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Dauergespräche über die Liebe und das Leben. Bestsellerautorin Sally Rooney, 30. Foto: Kalpesh Lathriga/Verlag

© Kalpesh Lathriga/Verlag

Sally Rooneys Roman „Schöne Welt, wo bist du“: Auf der Suche nach dem Glück

Wie es in der kleinen Welt der Millennials zugeht: Sally Rooneys smart verschwatzter, schön authentischer Generationsroman „Schöne Welt, wo bist du“.

Man würde gern wissen, ob Sally Rooney eigentlich Romane ihrer Kolleginnen und Kollegen liest, zeitgenössische Romane. Ob sie glaubt, sich im „normalen Leben“ auszukennen, zumal sie selbst einmal einen Roman über „normal people“ geschrieben hat.

Ob auch für sie gilt, was sie sonst noch so eine der vier Figuren ihres neuen Buches „Schöne Welt, wo bist du“ (Aus dem Englischen von Zoe Beck. Claasen, Berlin 2021. 352 S., 20 €.) in einer Mail an ihre mutmaßlich beste Freundin analysieren lässt: dass nämlich das Problem der zeitgenössischen euro-amerikanischen Gegenwartsliteratur sei, „dass die Grundlage ihrer strukturellen Integrität die Verdrängung der gelebten Realität der meisten Menschen auf der Erde ist“.

Man könnte auf den Gedanken kommen, dass Rooney in der Figur der Alice Kelleher ein Selbstporträt geschrieben hat, zumindest in diese Figur viel von ihr selbst eingeflossen ist. Denn Alice ist mit ihren knapp 30 Jahren ähnlich wie Rooney eine erfolgreiche Schriftstellerin, so erfolgreich, dass sie mit ihren Büchern inzwischen Millionärin geworden ist.

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Dazu kommt: Alice Kelleher mag in ihrer Mail kein gutes Haar an der Gegenwartsliteratur lassen, am Gegenwartsroman, „der die Wahrheit der Welt verdrängt“, an den Kollegen, die nicht mehr wissen, wie es in der „echten Welt“ zugeht – doch ohne Umschweife gibt sie zu, dass ihre Arbeit, ihre Bücher, „der schlimmste Missetäter in dieser Hinsicht“ sei: „Deshalb glaube ich nicht, dass ich jemals einen neuen Roman schreiben werde.“

Sally Rooney, 1991 im irischen Städtchen Castlebar geboren, hat diesen neuen Roman jedoch geschrieben. Es ist innerhalb von gerade einmal fünf Jahren ihr dritter nach „Gespräche mit Freunden“ und „Normale Menschen“.

Zwei Frauen, zwei Männer

Damit ist sie zu einem Popstar der internationalen Gegenwartsliteratur geworden – und avancierte zur großen Generationsversteherin: der Millennials, der heute 20- bis 35-Jährigen, die Rooneys Romane verschlingen, genauso wie übrigens Barack Obama (der inzwischen, aus welchen Gründen auch immer, das ultimative Gütesiegel für ein Buch oder einen Autor oder eine Autorin bedeutet).

Das alles ist einerseits für eine junge Autorin natürlich großartig, ein Beweis dafür, das Richtige zu tun, einen Nerv getroffen zu haben. Andererseits ist es eine Bürde. Was zu dem Schluss führen könnte, „Schöne Welt, wo bist du“ sei ein Roman, in dem Rooney eine eigene Krise aufarbeitet.

Sally Rooney schreibt ihre Vorgänger einfach weiter..Nachdem sie sich in „Normale Menschen“ auf ein Paar konzentriert hatte, sind es jetzt wieder, wie in ihrem Debüt, vier Menschen um die 30, der eine davon Mitte 30, um deren Leben es geht: zwei Frauen, zwei Männer, letztendlich zwei Paare, die mit sich, ihrer Beziehung zueinander, ihren Berufen, ihrer Position in der Welt ringen.

Normale Menschen aus unterschiedlichen sozialen Milieus, die Karriere machen oder auch nicht.

Das eine Paar bilden ebenjene Erfolgsschriftstellerin Alice, die sich wegen einer depressiven Phase gerade von Dublin aufs Land zurückgezogen hat, und Felix, der hier auf dem Land wohnt, sich für Literatur nicht interessiert und acht Stunden am Tag in einer Lagerhalle arbeitet. Beide haben sich über die Dating-App Tinder kennengelernt und versuchen herauszufinden, was sie voneinander halten sollen.

Die Mails sind kleine Essays über den Zustand der Welt

Das andere Paar sind Eileen und der ein paar Jahre ältere Simon, die seit ihrer Kindheit miteinander befreundet sind, andere Beziehungen hatten oder haben und sich nun sexuell näherkommen. Bei ihnen geht es darum, insbesondere bei Eileen: ewige Freundschaft? Oder ein Liebespaar werden, heiraten, Kinder bekommen?

Eileen arbeitet in Dublin bei einem Literaturmagazin und bekommt von ihrer ihr nicht besonders zugetanen älteren Schwester Lola schon mal zu hören, es zu gar nichts gebracht zu haben. Und Simon? Ist in der Politik, arbeitet als Berater, könnte noch erfolgreicher sein, will das aber nicht, glaubt überdies aktiv an Gott.

