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Das Duo Benedikt Eichhorn am Klavier und Thomas Pigor mit Hosenträgern.

© Barbara Braun/Bar jeder Vernunft

Pigor & Eichhorn in der Bar jeder Vernunft: Das radelst du nimmer rein

Politischer und besser denn je: Pigor & Eichhorn mit neuem Programm in der Bar jeder Vernunft.

Der Lockdown mit seinen geschlossenen Live-Bühnen ist auch an Pigor und Eichhorn nicht ohne Spuren vorbeigegangen. Die Bäuche spannen noch etwas stattlicher unter den extrabreiten Hosenträgern, und Thomas Pigor hat seine Liebe zur Gitarre entdeckt. Dem neuen Programm „Volumen X“ verleiht das eine latente Liedermacher-Ebene, einen Resonanzraum, in dem Jahrzehnte und politische Haltungen, kurz angeschlagen, erstaunlich lange nachhallen.

Pigor drischt auf die heiser ächzenden Saiten ein, Benedikt Eichhorn begleitet das erstmal kaum am Klavier. Die Eröffnung des Abends in der Bar jeder Vernunft gehört einer rau hingehauenen Positionsbestimmung. Der Song „Kabarett über alles“ feiert die zusammengereimte Freiheit in immer neuen Engführungen, bis einen der blanke Neid überkommt. Pigor und Eichhorn stellen ganz klar: Wir sind die Chefs hier, wir müssen nicht jedes Fremdwort erklären. Erster Jubel.

Die lateinischen Begriffe der Argumentationstheorie aber erklären sie dann nicht nur, sie bilden das Rückgrat des Programms. Dabei wird aus Hubert Schleicherts Sachbuch „Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren“ ebenso zitiert wie aus Schopenhauers „Die Kunst Recht zu behalten“.

Pigor & Eichhorn sind die Chefs

Eine im Lockdown erlittene Überdosis an Talkshows, den wohlfeilen Ersatzbühnen für parlamentarische Diskussionen, animiert das Duo zu Aufklärungsarbeit. Das Argumentum ad nauseam wiederholt sich selbst so oft, bis etwas davon hängenbleibt („Trump wurde die Wahl gestohlen“), egal wie idiotisch es ist, während das Argumentum ad misericordiam Mitleid schinden will. Alles ist politisch, mehr denn je.

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Während Pigor und Eichhorn sich durch die Argumentationstechniken hangeln, begegnen sie Gestalten, die den Rassismus der Polizei verdammen, weil sie dadurch niemals kontrolliert werden („Ich bin von hier!“), schätzen den Anteil von Idioten in unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen („ist stets konstant“) und münden nach einer sich furios selbst verschlingenden „Verteidigung der political correctness“ in einen Vorschlag zum Gendern: die Einführung des plattdeutschen Plural-S. Polizistens würde dann sowohl die männliche, weibliche und diverse Form bezeichnen.

Plötzlich gute Laune

Benedikt Eichhorn nutzt Pigors wiederkehrenden Kampf mit der D-Saite dafür, sich in eine bodenlose Eifersuchtsszene hineinzusteigen. Der Auslöser: Seine Frau hat plötzlich „Gute Laune“. Da muss etwas dahinterstecken, sicher ein anderer Kerl. Eichhorn öffnet alte Tagebücher, liest darin, wie wunderbar er einmal war, doch dann brechen die Einträge ab, weil die Erinnerungen im Laptop weitergeführt werden. Schließlich kommt es heraus. Der Konkurrent heißt Projektförderantrag für die Darstellenden Künste. Eichhorns Eifersucht erlischt jetzt aber nicht: Er hatte auch einen Antrag gestellt – und wurde abgelehnt.

Es gibt keine Flucht ins Private, auch wenn schwüle „Immobilienphantasien“ nach günstigen Domizilen in Italien gieren. Gegen eine verfehlte Landwirtschaftspolitik kommt der Einzelne nicht an („das radelst du nie wieder rein!“). Pigor setzt sogar seinen unrunden Hüftschwung ein, um das zu unterstreichen: „It’s politics stupid“. Die sture Generation des Weiterso kreisen Pigor und Eichhorn schonungslos ein, ihre „Endzeitomas, Endzeitopas“ wissen, dass sie längst tot sein werden, wenn der Laden an die Wand fährt. Und lachen.

[ Weitere Aufführungen bis 12.9.]

Das Alter macht nicht eben weiser, Pigor nimmt es mit der Gitarre im Anschlag ins Visier. Und auf einmal klappt die Liedermacherfalle zu und ein großartig parodierter Konstantin Wecker zappelt darin, der es einfach nicht fassen kann, dass seine ganzen Spezis auf einmal in „Rente gehn“. Jetzt sind da nurmehr Idioten übrig und keiner, der weiß, wie’s geht.

Die Bar jeder Vernunft tobt glückselig, Pigor und Eichhorn zielen in „Volumen X“ so treffsicher, dass das Publikum ihnen widerstandslos johlend zu Füßen sinkt. Hier lassen zwei nicht locker, im Gegenteil. Wenn sich das Älterwerden schon nicht verhindern lässt, dann soll es wenigstens in einer betreuten Bühnengemeinschaft mit Pigor und Eichhorn vonstatten gehen. Wegen der Nachhilfe in Argumentationstechniken, den mahnenden Porträts der Sturheit – und natürlich wegen des Hüftschwungs.

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