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Die amerikanische Schriftstellerin Ottessa Moshfegh, 1981 in Boston geboren.

© Jake Belcher/Hanser Verlag

Ottessa Moshfeghs Roman "Der Tod in ihren Händen": Der Geist in meinem Kopf

Wer hat schon ein spektakulär erzählenswertes Leben: Ottessa Moshfeghs Roman „Der Tod in ihren Händen“.

Dass es in diesem neuen Roman von Ottessa Moshfegh nicht mit rechten Dingen zugeht, ist sofort offensichtlich. Er beginnt nämlich mit den Worten auf einem Zettel, den die Erzählerin auf dem Waldweg hinter ihrem Haus findet: „Sie hieß Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie ermordet hat. Ich war es nicht. Hier ist ihre Leiche.“

Nur: Eine Leiche gibt es nicht, nicht mal einen Hinweis darauf, Blutspuren, Kleidungsstücke, irgendwas. Es dauert nicht lange, da räsoniert Moshfeghs 72-jährige verwitwete, allein mit ihrem Hund Charlie lebende Heldin darüber, wozu der Geist alles in der Lage ist, „mein Geist, Charlie Geist, manchmal fragte ich mich, was der Geist eigentlich genau war. Dass er etwas sein sollte, was in meinem Gehirn saß, leuchtete mir nicht ein.“

Hier geht es um einen Mord ohne Leiche

Man ahnt, dass mit der Frau psychopathologisch einiges im Argen liegt - und ist mitten im Ottessa-Moshfegh-County. Ob der alkoholkranke Seemann in der Novelle „McGlue“ oder die Frauen in ihren gefeierten Romanen „Eileen“ und „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“, sie alle leiden unter seelischen Defekten, mithin am Leben.

Die 1981 in Boston geborene Autorin wurde mit diesen bohrend-prägnanten, sprachmächtigen Erzählungen zu einer der wichtigsten Stimmen der jüngeren amerikanischen Literatur.

Mit Vesta Ghul, wie die Ich-Erzählerin von „Der Tod in ihren Händen“ heißt (Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger. Hanser Berlin, Berlin 2021.256 S., 22 €.), hat sie abermals eine bemerkenswerte Figur geschaffen, in deren Innern sie sich nachhaltig zu schaffen macht. Vesta schildert ihr einsames Leben irgendwo in der US-Provinz, in einem Waldhäuschen, in Ortschaften wie Bethsmane und Levant, dabei erinnert sie sich auch stetig an die trübe Vergangenheit an der Seite ihres kürzlich verstorbenen Ehemannes.

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Andererseits konstruiert Vesta sich nach und nach einen Kriminalfall, jenen Mord ohne Leiche, und beginnt zu recherchieren. Magda bekommt von ihr ein Leben, sie ist jung, Arbeitsmigrantin aus Weißrussland, imaginiert sie sich, den Zettelschreiber nennt sie Blake, ebenfalls ein junger Mann, und auch ihre Umgebung bekommt neue Dimensionen. Der Fall bestimmt Vestas Leben, übernimmt ihren Geist.

Es ist bemerkenswert, wie Moshfegh es gelingt, eine wahnhafte Noir-Atmosphäre zu schaffen. Umso realistischer sie erzählt, desto häufiger fragt man sich insbesondere bei den Begegnungen Vestas, etwa mit einer Frau auf der Bibliothekstoilette: Findet diese statt? Oder existiert die Frau nur in ihrem Kopf? Trifft Vesta wirklich ihre Nachbarn, bei denen sie einen Ohnmachtsanfall hat?

Die Bewusstseinsebenen zwischen Autorin, Leser und Erzählerin gehen in diesem Roman bald schön ineinander über, so vorhersehbar letzten Ende alles ist, so wenig aufregend das ist, was Vesta sonst zu erzählen hat. Aber wer hat schon ein spektakulär erzählenswertes Leben?

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