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In Europa sind Gottlose in einen Religionskrieg getreten, meint Wolfgang Pohrt.

© Karikatur: Schwalme

Abendland vs. Islam: In Europa sind Gottlose in einen Religionskrieg getreten

Der Westen hält sich für aufgeklärt und human. Moslems werden in Europa als rückständig gebrandmarkt. Für den Publizisten Wolfgang Pohrt zeugt das von einem Totalausfall realistischer Selbstwahrnehmung.

Wer was erreicht hat, wer es zu was gebracht hat, lebt fortan mit der Sorge, es wieder zu verlieren. Europa hat Angst. Seit 100 Jahren ist das so, seit Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“. Der vergreisende und lendenschwache Kontinent igelt sich ein und geht in Abwehrstellung, mal gegen die USA, mal gegen die fürchterlich fleißigen Chinesen, neuerdings bevorzugt gegen den Islam. Daraus resultiert die Standardfrage im aufgeklärten Politikdiskurs, ob man eine wirkliche Revolution mit Beteiligung des Volkes überhaupt noch gutheißen kann, wenn diese bedeutet, dass anschließend die Scharia wieder eingeführt wird, wie das wahrscheinlich in Ägypten der Fall sein wird.

Mit der Scharia kenne ich mich nicht so gut aus. Ich weiß nur so viel: Wenn ein Idiot heute weder von Religion noch von Politik und auch sonst gar keine Ahnung hat – von der „Scharia“ quasselt er immer. Wenn es um den Islam geht, ist jeder Dorftrottel plötzlich Spezialist für Glaubensfragen, Orientalistik und Islamwissenschaft, ja sogar für Arabisch. In jedem Diskussionsforum im Internet gibt es faschistische Hetzer, die Koransuren angeblich aus dem Original zitieren, um zu beweisen, wie schrecklich und gefährlich der Islam sei.

Diese Akribie erinnert an Eichmanns Judenreferat im Reichssicherheitshauptamt der SS, wo mit der Zeit die umfassendste Sammlung von Judaika zusammengetragen wurde und die Beflissensten unter den Mördern sogar Hebräisch gelernt hatten. Die kannten den Talmud besser als jeder Jude. Und so ist das heute auch. Die Moslemfresser können Koransuren zitieren, die einem Moslem mit Sicherheit unbekannt sind.

Wolfgang Pohrt ist Sozialwissenschaftler und Publizist. Der Text ist ein Vorabdruck aus seinem neuen Buch („Kapitalismus Forever – Über Krise, Krieg, Revolution, Evolution, Christentum und Islam“, Edition Tiamat, Berlin 2012). Es erscheint Mitte Februar.
Wolfgang Pohrt ist Sozialwissenschaftler und Publizist. Der Text ist ein Vorabdruck aus seinem neuen Buch („Kapitalismus Forever – Über Krise, Krieg, Revolution, Evolution, Christentum und Islam“, Edition Tiamat, Berlin 2012). Es erscheint Mitte Februar.

© promo

Breivik hat viele Brüder im Geiste.

Anzunehmen ist, dass im Koran tatsächlich einige unschöne Regeln stehen. Aber das ist bei allen monotheistischen Religionen so. Davor hatte man einen ganzen Haufen Götter, einen für den Krieg, einen für die Liebe etc. Jetzt hatte man nur noch einen. Um trotzdem gemäß den Vorschriften der Glaubenslehre leben zu können, brauchte man ein einziges Religionsbuch, worin alle Wechselfälle des Lebens berücksichtigt sind. Und das bedeutet, dass es wie im Bauernkalender zu jeder Regel eine andere gibt, die das genaue Gegenteil besagt. Religionsbücher sind Ratgeber für alle Lebenslagen.

