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Sinti und Roma protestieren 2020 im Berliner Tiergarten gegen die Gefährdung des Mahnmals zum Gedenken an den NS-Völkermord an ihrer Minderheit.

© Stefan Boness/imago

Bericht über die Lage der Sinti und Roma: Bürger ohne Bürgerrechte

Elf Fachleute haben für die Bundesregierung einen Bericht über die Lage von Sinti und Roma vorgelegt. Hoffentlich der Beginn ihrer Anerkennung. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Was, wenn wir uns eines Tages an das doppelte Jahr 2020/21 nicht wegen des Coronavirus erinnerten, jedenfalls nicht nur? Sondern weil in dieser Zeit in unserem nördlichen Teil der Welt noch ganz anderes – und überaus positiv – auf den Kopf gestellt wurde? 

Neue Stimmen sind hörbar geworden, haben Podien erhalten und werden, danach sieht es aus, so schnell nicht mehr aus dem demokratischen Chor zu verdrängen sein. Die Welle der Wut in den USA nach dem schrecklichen Tod von George Floyd hat Ausläufer bis nach Europa geschickt. Deutschland, das bisher gern glaubte, als frühenteignete Kolonialmacht sich wenigstens auf diesem Feld Unschuld leisten zu können, wurde von kompetenten afrodeutschen Stimmen ein wirksames Nein zugerufen.

Auf die Vernichtung folgte die zweite Verfolgung

Die Pandemie machte die systematische Benachteiligung Behinderter und sexueller Minderheiten deutlich, denen die Lockdowns noch die wenigen Räume nahmlAjdf

Werden jetzt Sinti:zze und Rom:nja die Stimme und die Macht bekommen, ihre verzweifelte Lage zu ändern? Die „Unabhängige Kommission Antiziganismus“ hat am Donnerstag ihren Abschlussbericht vorgelegt. Seit Jahrhunderten sind sie hier, Bürgerinnen und Bürger auch Deutschlands, ebenso lange wurden sie verfolgt, verfemt, getötet.

500 000 Angehörige der Minderheit ermordete die NS-Diktatur, doch „die zweite Verfolgung“ nach 1945 schloss auch die Nachgeborenen von Bildung, Wohlstand, Teilhabe aus. Der Abstand zum deutschen Schnitt ist riesig.

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Diese vielen neuen Stimmen: Manche und mancher tut sie als selbstverliebte Grüppchen ab. „Identitätspolitik“ heißt es, dahinter steckt Abwehr: Wenn hier alle einen eigenen Club aufmacht, wo bleibt das große Ganze? Doch diese angeblich ins eigene Anderssein vernarrten Minderheiten sind Teil des großen Ganzen.

Gerade starb ein Roma in Tschechien - ein Polizist kniete minutenlang auf ihm

Nicht sie schließen sich davon aus, sie wurden ausgeschlossen, von einer sich selbst als Norm setzenden, dominierenden Mehrheit. Sie wurden „geandert“, eine unschöne Abweichung ohne Teilhaberecht. Der Platz draußen wurde ihnen angewiesen. Sie wollen endlich rein.

Die Minderheit, die fünf Jahrhunderte lang als „Zigeuner“ verachtet wurde – heftiger als alle anderen Minderheiten, in ganz Europa und bis heute, will dazugehören. Wer zweifelt, dass es hier Nachholbedarf gibt, möge nach Tschechien schauen: Dort starb dieser Tage ein tschechischer Bürger und Rom einen Floyd-Tod. Sechs Minuten lang kniete ein Polizist nach Zeugenaussagen auf seinem Hals.

Oder nach Berlin: Dort ist das noch junge Mahnmal der Sinti und Roma in Gefahr. Aufschrei in beiden Fällen: Fehlanzeige. Identitätsfragen? Nein, es geht hier um Bürgerrechte. Und darum, dass sie für manche Menschen, Gruppen von Menschen, als weniger wichtig angesehen werden. Es geht um gleiche Rechte, die Basis der Demokratie.

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