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Zwei junge Männer aus Syrien und Irak in einer Ausbildungswerkstatt der Deutschen Bahn.

© Martin Schutt/dpa

Fünf Jahre nach Ankunft der Geflüchteten: Vom syrischen Flüchtlingskind zum Einser-Schüler

Viele syrische Jugendliche haben mit Entschlossenheit ihre Chance in Deutschland ergriffen. Ein Segen für ihre neue Heimat. Eine Kolumne.

Im Schatten der Covid-Krise könnte ein Jahrestag leicht untergehen: Fünf Jahre ist es her, dass mehrere hundertausend Syrierinnen und Syrier auf der Flucht vor einem grausamen Krieg in Deutschland ankamen, und seit fünf Jahren hören die Debatten darüber nicht auf.

Fünf Jahre ist es her, dass Angela Merkel, ohne irgendjemanden nach der Meinung zu fragen, sich weigerte, ihnen die Tür des Landes vor der Nase zuzuschlagen.

Vor fünf Jahren beschlossen viele Berliner beim Anblick der Zustände in den Sammelunterkünften und der Schlangen vor den Meldezentren, den Geflüchteten ihre Hilfe anzubieten: zum Beispiel sie in Deutsch zu unterrichten oder sie bei ihren Gängen auf diverse Ämter zu begleiten.

Fünf Jahre ist es auch her, dass viele andere, darunter namhafte Intellektuelle, ihrem Unmut, ihrer Angst vor einem „Überrolltwerden“ Ausdruck verliehen. Fünf Jahre, dass die AfD die Situation – was für ein Schock für Deutschland! – als Sprungbrett ins Parlament nutzte.

Die Franzosen bewundern Merkel für ihren moralischen Kompass

Die Franzosen, die nur einige Zehntausend Flüchtlinge aufnahmen, bewundern seitdem Angela Merkel dafür. Was für ein moralischer Kompass, was für eine Entschlossenheit! Doch sie vermuten auch demografische Beweggründe hinter dieser Geste: Die Deutschen bekommen immer weniger Kinder, bald wird es an Arbeitskräften fehlen.

Es braucht dringend Menschen für das Land und seine Unternehmen, wenn es seinen Platz unter den führenden Wirtschaftsnationen behalten will. Syrer und Afghanen werden diese Lücke füllen. Eine gerade in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichte Studie kommt zu einem ähnlichen Schluss. Die Demographen gehen darin davon aus, dass die Weltbevölkerung in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts abnehmen wird, in mehreren europäischen Ländern langfristig sogar um die Hälfte.

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Aufgrund des Zugangs zu Verhütungsmitteln und der zunehmend guten Bildung von Mädchen gehe die Geburtenrate stark zurück. Fazit: Für Industrieländer mit niedrigen Geburtenraten sei eine geregelte Einwanderungspolitik die beste Lösung, um auf Dauer den Lebensstandard der Bevölkerung aufrecht erhalten zu können. Einwanderung, so die Forscher, sei keine Option, sondern eine Notwendigkeit.

Ihre Entschlossenheit ist beeindruckend

Ich habe mich diese Woche mit syrischen "Wunderkindern“ getroffen. Vor fünf Jahren sind sie angekommen, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, und in eine Kultur getaucht worden, die sich radikal von ihrer eigenen unterscheidet. Nun haben sie ein Einserabitur abgelegt.

Ja, klar, werden einige sagen, es sind immer die „Muster-Migranten“, die ihren Weg in die Herzen ihrer Gastgeber und in die Spalten der Zeitungen finden. Wurde nach dem WM-Sieg von Les Bleus nicht auch plötzlich die Multiethnizität der französischen Mannschaft über alles gelobt, während gleichzeitig die Wählerstimmen für den Front National beunruhigend in die Höhe schnellten?

Als ich den jungen Leuten zuhörte, die mir vom Bürgerkrieg zu Hause erzählten, von der Odyssee ihrer Flucht, ihrer Ankunft in diesem kalten und grauen Land, ihrer Entwurzelung und ihrer Entschlossenheit, Deutsch zu lernen, dachte ich an unsere eigenen Teenager, die sich auf dem Familiensofa fläzen und mit Nachhilfe und Drohungen zum Abitur geschleppt werden müssen.

Die jungen Migranten finden Merkel ganz einfach "klug"

Ich war voller Bewunderung für den Stolz dieser jungen Migranten. Als ich sie fragte, was sie von Angela Merkel halten, antworteten sie nicht, dass sie „großzügig“ oder „barmherzig“ sei, sondern „klug“.

Klug, weil wir ihr helfen werden, die Zukunft ihres Landes aufzubauen. Wir werden ihr helfen, die Wirtschaft am Laufen zu halten. Das wird unser Dank sein.“ Die Einserabiturienten wollen Medizin studieren, die anderen werden vielleicht die Ingenieure, Handwerker und anderen Fachkräfte werden, die Deutschland so dringend braucht.

Übersetzung aus dem Französischen: Odile Kennel

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