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Erste Liebe, erster Rausch. Das jugendliche Alter Ego des Zeichners Manfred Deix.

© Pandora Film

Trickfilm über Manfred Deix: Lehrjahre eines Rotzbuben

Nicht ganz so giftig wie seine Cartoons: Der Animationsfilm "Siegheilkirchen" erzählt von der Jugend des österreichischen Skandal-Zeichners Manfred Deix.

Ein Baby schwebt durch den Uterus, begleitet von einem Donau-Walzer tanzt es im Fruchtwasser. Dann platzt die Fruchtblase, das Baby stürzt in einen Abgrund, es hört seine Mutter qualvoll stöhnen und wird herausgepresst ans Licht und ins Leben. Als sich die Hebamme mit einer Schere nähert, bekommt der Säugling Kastrationsangst. Aber sie durchschneidet nur die Nabelschnur. Und dann wird er an die Brust seiner Mutter gelegt, an der er selig zu saugen beginnt.

So beginnt der österreichische Animationsfilm „Willkommen in Siegheilkirchen“, der von der Jugend des Zeichners Manfred Deix handelt. Der Film, inszeniert vom Regionalkomödienspezialisten Marcus H. Rosenmüller und dem Trickfilmer Santiago López Jover, spielt 1967 in einer niederösterreichischen Kleinstadt, die von kugelförmigen, dickbäuchigen und wurstgesichtigen Deix-Figuren bevölkert ist: Altnazis, die nach ein paar Glas Bier immer noch den rechten Arm zum Hitler-Gruß erheben, ein Bürgermeister, der in seinen Reden Familienwerte beschwört und jungen Frauen nachstellt, und der bigotte Pfarrer, der im Schulunterricht Ohrfeigen verteilt.

Aufgewachsen im Wirtshaus

Der jugendliche Held, von allen bloß Rotzbub genannt, ist unverkennbar das Alter Ego von Deix. Genau wie der Karikaturist wächst er in einem Wirtshaus auf, interessiert sich für nichts außer der Kunst und produziert „Nackertzeichnungen“ von der großbusigen Nachbarin, die von zwei Mitschülern in Umlauf gebracht werden und einen Skandal auslösen.

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Sie seien eine „widerliche Anleitung zur Selbstbefleckung“, empört sich die Frau des Bürgermeisters, die zur „Gehirnerweichung unserer Jugend“ führe. Bloß sein Onkel Neidhardt, ein Maler mit Akademie-Abschluss, erkennt das Talent des Jungen. Allerdings hat er, wie fast alle Honoratioren, eine braune Vergangenheit. An der Rathausfassade ist noch der Reichsadler aus großdeutschen Zeiten zu erkennen, den er dort hinterlassen hat.

[In den Berliner Kinos Babylon Kreuzberg, Filmtheater Friedrichshain, Hackesche Höfe und New Yorck]

Der alte und der neue Rechtsradikalismus gehörten zu den Hauptthemen von Deix’ derben und bitterbösen Bildern. Er hat den österreichischen Präsidenten Kurt Waldheim auf ein Pferd gesetzt, das eine SA-Uniform trug, und den Populisten Jörg Haider als Kampfhund porträtiert. Der Zeichner hatte das Drehbuch des Films noch abgesegnet, bevor er 2016 starb. „Willkommen in Siegheilkirchen“ erzählt eine Coming-of-Age-Geschichte in Form von Lausbubenstreichen, von der Giftigkeit der Deixschen Karikaturen ist nicht allzuviel geblieben.

Verliebt in ein Roma-Mädchen

Denn die Zukunft lässt sich auch im muffigsten Kaff nicht aufhalten. In der neu eröffneten Espresso-Bar steht eine Jukebox, in der englischsprachiger Pop läuft. Anders als im Gasthaus „Zur grünen Rebe“, das vom einarmigen Vater des Rotzbuben geführt wird, werden dort auch die Roma bedient, die am Stadtrand ihre Wohnwagen geparkt haben.

Der Junge verliebt sich in das Roma-Mädchen Mariolina, und als er erfährt, dass zwei ehemalige SS-Männer einen Anschlag auf ihr Lager planen, setzt er alles daran, dies zu verhindern. Bei seinem ersten Alkohol-Vollrausch hebt der Rotzbub vom Boden ab, fliegt hinauf zum nächtlichen Sternenhimmel. Nichts hält ihn mehr in der Kleinstadt, die unter ihm psychedelisch wabert.

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