Je nach Lebenslage sucht man sich im Religionsbuch die passende Stelle aus, eine passt immer. Wenn man seinen Feind töten kann, nimmt man „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Wenn man sich mit dem Feind lieber nicht anlegen will, weil er stärker ist, nimmt man „Halte die andere Wange auch noch hin“. Oder Jesus als Wutbürger passt besser zu den eigenen Interessen, also die Geschichte, wie er die Händler aus dem Tempel vertrieben hat. Der Glaube und die Machthaber profitieren einerseits von dieser Flexibilität, andererseits bedeutet sie, dass Kriege noch heftiger werden als zuvor, weil es nicht mehr nur um materielle Dinge geht, sondern um die richtige Interpretation der Heiligen Schrift.

Ich bin weder bibelfest noch könnte ich die zehn Gebote aufsagen. Mich interessieren diese Religionsbücher nicht. Ich will wissen, wie die Leute ticken, und das weiß ich. Nämlich so: Allah ist groß – aber ein Cadillac ist größer. Dem Iran geht es um Atomwaffen, nicht um fromme Sprüche. Wir kennen den faulen Zauber doch von der Wiedervereinigung. Erst sagten die Ossis, dass es ihnen um die Freiheit ginge, auch so eine Religion. Das hätte ich mir noch gefallen lassen. Aber dann kam heraus, was sie wirklich wollten, nämlich unsere D-Mark. Und beim Geld hört die Freundschaft auf.

Lesen Sie auf der zweiten Seite: Warum das Entsetzen über die Frömmigkeit der Moslems nur durch einen Totalausfall der Selbstwahrnehmung begründet sein kann

Überhaupt zeichnet sich das Entsetzen über die Frömmigkeit der Moslems durch einen Totalausfall jeglicher Selbstwahrnehmung aus. Wenn die Nachrichten melden, in einem islamischen Land habe eine islamische Partei die Wahl gewonnen, dann nicht ohne besorgten Unterton. Ist es hier denn anders? Wir leben in einem Land, wo eine Christlich-Demokratische Partei und eine Christlich-Soziale Union zusammen mit der FDP an der Regierung sind, und wo dauernd mit dem „christlichen Menschenbild“ herumgewedelt wird, welches unsere Verfassung präge.

Und wie war das mit der Homosexualität in Deutschland? Ich zitiere mal Wikipedia: „Der § 175 des deutschen Strafgesetzbuches existierte vom 1. Januar 1872 (Inkrafttreten des Reichsstrafgesetzbuches) bis zum 11. Juni 1994. Er stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe. Bis 1969 bestrafte er auch die ,widernatürliche Unzucht mit Tieren’ (ab 1935 nach § 175b ausgelagert).“

Ich habe die Zeit noch mitgekriegt, wo der Hotelier ein Doppelzimmer nur an nachweislich verheiratete Paare vermieten durfte, weil er sich andernfalls der Kuppelei strafbar machte. Und so lange ist es noch nicht her, dass eine „uneheliche Mutter“ – so hieß die damals – sozial geächtet war. Kinder hatten dem heiligen Bund einer auf Lebenszeit geschlossenen Ehe zu entstammen. Wenn nicht, dann war das nicht nur für die Mama, sondern auch für die Kinder ein Makel.

Die Moslems anzuschwärzen, hilft also den Westlern, die eigene dunkle Vergangenheit zu verdrängen und den eigenen Dreck, der immer noch herumliegt, unter den Teppich zu kehren. Oder es hilft, dem Objekt eigener Begierden nahe zu sein, indem man sich bei anderen Personen darüber entrüstet. Das ist zum Beispiel beim Thema „Zwangsverheiratung minderjähriger Mädchen durch ihre Eltern“ in Internetforen zu beobachten. „Der Wüstling und die blütenreine Unschuld“ – der Stoff, aus dem die Träume alter Männer sind. Von denen gibt es gerade hier eine ganze Menge, aber die fliegen lieber nach Thailand, wo man mit jungem Gemüse Spaß haben kann, ohne gleich Lebenslang zu kriegen.

