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Die Rolling Stones - Ron Wood (l-r), Mick Jagger, Steve Jordan und Keith Richards - in München.

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Rolling-Stones-Konzert in München: Rau, laut und rotzig

Sechzig Jahre nach ihrer Gründung gehen die Rolling Stones noch einmal auf Tour. Sie sind wieder da, die drei Legenden, München ist der zweite Spielort.

Erst einmal Gedenken an Charlie Watts, den vergangenen August im Alter von 80 Jahren verstorbenen Schlagzeuger der Rolling Stones. Zum Drum-Rhythmus werden Bilder von ihm an die Leinwände neben der Bühne im Münchner Olympiastadion geworfen: Der Schlagzeuger lacht, spielt, jongliert mit den Sticks, Charlie Watts jung und alt. Ein schmaler, feiner Herr, der auch den Jazz sehr liebte.

Mit ein paar Riffs, dem Intro von „Street Fighting Man“, betritt Keith Richards die Bühne und gibt vor, wohin Reise an diesem Abend geht - zu hartem, knallendem Rock und Blues. Leadgitarrist Ron Wood erscheint, und gleich auch Mick Jagger, der sich mit empor gereckten Händen, Klatschen und Zuckungen von den Beinen bis in den Hals dem Publikum hinzugeben scheint.  

Seit 60 Jahren unterwegs

Sie sind wieder da, diese drei Legenden, seit Corona ist es ihre erste Europatour, und München ist der zweite Spielort nach Madrid in der vergangenen Woche. „Sixty“ heißt die Tour, denn die Gründung der Band lässt sich bis ins Jahr 1962 zurückverfolgen, vor 60 Jahren war das. Sie haben ordentlich Begleitmusiker mit an Bord, doch echte Rolling Stones sind nur, das macht die personenzentrierte Choreographie des Abends deutlich, diese drei - Jagger, Richards, Wood.

Was soll man von diesen Haudegen erwarten, die schon lange zur Legende geworden sind als größte Rockband der Welt? Ja, das Alter und die Kondition, das sind Stones-Dauerthemen. Sie waren es schon, als die Bandmitglieder noch zarte 70 oder etwas darunter waren. Jetzt wird Mick Jagger im Juli 79, Richards folgt im Dezember, Jungspund Wood feierte am 1. Juni seinen 75.

Die sehr betagten Herren kommen fit und agil daher wie eh und je. Drogen- und Alkoholexzesse wird es kaum mehr geben, nur eiserne Trainings- und Ernährungspläne dürften ein solches schon rein körperliches Pensum, das diese Show abverlangt, ermöglichen. Und „Street Fighting Man“ gibt auch die Verfasstheit und Ausrichtung dieser Stones der Gegenwart vor: Im Text des 1968 veröffentlichten Songs beschreibt ein junger Mann die Proteste der Studentenbewegung - Zeit, um Straßenkämpfer zu werden. Aber in „Sleepy London“ ist nichts los in dieser Richtung, also kann er nur Sänger einer Rock'n'Roll-Band werden.

Mit „19th Nervous Breakdown“ und „Tumbling Dice“ wird der Weg zum Rock- und Blues-Feuerwerk weiter beschritten. Kleine Soli von Ron Wood sind eingebaut, Keith Richards harte Riffs kommen passgenau. Die Musik ist drängend, schnell und vor allem sehr rotzig, der Sound voll und breit. Mick Jagger bekommt bei seinem Dauer-Turnprogramm, das er neben dem Singen absolviert, Probleme mit der Luft. „Oh, oh, oh“ , schnauft er überlaut und thematisiert das geschickt von sich selbst aus, ohne es verstecken zu wollen.

Nicht ohne meine Mütze

Im Stadion mit dem weiterhin so toll geschwungenen, leichten Teil-Zeltdach und dem ziemlich maroden Inneren sieht man die Stones nicht genauer, sie sind zu weit weg. Mick Jagger wirkt knabenhaft-schlank wie eh und je, Keith Richards trägt das ganze Konzert über eine graue Mütze und eine dunkle Jacke.  

Was man nicht erkennt, sind die Gesichter der Fast-Achtzigjährigen. Die tiefen Falten, die in Keith Richards Wangen schon seit vielen Jahren ein wahres zerklüftetes Gebirge bilden. Doch immer wieder sieht man bei ihm ein etwas geflasht wirkendes Dauerlächeln bis -grinsen. Der Mann ist offenkundig happy mit dem, wie es ist. Einzig Ron Wood hat das Haar weiterhin braun-schwarz gefärbt.

