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Europa und der Friedensnobelpreis: Erbärmlich und selbstgefällig

Am Freitag wird wieder der Friedensnobelpreis verliehen - zuletzt ging er an die Europäische Union. Heute, ein Jahr später, stellt sich die Frage, ob sie ihn wirklich verdient hatte.

Bei keinem anderen Nobelpreis wird so wie beim Friedensnobelpreis vorher gestritten, wer der Auszeichnung würdig sei, und hinterher darüber, ob es wieder den Falschen getroffen habe. Freitag ist es erneut so weit. Die pakistanische Bloggerin Malala Yousafzai, die Taliban durch einen Kopfschuss töten wollten, nur, weil sie sich für das Recht von Mädchen auf Bildung einsetzte, wäre die Jüngste je so geehrte. Sie ist 16 Jahre alt.

Im vergangenen Jahr wurde der Europäischen Union die Auszeichnung zuerkannt. Das Nobelkomitee stellte damals fest, die EU erlebe zwar „derzeit ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten und beachtliche soziale Unruhen“, habe aber über Jahrzehnte zur Förderung von Frieden und Versöhnung beigetragen. In ihrer Dankesrede nannten es Ratspräsident Van Rompuy und Kommissionspräsident Barroso später als eines der Geheimnisse der Europäischen Union, dass in ihr nie Sieg oder Niederlage das Thema sei, sondern, „dass alle Länder aus den Gesprächen als Sieger hervorgehen“.

Ob der Friedensnobelpreis verdient war, ist angesichts von Lampedusa mehr als fraglich

An diesen Ansprüchen gemessen hat die Realität Europa entlarvt und die Auszeichnung fragwürdig gemacht. Die moralische Integrität der EU ist durch das furchtbare Schicksal tausender in Mittelmeer und Atlantik ertrinkender Asylsuchenden schwer beschädigt. Europa kann keine Heimstatt für alle von Hunger und Verfolgung Bedrohten sein. Aber der scharfe bürokratische Ton im Umgang mit diesen Schicksalen und die brüske Abwehrhaltung nicht nur von deutschen Politikern sind menschenverachtend.

Europa hält auch nicht mehr jenes Versprechen ein, das seine Mitgliedstaaten jahrzehntelang aneinander gebunden hat: dass die Union nicht nur Frieden unter einstigen Gegnern stiftet, sondern den Wohlstand aller mehren wird. In Südeuropa – in Griechenland, Italien, Spanien und Portugal – kann davon längst keine Rede mehr sein. Der Euro verbindet nicht, er spaltet, und die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft verblassen. Deutsche Politiker sind groß darin, dem Rest des Kontinents zu erklären, warum die von ihnen propagierte Wirtschafts- und Finanzpolitik die einzig richtige sei. Aber sie sind unfähig und oft auch nicht willens, dafür zu werben, dass es dabei nicht nur um Deutschland, sondern um alle Euro-Länder geht, weil die Unseriosität eines einzelnen zur Beschädigung aller führt.

Der Euro spaltet mehr als er eint

Die europäische Krise ist deshalb auch eine deutsche Krise, weil sich dieses Land vor seiner Rolle als Führungsmacht drückt. Eine Rolle, die ihm aufgrund seiner wirtschaftlichen Dominanz von den meisten europäischen Staaten geradezu angeboten wird. Weil unser Land der gute Hegemon nicht sein will, wird es der böse, dem nun die Kriegssünden, die Massaker in Italien und Griechenland und Frankreich, vorgehalten werden. Vor der Anerkennung dieser Schuld und den daraus erwachsenden materiellen Ausgleichszahlungen haben sich deutsche Regierungen gedrückt. Unter Hinweis auf einen noch ausstehenden Friedensvertrag, den es aber nie mehr geben wird.

Und so kommen infolge der Finanzkrise alte Gespenster wieder hoch, tun sich Gräben auf zwischen Völkern, die sich doch gerade noch eins miteinander glaubten. Dieses Europa ist ein Jahr nach dem Friedensnobelpreis keine Erfolgsgeschichte mehr. So wie Deutschland seine Rolle annehmen muss, darf sich Europa nicht mehr vor seiner Verantwortung in der Welt drücken. Waffen liefern und ansonsten zuschauen, das ist erbärmlich. Dieser Preis ist keine Lizenz zur Selbstzufriedenheit. Er verpflichtet – auf Dauer.

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