zum Hauptinhalt
Die Berliner Schriftstellerin Maren Wurster. Sie wurde 1976 geboren und veröffentlichte 2017 ihren Debütroman „Das Fell“.

© Paula Winkler/Hanser Berlin

Maren Wursters Buch "Papa stirbt, Mama auch": Sie in mir aufnehmen

Maren Wursters hartes, erschütterndes Buch über ihre pflegebedürftigen und moribunden Eltern.

Die Mutter hat Demenz, der Vater Krebs im Endstadium. Maren Wurster wird voll erwischt von der Sandwich-Situation. Auf der einen Seite das kleine Kind, von dessen Erzeuger sie sich gerade getrennt hat. Auf der anderen die pflegebedürftigen Eltern, deren Niedergang sich schon länger abzeichnete.

Der Vater bekam das Trinken und Rauchen nicht in den Griff. Die Mutter verlor zunehmend die Orientierung und Alltagskompetenz. Die Wohnung verwahrloste. Die einzige Tochter: verzweifelt, ratlos, überfordert, dann aber auch mit einer Organisationsfähigkeit, die sie wohl selbst in Erstaunen setzt.

Es gibt erschütternde Szenen. Maren Wurster schildert etwa, wie sie die Mutter aus der Nähe von Stuttgart nach Berlin holt und am Ende der Taxifahrt vom Flughafen das Ziel nicht die angekündigte Pension ist, sondern das Pflegeheim, was der alten Frau trotz Demenz nicht verborgen bleibt: „Ihr Schluchzen ist in ein Schreien übergegangen. Sie schreit meinen Namen… Sie holt mich ein und hält mich am Ärmel fest. Ich reiße mich los und fange an zu rennen.“

Die 1976 geborene Autorin veröffentlichte 2017 ihren Debütroman „Das Fell“. Weitere Werke wurden offenbar von der Situation verhindert, die nun ihr zweites Buch schildert. Es ist kein Roman, sondern Erfahrungsbericht und biographische Erkundung, sehr verdichtet und mit literarischen Qualitäten.

Mangel an Geborgenheit in der Kindheit

Ein hartes Buch mit viel Schicksal und Elend. Es beginnt damit, dass sich alles ein weiteres Mal zuspitzt: Der krebskranke Vater bekommt noch zusätzlich eine schwere Lungenentzündung und muss auf die Intensivstation. Die Tochter hetzt hin und her zwischen Pflegeheim und Krankenhaus. Der Vater will nur noch sterben.

„Papa stirbt, Mama auch“ (Hanser Berlin, München 2021, 154 S., 20 €.) – dieser Titel klingt nach einer kindlichen Perspektive. Dabei ist Maren Wurster, als das Verhängnis beginnt, eine Frau mitten im Leben. Sie hat die Fäden in der Hand, während die Eltern in kindliche Abhängigkeit geraten. Zugleich aber verfestigen sich in der Situation die Familienbande, ist die Tochter trotz ihrer Verantwortung zugleich wieder das Kind, werden alte Gefühlsströme reaktiviert, bestätigen sich Muster, denen man sich entronnen glaubte.

Es wirkt bisweilen so, als wollte Maren Wurster die Familienwunden noch auf der letzten Strecke heilen. Denn in den Rückblenden wird deutlich, dass ihre Kindheit von einem Mangel an Geborgenheit geprägt war. Es waren die späten siebziger Jahre, Helikopter-Elternschaft noch nicht erfunden.

Ihre Eltern hatten Spaß am Feiern und Reisen, dachten nicht daran, zugunsten des Kindes zurückzustecken. Öfter wacht die kleine Maren verlassen in Hotelzimmern auf und irrt herum, muss von Fremden getröstet werden. Jahrzehnte später kehrt die prägende Verlustangst im Verhältnis zum eigenen Kind wieder: „Ich lasse mein Kind nicht allein. Es folgt mir überallhin.“

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Vor allem der Alkoholismus des Vaters war eine chronische Belastung. Dennoch ist der Vater der Tochter näher als die Mutter. Sie lobt seine Großherzigkeit. Ihn spricht sie im Text immer mit dem vertraulichen Du an, während sie von der Mutter in der dritten Person schreibt. Im Heim verweigert sich die Mutter aus Scham den Körperpflegemaßnahmen.

Sie riecht streng, die Zähne faulen in ihrem Mund. Dennoch sucht die Tochter in dieser Phase nun auch die körperliche Nähe der Mutter. Dieses Bedürfnis steigert sich zu einer befremdlichen Verschmelzungssehnsucht: „Ich kann sie wieder berühren, sie wieder umfassen. Es ist mehr als das, am liebsten würde ich in sie kriechen oder sie in mir aufnehmen, beides zugleich.“ Offenbar geht es darum, etwas Versäumtes nachzuholen.

Bisweilen fragt man sich, wie all die Aufwendungen bezahlt werden. Allein zwei Heimplätze kosten schnell an die zehntausend Euro im Monat. Die Mutter verfügt lediglich über ein paar hundert Euro Rente.

Offenbar hat der Vater als Programmierer bei einer Versicherung gut verdient. Aber auch wenn das Finanzielle keine Sorgen zu machen scheint – es wundert nicht, dass Maren Wurster oft selbst an seelische und körperliche Grenzen kommt.

Ein eindringliches Buch

Am Ende aber hat sie wohl alles richtig gemacht. Als die Mutter zwischenzeitlich mit dem Vater in die WG-Abteilung des Heims umzieht, haben beide noch ein paar gute Monate zusammen. Ihr Alltag ist wieder strukturiert; der Vater wechselt sogar noch vom Alkohol zur Cola.

Im Zeichen von Corona trübt sich die Lage jedoch wieder stark ein. Nun sind die Eltern wieder separiert; die Quarantäne macht Besuche zeitweise fast unmöglich. Die Mutter versteht nicht, was geschieht, leidet unter der Isolierung, „sinkt in sich ein“.

Bücher über Demenz und Krebs liegen im Trend. Maren Wurster hat ein besonders eindringliches geschrieben, ein Buch, das nicht im Nachhinein vom Erlebten berichtet, sondern den Niedergang der Eltern und die eigenen Strapazen der Fürsorge begleitet.

Diese Schrift ist selbst ein Teil des Geschehens, bringt es gewissermaßen mit hervor - das Familiendrama, den reflektierten Umgang mit der Situation, die Besinnung auf die Vergangenheit, die das aktuelle Verhalten mitbestimmt. Diese Verzahnung von Schreib- und Lebensprozess ist eindrucksvoll.

Das Schreiben mag der Autorin erst die Kraft gegeben haben, von der wir hier lesen, dass sie sich im Umgang mit den hinfälligen Eltern bewährt.

Und es gibt auch tröstliche Passagen. Man liest von freundlichen und sehr bemühten Pflegern, von kompetenten, empathischen Ärzten, und von den guten, sicher noch verbesserungsfähigen Möglichkeiten der Palliativmedizin. Auch die Erinnerung fördert neben dem Belastenden manch Erfreuliches zutage: Reisen mit den Eltern, beglückende Momente. Versöhnlich schreibt die Erzählerin: „Ihr wart ein schönes Paar.“

Zur Startseite