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Leichte Brise. Das Bild „Wäschetrocknen – Bleiche“ von Max Liebermann.

© MKdW

Restitution Rolle rückwärts: Erst als NS-Raubkunst beargwöhnt, dann vom Verdacht befreit

Ein Liebermann-Gemälde darf im Museum auf Föhr bleiben. Die Erben hatten es aus den USA verkauft – nur wussten die anderen Verwandten nicht davon.

Meist ist von einem glücklichen Ausgang der Provenienzrecherche die Rede, wenn ein Kunstwerk in den Besitz einer durch die Nationalsozialisten verfolgten Familie wieder zurückkehren kann. Schließlich gilt die Restitution als zumindest gewisse Wiedergutmachung an den Erben. Manchmal allerdings verlaufen die Wege andersherum. Ein Bild darf bleiben, wo es ist, wenn die Sache nicht zu Gunsten der Nachfahren geklärt werden kann.

Bei ihnen bleibt Enttäuschung zurück, auch ein ungutes Gefühl. Solche Fälle geraten eher selten in die Öffentlichkeit. Es sei denn, es handelt sich um ein Gemälde von Max Liebermann, das schon bei der Sammlung des NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt zum prominentesten Werk avancierte. Und das einst im Besitz einer berühmten jüdischen Familie war.

Beides trifft auf das nur 26,5 mal 37,5 Zentimeter große Gemälde von 1890 zu, das im Museum Kunst der Westküste in Alkersum auf der Insel Föhr hängt – als Dauerleihgabe eines Privatbesitzers. Es zeigt eine Frau im Garten beim Wäscheaufhängen, während auf der Wiese noch weiße Laken zum Bleichen ausliegen. „Wäschetrocknen – Bleiche“, lautet der Titel, ein häufiges Thema bei Liebermann.

Erworben hat es Moritz Ury, Mitbegründer des ersten Leipziger Kaufhauses, wohl 1926 bei Cassirer in Berlin. Fünf Jahre später gab er das Bild mit einem weiteren Liebermann, einem Courbet und einem Lesser Ury, der sein Cousin war, in eine Leipziger Ausstellung. Danach verliert sich die Spur. Mit seiner Frau Selma emigriert Moritz Ury in die Schweiz, wo er 1938 stirbt; so wie drei Jahre später seine Frau.

Vierzig Kisten gehen aus der Schweiz in die USA, wohin sich andere Teile der Familie vor den Nationalsozialisten retten konnten. Aber ist auch der Liebermann darunter? Oder musste er als Reichsfluchtsteuer herhalten, wie Urenkel Mitchell Ostwald vermutete. Beschlagnahmten NS-Behörden das Gemälde?

Der heutige Eigentümer zahlte die Provenienzforschung

Jahrelang ließ Ostwald das Bild von Sacramento aus suchen, mit den drei anderen Leipziger Werken ins Lost Art Register eintragen. Doch wann immer er glaubte, eine Spur zu erhaschen, verschwand es wieder im Handel. Die Veröffentlichung seines Falls in der „Frankfurter Rundschau“ und eine Föhr-Urlauberin, die daraufhin das Bild im Museum wiedererkannte, brachte die Geschichte 2017 ins Rollen. So lange hat es gedauert, bis sich die vielen offenen Fäden miteinander verknüpfen ließen. Das Ergebnis ist eine Rolle rückwärts in Restitution. Eine Rückgabe kommt nicht mehr in Frage.

Die Erben haben den Liebermann nun aus der Lost Art-Datenbank des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste und dem Art Loss Register in London wieder streichen lassen. Er bleibt auf Föhr. Das Ergebnis der Nachforschungen, die der Eigentümer zahlte, spricht das Gemälde vom Verdacht der NS-Raubkunst frei. Anna Rubin, Direktorin des Holocaust Claims Processing Office in New York, die das Verfahren begleitete, zollte sogar Lob für dessen Geduld und gütliche Kooperation bei der Lösung der geltend gemachten Ansprüche.

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Das dürfte eher selten sein, doch handelt es sich um eine Privatperson, die schließlich nicht hätte belangt werden können. Nach den Washingtoner Prinzipien sind nur öffentliche Häuser zur Rückgabe verpflichtet. Das machte auch die Causa Gurlitt so spektakulär, weil sich der Sohn des Sammlers dazu freiwillig bereit erklärte.

Das Auktionshaus Grisebach gab freien Blick in die Bücher

Aber noch etwas ist anders an diesem Fall, abgesehen davon, dass der Eigentümer die Provenienzforschung bezahlte, weil er nicht NS-Raubkunst in seinem Besitz haben wollte. Das Auktionshaus Grisebach – ansonsten bei Nachfragen nicht bekannt für Freizügigkeit – ließ sich in die Bücher blicken, um herausfinden zu lassen, wer die Bilder in den 1980er Jahren eingeliefert hatte. Die Familie Ury hatte zuvor ihre Einwilligung gegeben, den Datenschutz aufzuheben, sobald ihr Name auftauchte.

Wie von den Provenienzforscherinnen Isabel von Klitzing und Sibylle Groß vermutet, erwies sich Schwiegertochter Genia Ury als Einlieferin, die sich 1972 vom ältesten Ury-Sohn in San Francisco hatte scheiden lassen. Mit Bleistift stand ihr Namen hinten auf den Bildern, ihre Handschrift ließ sich durch ihre Signatur auf der US-Einbürgerungsurkunde von 1943 authentifizieren. Mithin befand sich der Liebermann viele Jahre nach NS-Verfolgung noch in Besitz eines Familienzweigs, nur wusste der andere nicht davon.

Die verschlungenen Wege des Bildes sollen nun Thema einer Ausstellung im Museum Kunst der Westküste sein. Vielleicht, so die Hoffnung von Direktorin Ulrike Wolff-Thomsen, lassen sich noch die heutigen Besitzer der anderen drei Bilder ausfindig machen. Vom Raubkunst-Verdacht sind schließlich auch ihre Werke befreit. Von den Schatten der Vergangenheit ahnte da wohl niemand.

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