Komisch, dass keiner Mitleid mit dem zwangsverheirateten Mann hat. Die gleiche Gewalt, die ihm das junge Mädchen zuführte, verhindert nämlich die Trennung von der Frau, die ihn hasst und ihren Hass auskosten wird, wenn die Zeit für das Altersmatriarchat gekommen ist. Klar, es ist bitter für die Frau, einen Mann nehmen zu müssen, den sie nicht will. Das kommt aber auch ohne Zwangsheirat vor. Nämlich dann, wenn der Mann, den sie will, sie nicht will. Liebeskummer war früher ein häufiges Selbstmordmotiv.

Die Pointe bei der Geschichte: In der Türkei ist das Thema noch beliebter und populärer als hier. Es liefert den Stoff für eine sensationell erfolgreiche Telenovela, die im ganzen Land für Gesprächsstoff sorgt. Das Publikum leidet mit dem perfekt besetzten schönen jungen Mädchen und verabscheut den ebenso perfekt besetzten viel älteren und ekelerregenden Mann. Vermutlich würde die Serie auch in Deutschland ein Erfolg, in ganz Nahost wird sie es bestimmt.

Schade, dass es bei uns Herz & Schmerz-Geschichten von vergleichbarer Qualität nicht mehr gibt. Vielleicht sollte man das jus primae noctis wieder einführen, nur damit man noch einmal den moralischen Triumph genießen kann, der sich bei der Abschaffung dieses Unrechts einstellt. Herrliche Zeiten, als Revolutionäre vor so einfach lösbaren Aufgaben gestanden haben. Aber diese Zeiten sind vorbei, nicht nur hier, auch in Ägypten. Bestimmt bricht in den arabischen Ländern nicht das Reich der Freiheit an. Vielmehr sind dort ein paar Nachhutgefechte im Gange, die hier schon abgeschlossen wurden. Und das Ende vom Lied wird der Kapitalismus sein, ob er sich nun christlich, islamisch, konfuzianisch oder sonst wie nennt. Natürlich kann man einerseits sagen, dass durch Revolutionen alles nur noch schlimmer geworden ist. Die Französische Revolution hat der Menschheit den Nationalismus und die allgemeine Wehrpflicht gebracht. Letztere hat es möglich gemacht, dass die Gemetzel in den beiden Weltkriegen alle vorangegangenen in den Schatten stellten. Und ohne Demokratie kein NS-Regime. Andererseits: Niemand weiß, was uns geblüht hätte ohne die Französische Revolution.

Auf jeden Fall kann man von Menschen nicht verlangen, dass sie sich mit der Despotie und den Folterkellern eines Mubarak-Regimes abfinden sollen. Sie haben das volle Recht, es mit Gewalt zu stürzen, ohne zu bedenken, was nachher kommt. Und vielleicht kommt es bei ihnen ja nicht so schlimm, wie es bei uns gekommen ist. (...)

Lesen Sie auf der dritten Seite: Warum das Christentum als Mordmaschine effizienter war

Das Alte bewahren – das ist der gemeinsame Nenner von Muslimen und Westlern. Beide wollen das. Beide wollen etwas, das sie nie hinkriegen werden. Beide wollen etwas bleiben, das sie nicht sind, gläubig die einen, aufgeklärt die anderen. Deshalb gibt es Krach. Also zurück zum Islam. Ist das eine besonders schlimme Religion?

Nein, im Gegenteil. Als Mordmaschine war das Christentum effizienter. Die Indianer in Südamerika und später in Nordamerika plattgemacht, im 30-jährigen Krieg einander verhackstückt, die Scheiterhaufen, die Folterkammern und die beiden Weltkriege mit an die 70 Millionen Toten – waren das etwa keine Christen? Und Auschwitz? Waren das die Moslems? Aber seien wir gerecht. Die Menschen morden unter Berufung auf die Religion, in Nordirland taten Christen verschiedener Konfession es bis in die jüngste Zeit. Aber sie brauchen die Religion nicht unbedingt, um zu morden, es geht ebenso gut auch ohne. Die Nation, der Stamm oder die Hautfarbe genügen auch.

