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Bubblegum-Musical: Im Kopf der autistischen Music (Maddie Ziegler) wird viel getanzt.

© Alamode

Sia mit neuem Album und Film: Kopfkino im Bällebad

Der australische Popstar Sia veröffentlicht einen Film und ein Album mit dem Titel „Music“ – und beweist sich erneut als Gesamtkunstwerk.

Von Andreas Busche

Im bunten Bällebad von Sias Kopfkino springen verschiedene Avatare des australischen Popstars herum. Ihre Musikvideos suggerieren eine mit Fell ausgekleidete, alternative Realität aus geometrischen Formen, Primärfarben und Fantasiekostümen, deren kindlichem Zauber man sich schwer entziehen kann. Selbst Sias blonde Golem-Perücke, hinter der sie sich gerne versteckt, war lange erst beim zweiten Hinsehen als Frisur zu erkennen.

Zwischen den weiblichen Popstars, die in den vergangenen 15 Jahren die Charts zum Tummelplatz der neuen Populär-Avantgarde machten, von Beyoncé über Lady Gaga und M.I.A. bis Lorde, hat die heute 45-jährige Sia Furler ihren Platz gefunden: mit einem Bubblegum-Pop, den sich sowohl Rihanna als auch Katy Perry (für beide hat sie Hits geschrieben) maßschneidern lassen können.

Auch das Spiegelei-Smiley mit dem Ketchup-Mund, das Millie (Mary Kay Place) ihrer Enkelin Music (Maddie Ziegler) morgens zum Frühstück serviert, stammt unverkennbar aus dem Sia-Bilderuniversum. Das Smiley wird global verstanden, es funktioniert wortlos und hat eine eingängige Botschaft; nicht zufällig wurde es Ende der Achtziger zum Symbol der verstrahlten Rave-Generation. Auch Music versteht das Zeichen: Wenn die Großmutter ihr die Spiegeleier auf den Tisch stellt, lacht sie glucksend.

Verbal kann sie sich nicht ausdrücken, denn Music ist Autistin. Von ihrer Umwelt schirmt sich das reizempfindliche Mädchen mit riesigen Kopfhörern ab. Nach außen wirkt Music, als lebe sie in ihrer eigenen Welt. Wie es da darin aussieht, versucht Sia mit ihrem Regiedebüt, das ebenfalls „Music“ heißt, zu visualisieren. Doch das ist nur eins von vielen Problemen, die man mit dem Film haben kann.

Sias Alter-Ego spielt ein autistisches Mädchen

Die 18-jährige Ziegler ist keine Autistin. Bekannt geworden ist die Tänzerin mit den Musikvideos von Sia, in denen sie als eine Art Pop-Avatar für den Star im Hintergrund einstand. Die Ähnlichkeiten zwischen den Musikvideos und der Fantasiewelt von Music sind verblüffend: Ziegler legt in kubischen Kostümen, wild grimassierend und mit verdrehten Extremitäten konvulsivische Ausdruckstänze hin.

In Popvideos besitzen solche naiv-bunten Oberflächen hübsche Schauwerte, nur spielt Maddie Ziegler in „Music“ nicht mehr das Alter Ego von Sia, sondern ein autistisches Mädchen. Die Community beschwerte sich schon im November darüber, dass Music von einer neurotypischen (ein Begriff, der von Betroffenen ebenfalls kritisiert wird), also normativ „gesunden“ Darstellerin gespielt wird. Als Anfang Februar der Film und Hauptdarstellerin Kate Hudson für Golden Globes nominiert wurden, wurde die Kritik wieder laut.

Der Film erhielt viel Kritik von Betroffenen

Selbst wohlwollende Kritiker kann „Music“ zum Verzweifeln bringen; Sia hat ganz offensichtlich großen Wert auf kulturelle Diversität gelegt. Ein Nachbar von Music und ihrer drogenabhängigen älteren Schwester Zu, gespielt von Hudson, ist der ghanaische Migrant Ebo (Leslie Odom Jr.), der im Boxclub Kinder aus Migrantenfamilien trainiert; und die Musical-Einlagen fungieren vermeintlich als augmentative und alternative Kommunikation für die non-verbale Music.

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Doch kommt keine der Charaktere über stereotype Zuschreibungen hinaus; schlimmstenfalls – wie Music mit ihren Tics, Grimassen und Katzengeräuschen – agieren sie am Rande der Karikatur. Und weil Sia im Herbst selbst auf die Kritik aus der neurodivergenten Community beleidigt reagierte, reicht guter Wille allein eben nicht mehr aus.

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Chaotisch, trotz simpler Handlung

Aber auch filmisch wirkt „Music“ ziemlich chaotisch, was angesichts der schlichten Feelgood-Handlung schon eine Leistung ist. Denn anders, als der Titel suggeriert, dreht sich „Music“ vor allem um Zu und ihrem Versuch, ein normales Leben zu beginnen und endlich eine verantwortungsvolle ältere Schwester zu sein. Bis man realisiert, dass die Musical-Einlagen sich nicht nur im Kopf von Music ereignen; auch Zu und Ebo bekommen ihre Tanznummern (er in einem grotesken XXL-Anzug)

(Als Video-on-Demand verfügbar)

Konzeptuell ist das äußerst inkonsequent. Da hat man allerdings schon verstanden, dass es in „Music“ nicht wirklich um Autismus, sondern vor allem um Sia geht, die ihre eigene Abhängigkeitsgeschichte durch Zu erzählt – und sich obendrein ein eitles Cameo gibt.

Vielleicht sollte man Sias Regiedebüt daher besser als „visuelles Album“ zur Platte mit dem Titel „Music“ (Warner) verstehen, das mit „Songs from and Inspired by the Motion Picture“ wirbt. Ihr erstes Soloalbum seit 2016 peppt Filmsongs wie „1 + 1“ und „Together“ mit den Produktionsmitteln der globalen Popmaschinerie (Jack Antonoff) auf. Der makellose Schein von Sias Powerballaden und Großraumdiscostampfern zeigt inzwischen Abnutzungserscheinungen, doch mit Gaststars wie Dua Lipa und Burna Boy beweist sie auch, dass sie weiter Kontakt zum Pop-Zeitgeist hält. Nur das mit dem Filmen sollte sie sich noch mal überlegen. Auch ein Gesamtkunstwerk hat seine Grenzen.

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