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Documenta-Eröffnung vor dem Fridericianum.

© Uwe Zucchi/dpa

Update

Documenta fifteen in Kassel: Die Freiheit der Kunst und ihre Grenzen

Die Documenta lässt unterschiedliche Haltungen zur Israel-Boykott-Bewegung BDS zu. Sie muss aber zumindest deutlich machen, wo sie selber steht. Ein Kommentar.

Nur scheinbar unbeschwert hat sie begonnen, die diesjährige Documenta, eine der wichtigsten Kunstschauen der Welt, die alle fünf Jahre in Kassel stattfindet. Mit viel Musik, mit Karaoke und gutem Wetter. Das Kollektiv Ruangrupa aus Indonesien, das die Documenta in diesem Jahr kuratiert, war gefühlt an allen Ausstellungsorten gleichzeitig anwesend, plauderte, mischte sich unter die Leute.

So zugänglich haben sich künstlerische Leiter dieser Mega-Ausstellung selten gezeigt. Trotzdem hängt ein dunkler Schatten über dieser Schau, der sich bei aller Fröhlichkeit, bei allem Wohlwollen nicht so einfach auflösen lässt.

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Es hat im Vorfeld Antisemitismusvorwürfe gegen Ruangrupa gegeben. Teile des Leitungsteams und eingeladene Künstler sollen der Israel-Boykott-Bewegung BDS nahestehen. Ruangrupa haben zwar immer wieder betont, dass sie jede Form von Antisemitismus ablehnen. Das möchte man ihnen glauben. Aber Verunsicherung bleibt doch.

Niemand weiß genau, wie Ruangrupa zum BDS und zu Israel stehen. Es gibt keine jüdisch-israelischen Künstler bei dieser Documenta. Ist das Ausdruck eines Boykotts oder Zufall? Man hätte von der Documenta gern eine konkrete Antwort dazu gehabt.

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Für die Glaubwürdigkeit der Veranstaltung wäre es gut gewesen, israelische Teilnehmer dabei zu haben. Es gibt in der Kunstszene viele Stimmen, die mit dem BDS sympathisieren. Das darf man nicht bagatellisieren.

Die Documenta öffnet sich mit dieser Schau stärker als jemals zuvor nicht-westlichen Perspektiven, multiplen Perspektiven auf Kunst, auf Ökonomie, auf Institutionen und Solidarität. Man öffnet sich damit aber auch unterschiedlichen Sichtweisen auf den Staat Israel, obwohl das in der Ausstellung selbst gar kein Thema ist.

Kritische Töne vom Bundespräsidenten

Die vielen Künstler und Kollektive aus dem globalen Süden zeigen, wie sie für ihre Rechte eintreten, Wassermangel bekämpfen, Nachhaltigkeit propagieren, kollektiv arbeiten. Es gibt Werke, die die schwierige Situation in Palästina ansprechen, aber auch das darf sein.

Was nicht sein darf, hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Eröffnungsrede zur Documenta noch einmal auf den Punkt gebracht und explizit auf die Grenzen der Kunstfreiheit hingewiesen. „Die Freiheit der Meinung und die Freiheit der Kunst sind Wesenskern unserer Verfassung. Kritik an israelischer Politik ist erlaubt“, sagte er. „Doch wo Kritik an Israel umschlägt in die Infragestellung seiner Existenz, ist die Grenze überschritten.“

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Dass die Documenta eine Diskussionsveranstaltung zur Kunstfreiheit in Zeiten von wachsendem Antisemitismus und Rassismus abgesagt hat, war ein großer Fehler. Die Überforderung mag verständlich, die Themen extrem komplex sein, auch weil es neben Antisemitismus auch um Rassismus gegen Menschen aus dem globalen Süden geht.

Dies differenziert und ohne Polarisierung zu besprechen ist eine große Aufgabe. Die Documenta muss sich dieser Verantwortung stellen. Zumindest zu Beginn der Schau wirkte es aber so, als wollten die Organisatoren vermeiden, dass das Thema Antisemitismus überhaupt zur Sprache kommt. Jetzt ist es den Veranstaltern und Ruangrupa über den Kopf gewachsen.

Disclaimer: In der ursprünglichen Version des Textes war der Satz enthalten: "Es ist beim ersten Besichtigen der Ausstellung nicht zu erkennen, dass rote Linien in Bezug auf Israel überschritten wären." Wir haben den Satz gelöscht, da nach Veröffentlichung des Textes antisemitische Kunstwerke auf der Documenta bekannt wurden.

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