Während sich die Männer erst spät kennenlernen, bei einem Treffen in Alice’ Haus am Ende des Romans, sind Alice und Eileen gute Freundinnen seit ihrer Studienzeit in Dublin, wo sie zusammengewohnt haben. Inzwischen ist ihre Beziehung loser geworden, doch sie stehen über lange Mails miteinander in Kontakt.

So ist „Schöne Welt, wo bist du“ in Teilen ein schön altmodischer Briefroman. Rooney erzählt im Wechsel, wie ihre Paare zusammenkommen, was für eine Entwicklung ihre Beziehung nimmt, und zwischendrin, wie Alice und Eileen, dann natürlich als Ich-Erzählerinnen, regelmäßig den jeweiligen Stand ihrer Dinge per Mail kommentieren.

Aber eben nicht nur das: Bisweilen sind diese Mails kleine Essays über den Zustand der Welt, der Zivilisation, die Literatur, auch sozialistisches, gar marxistisches Gedankengut mischt sich darunter; es geht um Schönheit, den Plastik-Wahn, das Christentum, um ihre Zukunft und was das Leben in seinem Innern ausmacht.

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Diese Mails wirken zwingender als die mitunter langatmigen Erzählungen über, zum Beispiel, eine Fahrt von Alice mit Felix nach Rom, über die Hochzeit von Eileens Schwester Lola oder über die Zusammenkunft der vier in Alice’ Haus. Rooney ist keine umwerfende Erzählerin oder gar Stilistin; Sprache dient ihr lediglich dazu, das Tun und Denken ihrer Figuren zu transportieren, viel spielt sich dabei über alles andere als brillante Dialoge ab.

Am störendsten sind Passagen, in denen per Smartphone gechattet wird und Rooney jeden einzelnen Schritt dieser Kommunikation erwähnt: „Sie klickte auf Senden, und fast sofort wurde angezeigt, dass Lola die ,Nachricht‘ gesehen hatte. Die animierten Auslassungspunkte wurden angezeigt, und innerhalb von Sekunden erschien die Antwort.“

Ähnlich ausdauernd und explizit deskriptiv ist Rooney bei der Schilderung der vielen Sexszenen, die zumeist etwas statisch am Ende der auktorial erzählten Kapitel stehen. Interessanterweise spielen hier die Frauen, die eigentlichen Heldinnen des Romans, meist die untergeordnete Rolle, und das gern.

Leben und glücklich sein

Was wiederum im Gegensatz steht zu ihrem sonstigen Verhalten den Männern gegenüber: Alice lässt es laufen, lässt sich nichts anhaben, versucht in der Beziehung zu Felix qua ostentativem Desinteresse die Oberhand zu behalten. Und Eileen hat zwar ihre Träume, ist eifersüchtig auf die jungen Freundinnen Simons, hält ihn aber doch auf Abstand, von wegen der lebenslangen Freundschaft. Trotzdem: Gendertrouble? Ein Bewusstsein für die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern? Eher nicht so.

So geht es hin und her mit den heterosexuellen Verstrickungen in einer im Übrigen sehr homogen wirkenden weißen irischen Gesellschaft: Mal wirkt das Ganze banal, wie das Leben bisweilen ist, mal ist es altersentsprechend pathetisch, mal sind Alice und Eileen über die Maßen reflektiert, was ihren letztendlich biederen Sehnsüchten oft ins Gehege kommt. So wie es Eileen einmal formuliert, als sie sich überlegt, wohl weder Kinder zu bekommen noch ein Buch zu schreiben noch überhaupt etwas zu hinterlassen, „das an mich erinnert“. Sie akzeptiert das, „es gibt mir das Gefühl, ich sollte meine Energie nutzen, um zu leben und glücklich zu sein, anstatt mich über den Zustand der Welt zu sorgen und zu beklagen, was ohnehin niemandem hilft“.

So einfach kann das sein, darauf läuft alles in diesem Roman hinaus.

Rooney repräsentiert ihre Generation

Man kann Sally Rooney die Schlichtheit ihrer Prosa vorwerfen, die vorhersehbare Dramaturgie, auch formal, die vielen Verlabertheiten ihrer Figuren, den Kitsch, der an vielen Stellen hervorlugt, den notdürftigen, direkt irgendeinem Literatur-Proseminar entnommenen Überbau mit den Diskussionen von Eileen und Alice über Schönheit und Ästhetik – und doch wirkt all das authentisch, glaubt man allen Figuren die Probleme, in denen sie stecken, die Sätze, die sie sagen, das Alter, in dem sie sich befinden, ein Alter, das bekanntermaßen nicht eins der leichtesten in der Lebensphase eines Menschen ist.

Mag Rooney ihrem Erfolg nicht über den Weg trauen und Schreibkrisen durchgemacht haben, mag sie wie ihre Alice zu dem Schluss gekommen sein, dass ihre normalen Menschen reine Luxusprobleme haben – wenn sie immer wieder mal von ganz oben mit der Kamera auf Alice und Felix, Eileen und Simon schaut und diese nur noch als „ein Mann“ und „eine Frau“ bezeichnet, die jede Frau, jeder Mann sein könnten, dann wirkt es, als glaube Sally Rooney an das Repräsentative ihrer Figuren, als habe sie ihre Rolle als ultimative Millennialversteherin lange verinnerlicht. Ihre Welt bleibt eine kleine, doch weniger echt ist sie deshalb nicht.

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