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Lang lebe der Kleinkunst-Papst. Holger Klotzbach in seinem Büro im Tipi am Kanzleramt.

© Thilo Rückeis

Tipi-Chef Holger Klotzbach wird 70: „Ich war immer eine Hausfrau“

Vom Anarcho-Kabarettisten zum Impresario: Holger Klotzbach, Chef von Tipi am Kanzleramt und Bar jeder Vernunft, wird 70. Ein Gespräch.

Herr Klotzbach, wie kommt es, dass Sie mit 70 noch Ihr Büro im Tipi am Kanzleramt haben: Langweilen Sie sich zu Hause?
Wenn ich schon nicht ins Kanzleramt reinkomme, dann setze ich mich halt ins Zelt daneben. Nee, quatsch, mir macht die Arbeit nach wie vor unglaublichen Spaß, weil sie so vielfältig ist. Wir haben ja keinen Riesenapparat, sondern hier müssen viele Leute vieles machen, und das hält mich munter. Ich rede beim Programm und bei der Speisekarte mit und habe meine Nase überall drin stecken.

Wie man sich das so vorstellt bei Berlins Kleinkunst-Papst.
Der bin ich nicht, ich bin der kleine Grüßaugust Klotzbach.

Den 70. Geburtstag feiern Sie auf Sri Lanka, wo Sie immer überwintern.
Da kann ich wunderbar draußen feiern. Ich habe einen großen Freundeskreis aus Einheimischen und Europäern. Ich fahre seit 1993 dahin. Damals hatte ich, was man heute „Burnout“ nennt, und ein Kollege empfahl mir Ayurveda als Jungbrunnen. Ich habe auch gebaut, weil ich ursprünglich dort meinen Lebensabend verbringen wollte. Aber inzwischen habe ich gemerkt, ich kann von Berlin nicht lassen. Nach drei Monaten muss ich zurück.

Bevor Sie Kulturmanager wurden, waren Sie Kabarettist bei den „3 Tornados“, da könnten Sie anlässlich einer Geburtstagsgala in Berlin doch schön den singenden Impresario geben.
Die Gala habe ich abgewimmelt. Ich hatte einen wunderbaren 50. Geburtstag in der Bar jeder Vernunft, da wollte ich mich nicht erneut lobpreisen lassen. Und auf die Bühne sehne ich mich kein bisschen zurück. Die „3 Tornados" haben sich ja 1988 aufgelöst, da hatten wir schon den Zenit überschritten und spielten mittlerweile in Stadttheatern vor Abonnentenpublikum. Unsere Hochzeit, die nicht nur Spaß, sondern auch politischen Sinn machte, lag in der Friedens- und Anti-AKW-Bewegung. 1988 war da für mich die Luft raus, und allein hätte ich nie auf der Bühne stehen können. Das konnte ich nur als dritter Mann.

Was hat Ihnen zum Solo-Künstler gefehlt?
Ich war zu blöd. Ich war nie ein großer Szenenschreiber. Deswegen war die Musik, die Quetsche mein Hauptpart. Letztlich war Kabarett nicht mein Metier.

Wie sind Sie denn Kabarettist geworden?
Zufällig. Monika Döring, die später den Club „Loft“ im Metropol am Nollendorfplatz hatte, und ich haben nach dem großen Sponti-Kongress „Tunix“ 1977 in der TU als Kollektiv mit zehn anderen Leuten das „Schwarze Café“ in der Kantstraße aufgemacht. Da habe ich öfter am Klavier geklimpert, und eines Tages kamen die Tornados rein und haben mich für eine Platte angeheuert.

Sie, Arnulf Rating und Günter Thews waren Anarcho-Kabarettisten, das heißt was?
Bis die Tornados sich 1977 gründeten, war in Deutschland das politische Kabarett Mode, also Dieter Hildebrandt und Werner Schneyder oder das Kommödchen in Düsseldorf. Das war ein literarisches Rollkragenpullover-Kabarett, das bei Lore Lorentz auch von Schauspielern vorgetragen wurde. Wir waren anders. Wir zogen uns auf offener Bühne um, waren brachial. Wir haben auf der Bühne Hähnchen gegessen, die Schenkel ins Publikum geschmissen, billigen Schampus gesoffen und uns mit den Leuten herumgestritten. Wir haben vor 50 000 Leuten gespielt bei großen Demos, vor 20 000 Leuten beim Konzert von BAP oder in Jugendzentren. Wir haben alles selber gemacht. Politische Preise: In einem Jugendzentrum ohne Knete waren wir ganz billig. Bei Peymann in Bochum bekamen wir 100 Prozent der Einnahmen. Dazwischen spielte sich das ab.

