zum Hauptinhalt
Ferdinand Schmalz bim Ingeborg-Bachmannpreis, 2017. Er gewann damals.

© Gert Eggenberger/dpa

Roman von Bachmannpreisträger: Das Debüt von Ferdinand Schmalz ist wie Fleischstrudel mit Blätterteig

Der Bachmannpreisträger von 2017 versteht sich auf die Kunst und aufs Essen. „Mein Lieblingstier heißt Winter“ verbindet beides – und ist ein fulminantes Romandebüt.

Gute Literatur soll mehrschichtig und gehaltvoll sein, vielleicht, um ausnahmsweise einmal einen Vergleich aus der Kulinarik zu bemühen: wie Fleischstrudel mit Blätterteig. Der gefeierte österreichische Theaterautor Ferdinand Schmalz versteht sich auf beides: auf Kunst und aufs Essen. Bei ihm, der 2017 den Ingeborg-Bachmannpreis gewann, ging es schon immer ans Eingemachte. Seine Bühnenstücke tragen so appetitliche Titel wie „am beispiel der butter“ oder „dosenfleisch“.

Jetzt hat Schmalz mit „Mein Lieblingstier heißt Winter“ seinen ersten Roman geschrieben, in dem noch jede Menge Bühne und auch etwas Film drinsteckt. Von Weitem winken Ödön von Horváth, Elfriede Jelinek und Wolfgang Bauer. Hinter ihnen, leicht verdeckt, ruft Billy Wilder: „Du sollst nicht langweilen!“

An der Oberfläche ist Schmalz’ Roman eine ur-österreichische Krimi-Posse: sozialkritisch, schwarzhumorig, schräg und alles andere als langweilig. Wir lauschen dem Dialog zweier Männer, die in der Bruthitze über den Menschen als eine vom Kernkeulenpilz befallene Ameise brüten, während sie in einem verkommenen Freizeitpark den Schimmel von lebensgroßen Plastiksauriern schrubben.

Wir begleiten einen Tiefkühlkost-Lieferanten auf der wendungsreichen Suche nach einem verschollenen Kunden mit Lungenkrebs und Suizidgedanken.

Wir begegnen einem korrupten Ministerialrat mit Faible für Nazi-Weihnachtsschmuck und Freunden bei der Polizei; einem Einsiedler, der alle Fenster seines Hauses zumauern lässt; einer Zahnarzttechnikerin, die den Kunstzahn in ihrer Hosentasche befingert, wenn sie nervös wird; einem Feuerwerker, der auf Rache für seinen getöteten Kanarienvogel sinnt; einem Pathologen, der seine Arbeit mit der eines Filmcutters vergleicht. Und es gibt noch mehr Figuren mit Höchstwerten auf der Spleen-Skala, morbide Fantasien zwischen Tiefgefrorenem und Hitzewellen, und immer wieder: Rehragout.

Die Natur als Schrecken

Der Text lässt sich durchaus erkenntnistheoretisch lesen, als Reflexion über Wirklichkeit und Fiktion, über das Verhältnis von Natur und Kunst. Letztere beginnt schon beim Autorennamen: Ferdinand Schmalz wurde als Matthias Schweiger geboren, 1985, in Graz. Und dann die Figuren: Schlicht, Schauer, Schimmelteufel. Namen, die ihre Fingiertheit selbst ausstellen.

[Ferdinand Schmalz: Mein Lieblingstier heißt Winter. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2021. 192 Seiten, 22 €.]

Schon in seiner Hamburger Poetik-Vorlesung erklärte Schmalz das Fiktionale zum Stoff, aus dem das Leben ist. Die ganze Welt: eine Bühne. Alle Frauen und Männer: bloße Spieler. Das Ich: ein Korsett, aus dem es sich zu befreien gilt.

Die Natur erscheint als Schrecken, der Körper als Grab der Seele. Im Roman übt sich eine Figur in Körpergebrauchsverzicht, lässt sich in einen künstlichen Tiefschlaf versetzen. Andere suchen Erlösung im Schmerz, weil „nur der Schmerz es schaffe, die Fesseln unsrer subjektiven Sicht zu lösen, um volle Freiheit zu erfahren“.

Ich-Ich-Ich-Erzähler mit Social-Media-Hipster-Slang

Bei allen philosophischen Gedankenspielen ist „Mein Lieblingstier heißt Winter“ in seiner Tiefenschicht aber vor allem eines: ein Sprachkunstwerk. Hier eine Wortneuschöpfung, dort eine Satzumstellung, und dazwischen mundartet es. Ferdinand Schmalz hat eine Kunstsprache geschaffen, die ihm als Stimmgabel dient. Er versetzt sie in Schwingungen. Die Sätze: ein einziges Auf und Ab, wellenförmig, bis sie sich an einer Ellipse brechen. In diesem eigentümlichen Klang und den absichtlichen Rhythmusstörungen liegt die Kraft seiner Prosa.

[Behalten Sie den Überblick über die Entwicklung in Ihrem Berliner Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über Ihre Nachbarschaft. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de.]

Mit den Archetypen der jungen deutschsprachigen Gegenwartsliteratur hat dieser Schriftsteller nichts an dem von ihm so gern getragenen Porkpie-Hut. Schmalz ist der Widerpart der Ich-Ich-Ich-Erzähler mit Social-Media-Hipster-Slang, von identitätspolitisch engagierten Autorinnen mit überhöhtem Sendungsbewusstsein.

Dabei ist „Mein Lieblingstier heißt Winter“ durchaus kein reines l'art pour l'art. Ferdinand Schmalz will den zeitgenössischen Kampf gegen Ambivalenz und Divergenz nicht mit ästhetischen Mitteln fortschreiben. Er will den Diskurs nicht verengen, sondern weiten. Seine Werke schickt er wie einen lästigen Bremsenschwarm in den Hallraum festgezurrter Weltanschauungen. Ein fulminantes Romandebüt.

Jérôme Jaminet

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false