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Ein Gorillas-Fahrer liefert Lebensmittel.

© picture alliance/dpa

Arbeitsbedingungen bei Gorillas & Co: Solidarität mit den Angestellten von Lieferdiensten!

Bringenlassen ist das neue Einkaufengehen. Wollen wir diese Bequemlichkeit, müssen wir gegen die Ausbeutung bei Lieferdiensten aufstehen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hannes Soltau

Der Himmel ist grau, die Heizung steht auf Drei, Netflix fesselt vor den Bildschirm – doch die Snacks sind alle. Und wer hat an einem nasskalten Novemberabend schon Lust, zum Späti an die Ecke zu schlurfen? Zum Glück reichen ein paar Klicks in einer App und schon steht ein abgehetzter Mensch vor der Wohnungstür im vierten Stock, um Salzstangen und Erdnussflips zu überreichen. Supermarktpreise und wenige Minuten Lieferzeit – das ist das Versprechen von Kurierdiensten wie Gorillas oder Flink.

Die Pandemie hat den Trend zum Bestellen von Einkäufen in den deutschen Großstädten befeuert. Der Bequemlichkeit einer wohlhabenden, akademischen Mittelklasse steht dabei zunehmend die Ausbeutung einer prekarisierten, meist migrantischen Serviceklasse gegenüber.

Der Immobilienmakler „Homeday“ veröffentlichte jüngst eine Studie, wonach das durchschnittliche Gehalt bei Lieferdiensten nicht reicht, um sich ein Leben in den meisten Berliner Stadtteilen zu leisten. Im brutalen Wettbewerb des noch recht jungen Lieferkapitalismus mit seinen Just-in-time-Geschäftsmodellen und Discountpreisen sind Arbeitnehmerrechte offensichtlich ein Wettbewerbsnachteil.

Angestellte des Berliner Start-Ups Gorillas klagen über befristete Arbeitsverträge, unverhältnismäßig lange Probezeiten, geringe Stundenlöhne, unpünktliche Gehälter, unangemessene Arbeitsausrüstung und Unfälle aufgrund von Witterungsbedingungen und des enormen Zeitdrucks. Auf sogenannte wilde Streiks gegen die unzumutbaren Verhältnisse, reagierte Gorillas mit Massenentlassungen.

Nicht nur auf kurze Lieferzeiten und niedrige Preise achten

Am Dienstag will das Unternehmen seine Lagerhäuser in Berlin „in eigenständige Unternehmenseinheiten“ umwandeln. Die organisatorischen Aufgaben einer Firma wie Schicht- und Stellenplanung werden dann durch Franchisenehmer ausgeführt. Zurecht sprechen Kritiker von „Union Busting“, also zielgerichteten Maßnahmen, die eine gewerkschaftliche Organisierung verhindern sollen. Denn die Zerstückelung des Unternehmens hat zur Folge, dass die Interessenvertretung der Fahrradkuriere nur noch kleinteilig erfolgen kann. Am Mittwoch will Gorillas eine Betriebsratswahl auch gerichtlich verhindern lassen.

Viele streikende Angestellte scheinen darauf gesetzt zu haben, dass die Arbeitskämpfe die Marke zunehmend in Verruf bringen könnten, wodurch das Management letztlich zum Einlenken gezwungen wäre. Doch schlechte Reputation hin oder her, die Goldgräberstimmung bei Investoren ist ungebrochen: Zuletzt steckte das börsennotierte Berliner Unternehmen Delivery Hero allein 235 Millionen Dollar in Gorillas.

Der Trend zur Lieferung von Lebensmitteln wird sich auch in einer postpandemischen Gesellschaft kaum umkehren lassen. Wenn wir uns aber schon die Bequemlichkeit bewahren wollen, müssen wir den Angestellten in ihrem Kampf um menschenwürdige Arbeitsbedingungen gegen die perfiden Machenschaften von Gorillas & Co zur Seite stehen.

Ein Anfang: Bei der Auswahl des Unternehmens nicht nur auf kurze Lieferzeiten und niedrige Preise achten, sondern auf faire Bezahlung. Das wäre ein Mindestmaß an gelebter Solidarität mit jenen Menschen, die für eine Packung Salzstangen auch dann dem Novemberwetter trotzen, wenn wir selbst keinen Fuß mehr vor die Tür setzen wollen.

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