Warum sind Sie als gebürtiger Duisburger eigentlich nach Berlin gekommen?
Das verdanke ich - wie mein tolles Leben überhaupt – dem Staat, der mich 1975 mit einem Berufsverbot belegt hat. Da gab es ja den Radikalenerlass. Ich hatte Lehramt studiert, mich in Bremen beworben und habe da Gott sei Dank eine Ablehnung gekriegt. Das hat mein Leben etwas bunter gestaltet, als wenn ich 40 Jahre als Schulrat verbracht hätte.

Warum fielen Sie unter den Erlass?
Ich war in Tübingen Asta-Vorsitzender für den SDS, den Sozialistischen Deutschen Studentenbund, und hier in Berlin in der linksradikal-leninistischen Organisation Proletarische linke Parteiinitiative. Mit der Roten Hilfe habe ich Knastarbeit gemacht, sowohl mit politischen als auch mit anderen Gefangenen. Da geriet man in die Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes. In Berlin bin ich dann mit einem Freund in die Betriebe gegangen, um rote Zellen zu organisieren. Wir hießen Projektgruppe Elektroindustrie Siemens. Ich habe als Hilfsarbeiter gejobbt. Die Werkzeugmacher kriegten freitags ihre Lohntüten, dann haben sie gesoffen, die Maschinen hatten Auffangbecken, da haben die reingepinkelt und das musste ich sauber machen. Da habe ich mir gesagt, so weit geht meine Liebe zum Proletariat nicht und habe mich rauswerfen lassen. Um irgendeinen Abschluss zu haben, ging ich an die PH, machte Examen und bewarb mich um eine Stelle als Lehrer im Zirkus Busch Roland Berlin.

Die Manegenluft hat Sie bezaubert?
Und wie. Ich hatte neun, zehn Kinder im Zirkuswagen. Ich fand das unstete Reiseleben toll und den Menschenschlag. Wie die zusammen gefeiert haben, aber auch mit welcher unglaublichen Disziplin die jeden zweiten Tag das Zelt auf- und abgebaut haben. Ich habe sieben Tage in der Woche 14 Stunden täglich gearbeitet, und es kam mir vor wie Spaß. Als wir in Wien gastierten, habe ich zufällig Bernhard Paul und André Heller kennengelernt und dann mit denen an der Gründung des Circus Roncalli gearbeitet.

Und in Berlin an der Gründung des alten Tempodroms, das im Tiergarten stand, wo jetzt das Tipi am Kanzleramt steht.
Das hat ja Irene Mössinger gegründet, die ich 1978 kennengelernt habe. Sie war Krankenschwester, hatte eine halbe Million geerbt und wollte einen Zirkus aufmachen. Wir haben zusammen eine Firma gegründet. Ich hatte ein bisschen Knowhow. Von meinem alten Zirkus Busch Roland habe ich das Zelt gekauft, Zirkuswagen, Traktor. Und als wir die Licht- und Tonanlage kauften, hatten wir kein Geld mehr für eine Sitzvorrichtung. Der Senats-Rockbeauftragte hat uns dann Sand vermittelt, der beim U-Bahnbau übrig war. Da wollten wir Bohlen draufpacken und so eine Art Amphitheater bauen. 50 Lastwagenladungen kamen an. Geld für Bagger hatten wir keins, also bin ich zum US-Stadtkommandanten gegangen und habe um Hilfe gebeten. Die sagten okay, wenn die anderen Westmächte sich beteiligen. Also haben die Amis die Logistik gemacht, die Engländer die Manpower und die Franzosen die Maschinerie gestellt. Ich saß mit Matte im alten Pressewagen vom Zirkus, und jeden Morgen salutierten vor mir altem Linksradikalen die Offiziere.

Zusammen mit der Kölner Rockband BAP haben Sie 1989 das Quartier, den heutigen Wintergarten, in der Potsdamer Straße betrieben und zwei Jahre später die Bar jeder Vernunft aufgemacht. Hatten Sie keine Angst, dauernd was Neues aufzuziehen?
Nee. Das unterscheidet meine glückliche Generation von der jetzigen, die trotz Studium nicht sicher sein kann, ob sie einen Job kriegt. Für mich war klar: Deutsch für Ausländer kannst du mit deinem Examen immer unterrichten. Das habe ich auch gemacht, beim DGB, für polnische Aussiedler. Und ich war immer eine Hausfrau: Ich habe nur Geld ausgegeben, das ich hatte. Zum Schuldenmachen war ich zu bieder.

