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Bittere Botschaft. So schnell öffnen sich die Türen zu den Kulturinstitutionen nicht wieder.

© dpa/Büttner

Videokampagne #allesdichtmachen: Darf man mit Corona Witze machen?

Die satirische Schauspieler-Aktion löst Kritik und Selbstkritik aus. Ironie ist ein scharfes Schwert – nicht jeder beherrscht diese Kunst. Ein Kommentar.

Was kann, was darf Satire? Ob Hitler-Komödien, Erdogan-Schmähung, Mohammed-Karikaturen, ein blöder Witz von Annegret Kramp-Karrenbauer über Toiletten für das dritte Geschlecht oder jetzt die satirische Schauspieler:innen-Aktion #allesdichtmachen, die Aufregung ist jedes Mal groß. Und jedes Mal wird sortiert, zwischen Chefwitzen, Opferwitzen, Kinderwitzen etc.

Der Witz kratzt an Autoritäten, er ist eine Waffe der Ohnmächtigen gegen die Mächtigen, manchmal auch gegen die Autorität der Moral. Und er folgt der Entwaffnungs-Dramaturgie aus dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“.

Der Kabarettist Florian Schroeder hatte diese Entlarvungsspiel letzten Sommer auf einer Querdenker-Kundgebung gespielt. Vor einem sich mächtig einigen Aluhüte-Publikum hatte er die Minderheitenposition der Vernunft behauptet und für Irritation beim querdenkenden Publikum gesorgt, indem er ihm den Spiegel vorhielt. Meinungsfreiheit? Könnt ihr haben: Haltet mal meine Meinung aus.

Die meisten Texte kehren sich gegen die eigene Absicht

Auch wenn das Kaiser-Märchen in einem der #allesdichtmachen-Videos erwähnt wird: Die meisten Beiträge der Schauspielerinnen und Schauspieler gegen vermeintlich drastisch überzogene Corona-Maßnahmen und regierungshörige Medienberichterstattung entlarven vor allem sich selbst. Sie kehren sich gegen die eigene Absicht, den kritischen Diskurs über die Krisenpolitik des Bundes und der Länder befördern zu wollen.

Mit diesem Argument begründete der Filmemacher Dietrich Brüggemann („Kreuzweg“, zuletzt der Tatort „Das ist unser Haus“) die Aktion gegenüber dem Deutschlandfunk. Kritik müsse weh tun, die Gruppe wolle „mit dem verengten Diskursraum in diesem Land aufräumen, indem wir ihn packen und schütteln“.

Zum Initiatorenkreis soll auch Jan Josef Liefers gehören

Brüggemann nannte den Shitstorm, der auf die rund 50 Kurzvideos folgte, „faschistoid“. Zwar gebe es Kritik an der Pandemiepolitik , sie werde aber nicht gehört oder in die „Schwurbel- und rechte Ecke gestellt“. Die Medien würden oft vorgefertigte Meinungen liefern. Berichten zufolge gehört Brüggemann mit dem Münchner Unternehmer Bernd K. Wunder, dem „Babylon Berlin“-Star Volker Bruch und dem „Tatort“-Kommissar Jan Josef Liefers zum Initiatorenkreis der Aktion.

Ulrich Matthes hält die Aktion für misslungen.
Ulrich Matthes hält die Aktion für misslungen.

© dpa/Frey

Die am Donnerstagabend veröffentlichte Video-Reihe mit Beiträgen weiterer „Tatort“-Stars wie Ulrike Folkerts und Wotan Wilke Möhring, von Nadja Uhl und Ulrich Tukur war auf ebenso vielbeachtete prominente Kritik gestoßen. Kolleg:innen wie Nora Tschirner oder Sandra Hüller zeigten sich konsterniert. Besonders scharf äußerte sich Ulrich Matthes, Präsident der Deutschen Filmakademie. Er unterstelle mal eine gute Absicht, aber die sei „ordentlich schiefgegangen“. Manche Textbausteine könnten fast wörtlich aus der Querdenkerszene stammen.

Auch er beklagt, dass die Kultur pauschal dicht gemacht wird. Deprimierend findet der Schauspieler jedoch, „dass in diesen aufgeregten Zeiten der sozialen Netzwerke, der schnellen Auf- und Abregung, diese Quatschvideos eine größere gesellschaftliche Resonanz erzielen als die vielleicht nicht so prominent-prickelnden, aber seriösen Stimmen von Menschen, die versuchen zu differenzieren, abzuwägen und trotzdem kritisch zu sein“.

Gesundheitsminister Jens Spahn bietet ein Gespräch an

Auch die Politik reagierte. Gesundheitsminister Jens Spahn bot den Initiatoren ein Gespräch an. SPD-Gesundheitpolitiker Karl Lauterbach twitterte, die Aktion habe ihn zwar nicht überzeugt, „trotzdem müssen wir alle mit Anschuldigungen und Beleidigungen abrüsten“.

