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Reklame für die Berliner Stadtreinigung (BSR).

© BSR

Die Deutschen und ihr Englisch: "The devil lies in the detail"

Englisch made in Germany: Einige Gedanken zum Umgang mit einer vertraut-fremden Sprache. Wie und warum denglische Redewendungen so gerne rückübersetzt werden. Ein Essay.

Ein Essay von Peter Littger

Neulich bekam ich ein ansprechendes Büchlein geschenkt: Simon Geraghty, der sich als „Irishman who lives and works in Germany“ vorstellt, hat es geschrieben und illustriert, und er nennt es schlicht „English for Germans“. Mithilfe eines deutschen Eierkopfs, den er „Hermann the German“ getauft hat, will uns der Ire helfen unser Englisch aufzubessern: „This book will help – die Lücken zu füllen – where your English is missing.“ Doch von welchen Lücken spricht Geraghty? Immerhin stellt er ja auch fest: "If you live in Germany you have a head full of English already".

Die Antwort lautet: Trotzdem und deswegen – nonetheless and for that reason! Denn Geraghty hat ein wichtiges Problem deutschsprachiger Menschen erkannt, das er zugleich als Lernchance begreift: Unsere Köpfe sind voller Englisch. Trotzdem und deswegen wissen wir oft gar nicht mehr, wo uns im Englischen der Kopf steht!

Es geht hier nicht um das Englische im Deutschen, also die viel diskutierten, oft verschmähten und doch heiß geliebten Anglizismen, die wir in unserer eigenen Sprache verwenden. Manche sind so überflüssig wie „Rocket Science“, weil man genauso gut „Zauberei“ sagen kann. Und manche sind so unersetzlich wie der „Running Gag“: Als Kermit der Frosch einst in der ersten deutschen Ausgabe der „Muppet Show“ vom „durchlaufenden Witz“ sprach, klang das weder gut noch war es verständlich.

Anstatt den Verfall der deutschen Sprache durch Anglizismen zu beklagen, beschäftige ich mich lieber damit, wie wir bisweilen die englische Sprache verhunzen - zum Beispiel, wenn wir so sogenannte „Pseudoanglizismen“ arglos gegenüber englischsprachigen Menschen verwenden. Damit meine ich Begriffe wie „Claim“, „Joker“, „Partnerlook“, „Pullunder“ oder „Shakehands“.

„Let the church in the village“

Sie sind die vielleicht anschaulichsten Beispiele für das Deutsche im Englischen, um das es mir hier geht. Zwar war unsere englische Sprachpraxis insgesamt wohl noch nie so gut wie heute, was unterschiedliche Umfragen auch belegen. Trotzdem und deswegen führt sie immer wieder zu bemerkenswerten Patzern und herrlichen – Achtung: Anglizismus! – „Performances“. Es sind die Momente, in denen Englisch unkontrolliert aus unseren vollen Köpfen purzelt.

Der Inbegriff dafür ist unser lustiges Filserenglisch (benannt nach den „Filserbriefen“ in der „Süddeutschen Zeitung“ und ursprünglich nach Ludwig Thomas Figur des Joseph Filser). Immer wieder kommt es vor, dass wir all unser englisches Wissen anstrengen, um kleine deutsche Weisheiten 1:1 zu übersetzen: „Please don’t make that extra“ anstatt „Please don’t do it on purpose“. „The tooth of time“ anstatt „the ravages of time“. „Let the church in the village“ anstatt „Quit dreaming“. Oder andersherum als wörtliche Verhörer: „Come over when you have got nothing on“ – was nicht bedeutet, dass wir rüber kommen sollen, wenn wir nackt sind, sondern: „Komm vorbei, wenn du Zeit hast.“

Nach mehr als 20 Jahren, in denen ich selbst zunächst als Schüler, später als Student und seitdem beruflich zwischen den Sprachräumen gependelt bin, teile ich ein bestimmtes Sprachgefühl, das in Wahrheit ein Störgefühl ist. Einerseits ist einem Englisch so vertraut und im Umgang selbstverständlich, dass man es gar nicht mehr als eine Fremdsprache bezeichnen kann. Typische Fremdsprachen wie Latein (zu tot), Urdu (zu entlegen) oder Finnisch (zu schwierig) lassen sich aus irgendwelchen persönlichen oder anerzogenen Gründen wählen oder abwählen. Wer hingegen im Ernst behauptet, heute ohne Englisch auszukommen, wirkt noch hinterwäldlerischer als ein Internetverweigerer.

Wie heißt nochmal Kupplung?