Ihre beiden Zelte – die Bar und das Tipi – sind Privattheater: Wie stehen die da?
Wir finanzieren das durch die Mischung. Das Theater allein würde rote Zahlen schreiben. Die meisten Leute denken, wir verdienen uns an unserem teuren Bier dusselig. Natürlich finanziert auch das das Programm, aber richtig Geld verdienen wir nur mit Galas. Die Gastronomie und 80 Vermietungen pro Jahr lassen uns überleben. Die Lage des Tipis macht's: Viele Firmen finden es toll, im Angesicht der Macht, sozusagen des Politspektakels, ihr eigenes abzuhalten. Die Kanzlerin feiert ja jedes Jahr hier mit der Fraktion Weihnachten. Da habe ich Angela Merkel mal gefragt: ,Was erzählen Sie den Staatsbesuchern, wenn die bei Ihnen auf dem Balkon stehen, was das da nebenan für ein Zelt ist?‘ Sie antwortete, dass sie denen sagt: ,Sehen Sie, das ist Berlin: Hier ist nichts so sehr von Dauer wie ein Provisorium.‘ Wir haben ja anfangs gesagt, wir bleiben nur neun Monate, sonst hätten wir den Platz nie gekriegt.

Aber Firmenanlass und CDU-Feste müssten Sie als alter Linker doch ablehnen?
Nö. Ich nehme das Geld ja von denen, die es haben und tue damit Gutes an armen Künstlern. Der AfD haben wir neulich aber auf eine Anfrage abgesagt.

Sind Sie überhaupt noch links?
Und ob: Ich bezeichne mich gerne als einen der wenigen, vielleicht den einzigen anarchistischen Unternehmer Berlins.

Das merkt man Ihrem Programm aber nicht an. Es gibt keine wüsten Mitternachtsshows mit jungen Talenten mehr, dafür arrivierte Künstler, die jedes Jahr wieder- kommen. Ging Ihnen der Leichtsinn flöten?
Immerhin stemmen wir im Herbst im Tipi „Frau Luna“ als Eigenproduktion, das wird ein Abenteuer. Bei 28 Darstellern und Musikern auf der Bühne müssen wir die Vorstellungen vor der Premiere ausverkaufen, um sie bezahlen zu können. Die Ausstattungsdetails kann ich noch nicht verraten, aber ich bin zu allen Schandtaten bereit. Dieses Feuer habe ich nach wie vor. Und das muss ich dann auch intern so vermitteln. Unsere Techniker ackern manchmal 24 Stunden durch, das würde am Theater keine Gewerkschaft mitmachen.

Klingt ja nicht so, als stünde für Sie nun die wohlverdiente Impresario-Rente an?
Die habe ich mit fünf Jahren Verspätung beantragt. An der Nachfolge arbeite ich so langsam. Man muss auch loslassen, damit andere loslegen können.

Das Gespräch führte Gunda Bartels.

Zur Person: Holger Klotzbach ist Gründer und alleiniger geschäftsführender Gesellschafter der Berliner Theaterzelte Bar jeder Vernunft und Tipi am Kanzleramt. Die 1992 und 2002 eröffneten Zelte in der Schaperstraße in Wilmersdorf und im Tiergarten in der John-Foster-Dulles-Allee haben Künstlern wie Georgette Dee, Tim Fischer, Meret Becker, Pigor & Eichhorn oder den Geschwistern Pfister die Karriere bereitet. Klotzbach wurde am 30. Januar 1946 in Duisburg geboren. Zunächst studierte er Theologie in Bethel und Tübingen, 1975 machte er in Berlin sein Staatsexamen als Lehrer. Als linker Politaktivist fiel er unter den Radikalenerlass. Seinen Einstieg in die Unterhaltungsbranche markiert 1975 die Anstellung als Lehrer und Pressechef beim Zirkus Busch Roland. Von 1981-88 war er Mitglied der Kabaretttruppe Die 3 Tornados. Er hat den Circus Roncalli und das alte Tempodrom in Berlin mitgegründet und zusammen mit BAP die Konzerthalle Quartier, den heutigen Wintergarten, betrieben.

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