bundestag letzte Woche noch eins draufgesetzt. Unter dem harmlosen Titel „Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten“ sollte eigentlich Vorsorge getroffen werden, dass Polizisten oder Richterinnen nicht zum Beispiel Tattoos verfassungsfeindlichen Inhalts tragen und womöglich sogar zeigen. Doch das federführende Bundesinnenministerium hielt die Gelegenheit offenbar für günstig, das alte Projekt weiterzutreiben und gleich auch „nicht neutrale“ religiöse Kleidung von Staatsdienerinnen und -dienern in den Entwurf zu schreiben. Im Text geht es auch ums christliche Kreuz und die jüdische Kippa, in der GroKo schwört man, das sei - nach acht Ländergesetzen – keine Lex Kopftuch bundesweit, und es sei ja auch klargestellt, dass Religiöses nur verboten sei, wenn es „objektiv“ neutrale Amtsführung gefährde,. Alles in den engen Grenzen, die das Verfassungsgericht gezogen habe.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Man sieht das Augenzwinkern der Gesetzesverfasser:innen hinter so einem Wort förmlich. Die Sache mit dem objektiven Nachweis, den höchste Gerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht forderten, diese engen Grenzen: Das hat schon bisher wenig geholfen, sondern – auch dieses Gesetz beweist es – den Elan der Anti-Kopftuch-Front nur angestachelt, immer wieder Umgehungen und Schlupflöcher zu finden. Und, klar, man hat gelernt. So plump, wie der Bund noch 2003 Fereshta Ludin vor dem Bundesverwaltungsgericht als Gefahrenherd diffamierte, geht man heute nicht mehr vor: Damals konnte das Bundesinnenministerium in seiner schriftlichen Stellungnahme nicht einmal zwischen Kopftuch und Tschador unterscheiden, schrieb von „fremder Religiosität“, deren Ausdruck es - oder er, der Tschador?- sei, und vom Interesse der „Elternschaft, ihre Kinder vor Einflüssen durch eine kopftuchtragende Lehrerin bewahrt zu wissen“.

Die Anti-Kopftuch-Front hat gelernt

Heute anerkennt man die Religionsfreiheit im Grundgesetz, erwähnt die Urteile und führt die Attacke versteckt, ohne Plenardebatte, unter einer Flagge, unter der sich alle sammeln können. Geht doch um Nazi-Tattoos, wer wollte dagegen sein? Die Zielrichtung ist dieselbe geblieben. Und dass es ganz wesentlich ums Kopftuch ging, davon zeugt das Abstimmungsverhalten der Opposition: Aus genau diesem Grund stimmte die Linke dagegen und die AfD mit der Regierung. FDP und Grüne erwähnten das Problem, enthielten sich aber. Warum nicht auch sie klar Nein sagten, wäre eine Frage für sich.

Die entscheidenden Fragen freilich sind: Welches Verständnis seiner eigenen Neutralität hat der Staat, wenn er Kreuze zum Beispiel in allen bayerischen Amtszimmern duldet, aber das Kopftuch verbannt? Was sagt uns der Bann von Kippa und Kopftuch über die Zugehörigkeit von Juden und Musliminnen im Jahre 2021? Welches Bild von „richtigen“ Staatsdienerinnen und -dienern verbirgt sich hier, wie passt es zum Deutschland von heute, das bereits zu mehr als einem Viertel aus Menschen mit Migrationshintergrund besteht, in der jungen Generation - Schulen! - vielerorts zu mehr als der Hälfte? Wer bitteschön definiert dieses Bild?

Die Antworten müssen in einer vielfältigen Gesellschaft alle beunruhigen, nicht nur, was schlimm genug wäre, Einwanderer und ihre Kinder.

Zur Startseite