Am Samstag legte Lauterbach mit einem Tweet nach, nachdem Jan Josef Liefers von mangelnder Transparenz bei den Corona-Maßnahmen sprach. Er habe ihn vor Hass verteidigt, aber Liefers’ Inhalte „seien fern jeder Realität. Die vielen Lockdowns haben halt zehntausenden das Leben gerettet. Daher machen wir das. Und erklären es jeden Tag. Nicht nur ,die Regierung’. Man nennt es Wissenschaft.“

Schauspieler sind Darstellungsprofis. Als Autor:innen sind sie meist Laien. Inzwischen heißt es, nicht alle Beteiligte hätten ihre Texte selbst geschrieben – ob viele von Brüggemann stammen? Bei der Satire als zugespitztem Witz, bei Ironie und Sarkasmus gehört die Wortwahl zu den schwersten Kunststücken. Wenn die Pointe nicht sitzt, wird sie zum Flachgag. Wen ironisiert Richy Müller mit seiner „Zwei-Tüten-Atmung“ zur Vermeidung von womöglich kontaminierter Raumluft: die Aerosolforscher, die unbequeme Tatsache, dass Innenräume gefährlicher sind als Open-Air, die eigenen Ängste?

Meret Becker hat ihr Video inzwischen zurückgezogen.
Meret Becker hat ihr Video inzwischen zurückgezogen.

© dpa/Strache

Neben Heike Makatsch, Meret Becker und Ken Duken haben etliche weitere Teilnehmer inzwischen ihr Video gelöscht, darunter auch Richy Müller. Die nachträgliche interne Irritation ist offenbar groß. Er sei blauäugig gewesen, sagte Müller dem Sender ntv. Erst später sei ihm bewusst geworden, dass „diese Tütenaktion auf die Beatmungsgeräte in den Kliniken verweist“, das finde er absolut unpassend.

Gerade die Ängste machen es kompliziert. Während Jan Josef Liefers sich im Video in Gestalt seines Rollen-Ichs über den Alarmismus der Medien mokiert, schlug er schon am Freitag auf Twitter eine andere Tonart an. Er sei „bei all denen, die zwischen die Fronten geraten sind“, den Verängstigten, Verunsicherten, Verstummten, Hin- und Hergerissenen. Und denen, die häusliche Gewalt erleiden.

Armin Laschet springt Liefers bei der Talkshow „3 nach 9“ zur Seite

Als zugeschalteter Gast bei der Talkshow „3 nach 9“ am Freitagabend zeigte er sich verunsichert, müde und ob der Reaktionen gebeutelt. Er verteidigte die Kampagne, bezweifelte aber ihre Art und Weise. Kanzlerkandidat Armin Laschet, ebenfalls „3 nach 9“- Gast, sprang ihm zur Seite. Er teile die Meinung nicht, aber gerade jetzt sei die Minderheitsmeinung von Künstlern und Intellektuellen wichtig.

Die eigene Verunsicherung und Unzulänglichkeit zu ironisieren, dürfte die allerhöchste Kunst sein. Gute Witze trotzen der Angst und dem Tod, sie sind nicht wehleidig – wenn man es denn kann mit dem Witz. Was haben Corona und die DDR gemeinsam? Nichts los auf den Straßen, und es gibt wenig zu kaufen. Das leere Grab zu Ostern zum Spruch „Das mit der Ausgangssperre hat noch nie funktioniert“ – was ist ein guter Corona-Witz?

Angela Merkel trifft sich nächste Woche erstmals mit Kulturschaffenden

Wir brauchen Kritik, Streit, Satire, gerade jetzt. Humor in eigener Sache gehört zum Kern der Demokratie. Und wir brauchen Künstlerinnen und Künstler, die dagegen protestieren, dass sie in der Krise marginalisiert werden. Darauf machte auch Grünen-Chef Robert Habeck aufmerksam, der die Aktion „in ihrer krassen Zuspitzung“ unangemessen findet, aber eine Debatte über die fehlende Kultur in der Pandemie fordert. Nach 13 Monaten Corona trifft sich Kanzlerin Merkel nächste Woche erstmals mit Kulturschaffenden, verdammt spät.

Ich trau mich was: Die Geste paart sich bei #allesdichtmachen mit Selbstgefälligkeit. Sind „Tatort“-Stars ohnmächtig? Gegen welche Macht polemisieren sie? Der öffentliche Raum ist voll von Kontroversen zur Corona-Politik, täglich wird gerungen, debattiert, geschimpft. Der mordsmächtige Gegner, mit dem die Welt und jeder Einzelne gerade zu kämpfen hat, ob Kanzlerin, Schauspielerin oder Krankenpfleger, heißt Covid-19. (mit dpa, epd)

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