Andererseits ist uns Englisch nie in Fleisch und Blut übergegangen wie eine Muttersprache. Zwar verfüge ich über sehr viel Sprecherfahrung, die ich als Privileg betrachte. Aber wie den meisten von uns fehlte auch mir die Mutter, die von früh an für sprachliche Klarheit sorgen und die Unsicherheiten ausräumen konnte. Aus dieser durchwachsenen Gefühlslage heraus stellt sich uns allen die übergeordnete Frage, was Englisch überhaupt für uns ist. Eine vertraute Fremdsprache oder eine fremde Alltagssprache? Die Antwort lässt sich nicht mit einem Zeitungsartikel, in einem Buch oder von einer Sprachkommission finden. Es ist ein Thema, das wir gemeinsam diskutieren müssen!

Peter Littger: "The devil lies in the detail. Lustiges und Lehrreiches über unsere Lieblingsfremdsprache". Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 310 Seiten, 9,90 Euro.
Peter Littger: "The devil lies in the detail. Lustiges und Lehrreiches über unsere Lieblingsfremdsprache". Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 310 Seiten, 9,90 Euro.

© KiWi

Zugleich stellen sich ständig sehr viele kleine Fragen, wenn wir in allen erdenklichen Lebenslagen Englisch sprechen: Wie schreibe ich einen Lebenslauf, und wie verhandle ich eine Rechnung? Wie lasse ich mich morgens wecken, wie beschreibe ich den Geschmack des Weins? Wie nennt man eine Kupplung, und was sind die Wehen einer Schwangeren? Wie mache ich einen Antrag, und wie mache ich Schluss? Es sind Fragen im Büro und in Geschäften. In Hotels und in Restaurants. In Autowerkstätten und in Krankenhäusern. Und nicht zu unterschätzen: vor, während und nach Beziehungen!

I am fluent in English

Diese unzähligen praktischen Unklarheiten sind es, die mich angespornt haben regelmäßig Texte über unser Englisch zu schreiben und sie unter die Überschrift „Fluent English“ zu stellen. Denn das ist heute unser Anspruch, den wir auch in unseren Lebensläufen vor uns hertragen: I am fluent in English. Und gerade weil wir so viel wissen – unsere Köpfe so voll sind, wie es Simon Geraghty beschreibt – produzieren wir oft recht fortgeschrittene Patzer, die wir nicht selten sehr selbstbewusst vortragen. Veranschaulichen lässt sich das mit einem Witz:

Kann hier jemand Deutsch? Meldet sich ein Engländer und ruft: Ja, mich!

Läuft das Geplauder mal nicht reibungslos ...

Was ist denn das Problem?, könnten Sie nun einwenden. Ist es nicht egal, wenn wir uns ein bisschen vertun, und ist es nicht viel besser zu sprechen, anstatt zu schweigen? Wenn zum Beispiel der Arzt eine Delegation ausländischer Kollegen mit den Worten begrüßt: „You are hardly welcome!“ Wenn ein Politikberater prahlt: „Miss Merkel was on my table.“ Oder wenn Frau Merkel selbst das Glas erhebt und ihrem Gast mit den Worten zuprostet: „On you!“ Tatsächlich sind das alles keine gravierenden Probleme – sie sorgen nur für unfreiwillige Lacher. Der Arzt sagt: „Sie sind hier kaum willkommen.“ (Er wollte „heartily“, also „herzlich“ sagen – es ist also ein Problem der Aussprache.) Der Politikberater behauptet, die Kanzlerin sei auf seinem Tisch gewesen. (Ein sonderbarer Irrtum, denn wir sagen ja auch nicht „auf“, sondern „am Tisch“, also wie es sich gehört: „at the table“.) Und Frau Merkel übersetzt unsere Art zu prosten wörtlich, was jeden Tag in Deutschland x-mal passiert, womöglich auch in diesem Moment, und ungefähr der Aufforderung gleichkommt, den Angeprosteten zu bespringen.

Drei Arten von Patzern, die unserem Sprachfluss im Weg sind

Läuft das Geplauder mal nicht reibungslos, wird man im Zweifel trotzdem verstanden. Außerdem wird niemand bei einem Sektempfang eine Staatskrise auslösen. Zugleich mahnt uns der Smalltalk immer wieder, dass er ausgerechnet in seiner Originalsprache besonders schwierig ist!

Allerdings neigen wir dazu, die Dinge unnötig kompliziert zu machen – und uns immer wieder in vertrackte Situationen zu manövrieren. Da will ein Mann im Speisewagen unbedingt sein ganzes Weltbild in englischer Sprache erläutern, ohne über eine Grundausstattung philosophischer und soziologischer Diskursvokabeln zu verfügen. Da plaudert ein anderer Details aus seiner Krankenakte aus, ohne zu bemerken, dass sich sein Gegenüber ekelt. Und wiederum ein Dritter geht haarklein auf die technischen Details seines Druckbleistifts ein, ohne zu wissen, dass man die Dinger „mechanical pencil“ oder in Großbritannien auch „propelling pencil“ nennt.

Ich spreche hier von einem speziellen Bedürfnis deutschsprachiger Menschen, das ich immer wieder beobachte und das sich mit „Erklärsucht“ beschreiben lässt, die nicht selten in Verbindung mit einer Art „Vocabulitis“ auftritt, eine Krankheit, vollkommen unzutreffende Wörter zu benutzen oder gar unter Wortausfall zu leiden.