Mick Jagger
Mick Jagger

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Per Online-Voting haben die Fans ein Wunschlied auf die Setlist gewählt: „Ruby Tuesday“. Die Stones interpretieren ihren 55 Jahre alten Song so kraftvoll neu, ein drängendes Liebeslied mit unbedingter Emotion und Pathos. Wunderschön. Überhaupt fällt beim Hören der Originalaufnahmen auf, wie schmal und gediegen das heute erscheint - und in München zeigen die Stones, was man aus diesen Songs machen kann.

Wenige Stunden zuvor stand das Gelingen des Konzertes unter einem flackernden Stern. „Starkregenfälle, Blitze und Sturmböen“ wurden für Oberbayern angekündigt, der Showbeginn deshalb um 75 Minuten auf 20.45 Uhr verschoben. Und dann tatsächlich: kein einziger Tropfen, und zu „Ruby Tuesday“ lässt sich ein rosafarbener Sonnenuntergang zumindest erahnen.

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Zwei Songs singt Keith Richards („ Connections“ und „Slipping Away“). Das hätte nicht unbedingt sein müssen, doch Frontmann Mick Jagger braucht offenkundig ein bisschen Zeit zum Atmen. Das Publikum ist erstaunlich bunt gemischt. Die Rock-Veteranen sind darunter, die das Stones-T-Shirt aus der untersten Schublade im Kleiderschrank geholt haben. Es spannt ziemlich über dem Bauch, offenbar beim Waschen eingegangen. Doch auch viele junge Menschen zieht es zu der Band. Die Hauptakteure auf der Bühne jedenfalls dürften zu den Ältesten im Stadion gehören.  

Alles muss raus    

Nach der kleinen Pause für Jagger geht die Show dann in die zweite Hälfte mit einem, man muss es so sagen, Kracher der Rockgeschichte nach dem anderen. „Miss You“, „Start Me Up“, „Paint It Black“, „Sympathie For The Devil“, „Jumpin' Jack Flash“ - das alles hauen sie raus, eins nach dem anderen. Satt, prall, drängend. Ein Durchlauf durch die Rockgeschichte, den sicher nur diese Band so bieten kann. Eine Stunde Masterworks, Meisterwerke. Da übersieht man gern auch, dass der ständige Klamottenwechsel des Pfauen Mick Jagger mittlerweile etwas peinlich wirkt, ebenso wie seine Versuche, ein paar Sätze in radebrechendem Deutsch zu sagen.

Vor dem obligatorischen „(I Can't Get No) Satisfaction“ als lang ausgespielte Schlussnummer wird mit „Gimme Shelter“ ein weiterer Höhepunkt gesetzt. Das laszive Duett mit Jagger bestreitet die entfesselte Sängerin Sasha Allen. „Gimme Shelter“, schreien sie sich gegenseitig an, „Gib mir Schutz“. Doch eine andere, vielfach wiederholte Zeile lautet: „War, Children, It's Just A Shot Away“ - Krieg ist nur einen Schuss entfernt. Auf den beiden Leinwänden sind dazu Bilder von zerbombten ukrainischen Städten zu sehen. Ein starkes Statement.   

[Auf ihrer "Sixty"-Europatour geben die Rolling Stones bis Ende Juli 14 Konzerte. Nach München gibt es einen zweiten Auftritt in Deutschland, am 27. Juli in Gelsenkirchen]

Ist das die letzte Tour der Stones? Zwei von ihnen wurden immerhin schon geboren, als der Zweite Weltkrieg noch tobte. Gitarrist Ron Wood hatte sich jüngst so geäußert, dass man ein baldiges Ende der Stones heraushören könnte, doch er wurde dann offenkundig zurückgepfiffen. Mick Jaggers Worte darüber, wie sehr sie Charlie Watts vermissen, lassen einen anderen Schluss zu: Sie würden jetzt, so sagt er, ihre „erste Europatour ohne Charlie“ machen. Wohlgemerkt die erste, nicht die letzte.  

Je älter sie werden, umso nachdrücklicher werden nach Stones-Auftritten  auch Themen wie Endlichkeit und Unsterblichkeit verhandelt. Die Band auf Farewell-, auf Abschiedstour und dann der späte Eintritt ins Rentnerdasein? Nein, das ist eine kaum denkbare Vorstellung. Pop-Schmuser wie Elton John mögen das mit 75 so machen. Ein Rolling Stone aber bleibt ein Rolling Stone, bis er stirbt.    

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