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Philharmoniker Chefdirigent Kiril Petrenko und sein Orchester.

© Stephan Robold

Saisonstart der Philharmoniker: Das Ende einer Unterhaltung

Geheimnisse müssen sein: Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker starten mit Weber, Hindemith und Schubert in die neue Saison.

Wie kann, wie soll man diese Spielzeit beginnen? Die Verunsicherung sitzt tief. Während die Live-Kultur Sorgen vor dem Bedeutungsverlust plagen, ist den Besucher:innen ein Zögern beim Ticketkauf anzumerken. Das mussten selbst die erfolgverwöhnten Berliner Philharmoniker bei ihrer Welcome Back Week feststellen, für die es bis zuletzt günstige Karten gab.

Diese Saison verspricht kein Selbstläufer zu werden. Und sie stößt zu Beginn auf das durchaus ambivalente Gefühl, in der Philharmonie wieder von direkten Sitznachbarn umgeben zu sein. 2000 Plätze dürfen von maskentragenden Zuhörer:innen belegt werden, lediglich die entlegendsten Blöcke bleiben gesperrt.

Es geht also wieder um ein gemeinsames Erleben, um den in Videostreams so oft beschworenen und heiß vermissten Resonanzraum, den nur das Publikum bildet.

Man merkt Kirill Petrenko an, dass er zum Saisonauftakt seiner Philharmoniker ein unmissverständliches Plädoyer abliefern will für die unentrinnbare Kraft, die eine sich selbst bewusste Kunst entfalten kann. Ohnehin ein nimmermüder Suchender, ist Petrenko kein Weg zu ungemütlich, um zu noch mehr Prägnanz vorzustoßen.

Wille zur Überwältigung

Deshalb haben ihn die Philharmoniker:innen zu ihrem Chef gewählt, und ihre nunmehr dritte gemeinsame Saisoneröffnung strotzt nur so von entfesseltem Arbeitsethos und artistischer Furchtlosigkeit. Am Ende erhebt sich ein schwindlig gespieltes Publikum zu Standing Ovations.

Wer könnte sich auch Petrenkos erklärtem Willen zur Überwältigung entziehen, zumal der Abend betörend zart beginnt, mit dem nächtlichen Hornruf von Stefan Dohr und seinem feinen Nachbeben in Webers Ouvertüre zur Oper „Oberon“.

Doch romantische Zauberreiche gehen in der Philharmonie nicht als schummrige Zufluchtsorte für müde Menschenseelen durch. Petrenko macht das Licht an, schärft nach, spitzt zu. Webers Musik tauscht unter seinen Händen Zauber gegen Macht. Nichts darf mehr Divertissement, nur Ablenkung sein, alles ist sehnige Konzentration.

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Hindemiths Symphonische Metamorphosen nach Themen von Carl Maria von Weber profitieren davon wie ein Schiff unter vollen Segeln vom richtigen Wind. Viel Drang und Gischt, schnell vergessen die poetischen Episoden auf dem Weg, und am Ende übertönt die kaum mehr vorstellbare Steigerung alles bisher Dagewesene. Das Spielerische, Parodistische der Partitur zeigt sich unter philharmonischem Volldampf nur selten.

Auch Schuberts Große Symphonie in C-Dur, nach der Pause unbestritten Schwerpunkt des Programms, beginnt mit einem Hornruf. Doch der Zugang zu einer Welt der leisen Töne scheint verlorengegangen zu sein. Die Philharmoniker pendeln sich auf kernigen Phonwerten ein und spicken Schubert mit so vielen Betonungszeichen, dass schnell der Zustand der Dauererregung erreicht ist. Petrenko deutet an, etwas mehr tänzerische Grazie einfordern zu wollen, doch nachgeben will hier niemand.

Die Katastrophe des zweiten Satzes und die Stille, die ihr folgt, sind erschütternd ausmusiziert. Jeder Takt wird groß gedacht und nicht losgelassen, ohne ihm auch Kontur und Ausdruck mitgegeben zu haben. Doch wenn alles als gleichermaßen relevant behandelt wird, stockt der Erzählfluss und im Resonanzraum wird die Luft knapp. Zum ersten Mal kann man erahnen, dass sich Musik von Petrenko zwar erobern lässt, aber nicht alle ihre Geheimnisse preisgibt.

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