Vielleicht erinnern Sie sich an Werner Lansburgh, der zwischen 1977 und 1987 drei deutsch-englische Bücher für eine fiktive Geliebte namens „Doosie“ (Du + Sie) veröffentlichte. Ich bewundere ihn noch heute als größten Englischlehrer der Deutschen. Er hinterließ folgende treffende Beschreibung: „English is the most complicated language when complicated things are to be said. Yet English is the world’s simplest language when things are to be said simply – which, as a rule, they should … English keeps pace with you. Will you keep pace with English? Will you stop running away from it by complicating things unnecessarily?“ Sein Rat: Die Dinge nicht zu kompliziert zu machen.

Drei Arten von Patzern

Als Zuschauer und selbst auch Darsteller vieler deutsch-englischer Performances erkenne ich drei Arten von Patzern, die unserem Sprachfluss im Weg sind. Das Gute: Mehr sind es nicht. Das Schlechte: Sie kommen selten allein!

1. Der „Filmriss“: Im Englischen würde man dazu „blackout“ sagen, was im Wörterbuch als „temporary loss of consciousness“, also als „vorübergehender Verlust des Bewusstseins“ beschrieben wird. Es sind die Momente, in denen wir ein Wort nicht kennen oder erinnern, ins Stocken geraten, hastig und vergeblich unseren Vokabelspeicher abtasten. Es ist ein Zustand, der uns schließlich zwingt zu schweigen – in the end, we go blank! Für jeden, der Englisch sehr flüssig spricht, gleicht der Moment einem Aufprall. Ein Kollege beim „Spiegel“ erzählte, wie er am Telefon seine E-Mail-Adresse diktieren wollte, aber nicht wusste, dass man den Unterstrich „underscore“ nennt. Also legte er auf, schaute schnell nach und schob später alles auf die Technik: „Die Verbindung war plötzlich weg“ – „we were cut off!“

2. Der „Stuss“: Dazu können Sie im Englischen auch „humbug“ sagen. Der amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt nennt in seinem lesenswerten Essay „On Bullshit“ noch andere Begriffe: „balderdash“, „claptrap“, „hokum“, „drivel“, „buncombe“, „imposture“, „quackery“. Der Stuss beginnt dort, wo wir mit aller Gewalt filsern („This was a grip in the loo“), Scheinanglizismen verwenden und Redewendungen aus beiden Sprachen vergewaltigen. Da wird aus „don’t pull my leg“ („Verarsch mich nicht“) schon mal „don’t pull my arm“. Oder aus „Don’t twist my arm“ („Dräng mich nicht“) „don’t twist my leg“. Gern werden auch verhunzte deutsche Redewendungen wörtlich übersetzt: „The Devil lies in the detail“ anstatt „der Teufel steckt im Detail“ und „the devil is in the detail“. Besonders dämlich sind irreführende Metaphern wie „out of the box“ (Standardideen) anstatt „outside the box“ (neue Ideen).

Bullshit entsteht, wenn Menschen über Dinge reden, von denen sie keine Ahnung haben

3. Der „Höllenritt“: Es sind die Momente, in denen wir feststellen, dass unser Speicher völlig überladen ist mit Wissen, Halbwissen und Unwissen, ganz zu schweigen von englischen Vokabeln und schicken deutschen Redewendungen, die uns zu Hause immer helfen, das Halb- und Unwissen zu überspielen. Dazu noch ein mal Harry Frankfurt: „Why is there so much bullshit?“ Seine Antwort: „Bullshit is unavoidable when ever circumstances require someone to talk without knowing what he is talking about. Thus, the production of bullshit is stimulated whenever a person’s obligations or opportunities to speak about some topic exceed his knowledge of the facts that are relevant to that topic.“ Bullshit, meint Frankfurt, entsteht, wenn Menschen über Dinge reden, von denen sie keine Ahnung haben – und das nicht mal in ihrer Muttersprache. Lassen Sie sich also vor allem im Englischen nie auf Themen ein, von denen Sie wenig oder nichts verstehen! Sonst geraten Sie schnell in Teufels Küche, um mal eine Redewendung zu bemühen: „Otherwise you’ll get into hot water or end up in a hell of a mess“. Und für diesen Ritt in die Hölle des Fehlerteufels gibt es keinen Rückfahrschein!

Der Autor ist Journalist und Berater für redaktionelle Strategien und Inhalte. Seit 2013 schreibt er für Spiegel Online die erfolgreiche Sprachkolumne "Fluent English" und twittert zu dem Thema: @fluentenglish. Jetzt ist von ihm erschienen: "The devil lies in the detail. Lustiges und Lehrreiches über unsere Lieblingsfremdsprache". Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 310 Seiten, 9,90 Euro.

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