zum Hauptinhalt
Der türkischstämmig-deutsche Schriftsteller Dogan Akhanli starb mit nur 64 Jahren, nach kurzer schwerer Krankheit.

© imago/Future Image

Zum Tod des Schriftstellers Dogan Akhanli: Chronist eines Jahrhunderts der Gewalt

Er kämpfte zeitlebens für die Menschenrechte und die Aufarbeitung der Vergangenheit. Am Sonntag starb der türkisch-deutsche Autor Dogan Akhanli in Berlin. Ein Nachruf.

Sein Credo war die Unteilbarkeit der Menschenrechte. Und die Notwendigkeit der Erinnerung, beim Völkermord an den Armeniern, beim Holocaust, bei den Opfer der Diktaturen, im gesamten 20. Jahrhundert, dieser Epoche der Gewalt. Unermüdlich hat der türkisch-deutsche Schriftsteller Dogan Akhanli, der im Kölner Exil und zuletzt in Berlin lebte, gegen das Unrecht und gegen das Vergessen gekämpft.

„Seine Stimme war oft leise, aber seine Botschaft war laut und wurde gehört“, würdigte ihn Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker.

Ende der neunziger Jahre war seine Trilogie „Die verschwundenen Meere“ erschienen, nur deren letzter Teil wurde ins Deutsche übersetzt: „Die Richter des jüngsten Gerichts“ handelt vom Genozid der Türken an den Armeniern 1915 und von dessen Vorgeschichte. Ein Thema, das Akhanli in seinem Theaterstück „Annas Schweigen“ noch einmal aus deutscher Perspektive aufgriff.

In seinem erst 2019 auf Deutsch erschienenen Roman „Madonnas letzter Traum“ erzählte er unter anderem von den 769 jüdischen Flüchtlingen an Bord eines Schiffes, das 1942 im Schwarzen Meer versenkt wurde. Europa lässt die Flüchtlinge im Stich, damals wie heute, so die Botschaft. Oder er schrieb, wie in „Fasil“, über die späte Begegnung eines Folteropfers mit seinem Peiniger während der türkischen Militärdiktatur.

[Wenn Sie die wichtigsten Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können. ]

In seinem 2016 auf Deutsch publizierten autobiografischen Roman „Die Tage ohne Vater“ unternimmt Akhanli eine Erinnerungsreise in die eigene Lebensgeschichte. 1957 geboren, wuchs der Lehrersohn zunächst in einem Dorf und ab dem zwölften Lebensjahr in Istanbul auf, engagierte sich bei der illegalen Kommunistischen Partei, saß schon mit 18 fünf Monate in Untersuchungshaft und ging nach dem Militärputsch 1980 in den Untergrund. 1985 wurde er verhaftet, saß zweieinhalb Jahre im Militärgefängnis und konnte 1991 mit seiner Familie nach Deutschland flüchten.

Seit 2001 ist Akhanli deutscher Staatsbürger, die türkische Staatsbürgerschaft wurde ihm aberkannt. In Köln und Berlin setzte er sich als Schriftsteller wie auch persönlich für die Aufarbeitung verdrängter Gewaltgeschichte ein und engagierte sich gegen den Antisemitismus in der Bundesrepublik ebenso wie für die Aussöhnung zwischen den Kulturen. Die Literaturkritikerin Insa Wilke nannte ihn im Deutschlandfunk nun einen „Pionier des transnationalen Erinnerungsraums“.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Selbst in seiner Exil-Zeit versuchte die Türkei immer wieder, seiner habhaft zu werdn, etwa 2010 am Flughafen in Istanbul, als er seinen alten Vater besuchen wollte.. Zuletzt setzte sie ihn 2017 mit internationalem Haftbefehl während eines Urlaubs in Spanien fest. Das Land lieferte ihn nicht aus, nach zwei Monaten durfte der Autor nach Deutschland zurück.

Er fand zu Klarheit in bedrohlichen Zeiten, so Akhanlis Freund Günter Wallraff

Auch darüber hat er ein Buch verfasst; das Vorwort zu „Verhaftung in Granada“ schrieb sein Freund Günter Wallraff: „Hier spricht ein Geflüchteter, ja ein mitunter Gejagter zu uns. Auf seiner Odyssee zwischen Gefängnissen und Freiheit hat er zu sich selbst und zu wachsender Klarheit über diese so bedrohlichen Zeiten gefunden.“ Zu seinen Auszeichnungen zählt auch die Goethe-Medaille, die er 2019 erhielt.

Am Sonntag ist Dogan Akhanli nach kurzer schwerer Krankheit in Berlin gestorben, er wurde 64 Jahre alt. „Als Präsident trauere ich um das Mitglied des deutschen PEN, als Leser um einen großartigen Schriftsteller, als Weggefährte um einen Streiter für Menschenrechte, Frieden und Aufarbeitung der Verbrechen an den Armeniern“, so der frisch gekürte PEN-Präsident Deniz Yücel. Eine traurige Kontinuität: Auch der in Deutschland geborene Publizist Yücel musste nach strenger Einzelhaft die Türkei verlassen und kann dort nicht mehr als Journalist arbeiten. (mit dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false