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Die Autorin Joan Didion.

© imago images/ZUMA Wire

Zum Tod von Joan Didion: Der sterbende Glanz und die Sechziger

Erst die „Vogue“ und der „New Journalism“, dann besondere Trauerbücher: Die große Essayistin und Schriftstellerin Joan Didion ist gestorben. Ein Nachruf.

Obwohl Joan Didion im Verlauf ihres Autorinnendaseins weit davon entfernt war, an den amerikanischen Traum als eine reale Option zu glauben, klingt der Beginn ihrer eigenen Karriere wie die Erfüllung eines solchen Traums. Didion erinnerte sich in der Netflix-Dokumentation, die ihr Neffe Griffin Dunne vor ein paar Jahren über sie gedreht hat, wie ihre Mutter ihr eines Tages einige alte Ausgaben der „Vogue“ in die Hand drückte.

Darin war ein Wettbewerb für College-Abgänger: innen ausgeschrieben, der Prix de Paris. Erster Preis: ein Job in Paris oder in New York.

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„Den könntest du gewinnen“, sagte die Mutter, die um die Ambitionen ihrer Tochter wusste, um deren „Vorlieben fürs Extreme, die mich bis ins Erwachsenenleben begleitet hat“.

Und tatsächlich: Didion gewann in ihrem Abschlussjahr an der Universität in Berkeley diesen Preis, zog nach New York, wurde „Vogue“-Journalistin. Allerdings schrieb sie als erstes keinen Text über Mode oder die Art sich zu schminken, sondern: über Selbstachtung, über deren Quelle und Macht.

„Kalifornien blieb immer undurchschaubar für mich“

Didion blieb zwar bis Mitte der sechziger Jahre bei der Vogue, tat sich aber von Beginn an als außergewöhnliche Essayistin hervor, und das trotz eines frühen Romans über das Farmermilieu von Sacramento, in das sie 1934 hineingeboren wurde. „Run River“, 1963 erschienen, sorgte für nur wenig Aufsehen, und die sechziger Jahre mitsamt ihren tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen nahmen Didion in Folge voll in Anspruch.

Sie schrieb über die Hippies in San Francisco, denen sie kritisch gegenüberstand – sie war da schon verheiratet und hatte eine Tochter adoptiert –, über Joan Baez, die Manson Family oder Howard Hughes, um irgendwann festzustellen: „Kalifornien blieb immer undurchschaubar für mich, wie ein ermüdendes Rätsel.“

Ende der siebziger Jahre wurde sie mit ihrer Essaysammlung „Das weiße Album. Eine kalifornische Geisterbeschwörung“ landesweit berühmt, auch über jene Kreise des New Journalism und der intellektuellen Reportage hinaus, die sie mitbegründete und in denen sie sich bewegte.

Mit zwei Trauerbüchern weltberühmt

Didion hat die Geschichte ihrer Zeit in Form von Reportagen und Essays geschrieben, besser, präziser, stilistisch formvollendeter als mancher Romancier.

Doch wie das bei Schriften dieser Art ist, so gut sie sein mögen: Die Zeit geht häufig über sie hinweg, ihre unmittelbare Zeitbezogenheit lassen sie schneller altern. Es wurde ruhiger um Didion, sie arbeitete weiter – und wurde tragischerweise mit zwei Büchern weltberühmt, in denen sie die Tode ihres Mannes John Gregory Dunne und ihrer Tochter Quintana zu verarbeiten suchte.

In „Das Jahr des magischen Denkens“ beschrieb sie 2005 die fast dem Wahnsinn nahekommende Trauer nach dem Herztod von Dunne, in einem nüchternen, betont unprosaischen und deshalb umso mehr zu Herzen gehenden Ton. Und „Blaue Stunden", 2011 veröffentlicht, ist ein Buch über Quintana, die im Alter von 39 Jahren verstarb.

Aber dieses Buch ist noch mehr: Didion zeichnet darin auch ein Porträt von sich selbst als Mutter – und als alte, 75-jährige Frau, die Alter, Krankheit und Tod reflektiert. Ihr Buch heiße „Blaue Stunden“, so Didion darin, „weil ich mich in der Zeit, als ich es zu schreiben begann, gedanklich immer stärker der Krankheit zugewandt habe, dem Ende des Versprechens, den kürzer werdenden Tagen, der Unausweichlichkeit des Vergehens, dem Sterben des Glanzes. Blaue Stunden sind das Gegenteil sterbenden Glanzes, aber sie sind auch seine Vorboten.“

Nun ist Joan Didion an den Folgen einer Parkinson-Erkrankung in New York gestorben. Sie wurde 87 Jahre alt.

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