Die Menschen morden nicht, weil sie Christen oder Moslems sind, sondern weil sie Mörder sind. Deshalb muss man ihnen das Morden ja verbieten, deshalb das Gebot „Du sollst nicht töten!“. Gebote wie „Iss Dich satt!“ oder „Schlaf Dich aus!“ brauchen wir dagegen nicht.

Tatsache ist, dass der Islam vergleichsweise wenig auf dem Kerbholz hat. Vermutlich aus Mangel an Gelegenheit, ich glaube nicht, dass es zwischen Christen und Moslems riesige Unterschiede gibt. Obwohl – einen besonderen Hang zum Sadomasochismus kann man dem Christentum nicht absprechen. Eine andere Religion, die einen halbnackten, mit Nägeln ans Kreuz Geschlagenen und mit einer Dornenkrone Bekränzten zu ihrer Ikone macht, muss man auf dieser Welt erst mal finden. Günther Anders erzählt irgendwo, was für ein furchtbares Schreckbild das Kruzifix in seiner Kindheit für ihn gewesen ist. Die Einübung der Lust, sich selbst zu kasteien und andere zu quälen – vielleicht hat diese Tradition die Christen für eine Weile zu den erfolgreichsten Welteroberern gemacht.

Aber ich bin kein Religionsexperte, und der Mensch ist nun mal ein grausames Tier, Foltertechniken gibt es wohl in allen Kulturen. Von Mao Tsetung wird berichtet, er sei von der Grausamkeit der Massen förmlich fasziniert gewesen, und er habe sie kalkuliert angestachelt, um Rivalen und Gegner auszuschalten. Und wie war das noch im alten Rom?

Eine Geschichte noch, die ich loswerden muss. Dem Erdbeben von Lissabon am 1. November 1755 fielen auch deshalb so viele Menschen zum Opfer, weil es zur Zeit des Gottesdienstes stattfand und die Kirchen einstürzten, in denen die Gläubigen sich versammelt hatten. Es traf die Richtigen. Für den Nachmittag war nämlich ein Autodafé angesetzt, eine Ketzerverbrennung, die damals bei den frommen Christen Volksfestcharakter hatte. Das letzte Autodafé hat übrigens 1826 stattgefunden.

So geht das immer. Man will über den Islam sprechen und landet beim Christentum. Neuer Versuch: Fangen wir an mit dem 11. 9. 2001, den Anschlägen auf die Twin Towers und auf das Pentagon. Wer war’s? Natürlich Osama bin Laden und seine Crew. Aber das Drehbuch für den Horrorfilm kam aus Amerika. Mit dieser Szene endet Tom Clancys Bestseller „Ehrenschuld“, und sein Bestseller „Befehl von oben“ beginnt damit. Nur ist der Typ, der seine Maschine aufs Kapitol krachen lässt und damit die gesamte politische Spitze einschließlich des Präsidenten ausradiert, bei Clancy ein rachsüchtiger Japaner. Die Thriller erschienen 1994 und 1996, damals hatte man noch andere Feindbilder.

Was zeigt uns das? Osama bin Laden hat nicht nur amerikanische Serien im TV geguckt – „Fury“ mochte er am liebsten –, er war auch ein Fan von Tom Clancy. Und vermutlich kannte er Katastrophenfilme wie „Erdbeben“ oder „Flammendes Inferno“. Also: Wo uns der Islamismus am finstersten und archaischsten erscheint, ist die Verwestlichung am weitesten fortgeschritten.

Wolfgang Pohrt ist Sozialwissenschaftler und Publizist. Der Text ist ein Vorabdruck aus seinem neuen Buch („Kapitalismus Forever – Über Krise, Krieg, Revolution, Evolution, Christentum und Islam“, Edition Tiamat, Berlin 2012). Es erscheint Mitte Februar.

Wolfgang Pohrt

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