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Maxwell Alexandre in seiner Pariser Ausstellung.

© AFP/Stephane de Sakutin

Kunst-Shootingstar Maxwell Alexandre: „Malen gibt mir Zugang zu Orten der Macht“

Rassismuskritik in bunten Farben: Maxwell Alexandre, geboren in der Favela Rocinha, hat die Kunstwelt in Rekordzeit erobert. Eine Begegnung.

Es ist nicht leicht, ein aufgehender Stern der internationalen Kunstszene zu sein. Gerade noch war Maxwell Alexandre in Paris, um den Aufbau seiner Solo-Ausstellung im Palais de Tokyo zu beaufsichtigen. Dahin muss der 31-Jährige auch gleich zurück, in Berlin hat er nur einen Zwischenstopp von wenigen Stunden, um sich endlich die Schau im Palais Populaire der Deutschen Bank anzuschauen, die ihn 2020 als „Artist of the Year“ gewürdigt hat. Zwischendurch noch kurz Madrid. Maxwell Alexandre sieht müde aus, als er im Café des Palais Populaire Platz nimmt. Erstmal einen Kaffee.

Seit seiner ersten Solo-Schau in Rio de Janeiro 2018 hat der Künstler aus Rocinha, einer Favela im Süden Rios, eine beeindruckende Karriere hingelegt. Maxwell Alexandre behandelt in seiner Kunst seine Identität als Afrobrasilianer, es geht um Polizeigewalt, Hip-Hop, Spiritualität und Rassismus. Er malt großflächige Werke im Street-Art-Style, meistens auf Papier. Dabei verwischt er die Grenzen von Pop- und Hochkultur, eint fröhliche Farben mit scharfer politischer Kritik.

Rocinha sei ein intensiver, gegensätzlicher Ort

Nach Berlin ist er mit einer kleinen Entourage an Freund:innen gekommen, sie teilen sich Suppe und Kuchen. Mit seinen Dreadlocks, dem Septum-Piercing und schwarzer Streetwear sieht Alexandre extrem cool aus, ist aber das Gegenteil von blasiert. Leidenschaftlich spricht er über seine Arbeit, einer seiner Freunde übersetzt aus dem Portugiesischen. Er ist sich unsicher, sagt Alexandre. Eigentlich spricht er aber doch sehr gut Englisch. Das stellt sich heraus, als er seinen Freund immer mal wieder unterbricht, um seine Punkte noch klarer zu machen.

Alexandres Ausstellung "New Power" im Pariser Palais de Tokyo.
Alexandres Ausstellung "New Power" im Pariser Palais de Tokyo.

© AFP/Stephane de Sakutin

Zu Beginn steht, natürlich, seine Herkunft. Rocinha sei ein intensiver, gegensätzlicher Ort voller Gewalt. Regelmäßig höre man Schüsse. Gleichzeitig existiere aber auch ein großes Gemeinschaftsgefühl, die Menschen helfen sich, improvisieren, kreieren. „Es gibt Dunkelheit, aber auch Schönheit.“ Am liebsten würde er niemals wegziehen, aber vielleicht muss er es demnächst – weil er ein größeres Atelier braucht.

Alexandre war Inlineskater auf professionellem Niveau

Künstler wollte Alexandre nicht immer werden, auch wenn er als Kind gerne zeichnete. Das war nicht im Rahmen des Vorstellbaren. „Die Zeit für Reflektion zu haben, ist an sich schon ein Privileg“, sagt Alexandre. „Wie soll man all diese großen philosophischen Fragen stellen, wenn dir der Magen knurrt?“ Inlineskaten war lange seine Leidenschaft, er fuhr auf professionellem Niveau. „Ich wollte kein normales Leben haben. Studieren, arbeiten, eine Freundin haben – das war nicht mein Ding.“

Alexandre in seiner Schau im Palais Populaire, Unter den Linden.
Alexandre in seiner Schau im Palais Populaire, Unter den Linden.

© Palais Populaire

Stattdessen vertiefte er sich in Videospiele und Animes. Das Skaten gab ihm die Möglichkeit, einer dieser Helden zu werden und prägte einen kreativen Blick auf die Stadt, in der er lebte. Mit bildender Kunst kam Alexandre erst auf der Universität in Kontakt. Dort studierte er Design, um seine Inlineskater-Karriere promoten zu können. Im dritten Semester belegte er einen Kurs bei dem Maler Eduardo Berliner, was sein Interesse an Kunst weckte.

Bis dahin war er nie in Galerien gewesen, in Museen nur auf Schulausflügen – das fand er immer langweilig. „Als Kind an einer öffentlichen Schule in Rio wird dir nie beigebracht, dass du diese Orte für dich nutzen kannst.“ Sie würden bestimmten Rituale, bestimmte Verhaltenscodes erfordern. „Wie in der Kirche.“

Spiritualität spielt eine große Rolle in seiner Kunst

Alexandre wurde evangelikal erzogen, die Kirche spielte lange eine wichtige Rolle in seinem Leben. Inzwischen hat er die Künstlerkirche „A Noiva“ gegründet, ein spirituelles Kollektiv, das jungen Künstler:innen eine Plattform gibt und der Favela die Kunst nahebringt. Malen ist für ihn ein spiritueller Akt. Eine Art, mit Gott zu reden. „Wenn ich mich verloren fühle, schreibe ich“, sagt Alexandre. „Wenn ich etwas erkennen will, male ich. Manche Dinge zeigen sich erst auf der Leinwand.“

Die Kunst war nach dem Inlineskaten aber auch eine Möglichkeit, kein normales Leben führen zu müssen. Ihm gefiel die Vielfältigkeit: Skaten, Film, Fotografie, er konnte alles verbinden – und wieder wie die Helden in seinen Videospielen sein. Sie ist Mittel, sich politisch auszudrücken. „Malen gibt mir Zugang zu Orten der Macht.“ Für die Serie im Palais Populaire hat sich Maxwell Alexandre sein „Forbes“-Cover vorgenommen. Die brasilianische Ausgabe des Magazins wählte ihn 2019 zu den erfolgreichsten Menschen unter 30.

Maxwell Alexandre ist 1990 in Rocinha, einer Favela von Rio, geboren.
Maxwell Alexandre ist 1990 in Rocinha, einer Favela von Rio, geboren.

© Victoria Proença

[Palais Populaire, Unter den Linden 5, bis 14. März, Eintritt frei. Für mehr Informationen hier klicken.]

Er wusste sofort, dass er der einzige Schwarze auf dem Titel sein würde. In der Serie malt er immer wieder das Cover auf Papier – nur die Hautfarbe der Abgebildeten ändert sich jedes Mal. Rassismus spielt für ihn als Afrobrasilianer eine große Rolle in seinem Leben, auf „Black Lives Matter“-Demos war er aber noch nie.

Kunst, die einmal in Schulbüchern zu sehen sein wird

„Ich demonstriere auf andere Weise“. Zu Hause, im Stillen, mit seiner Arbeit. „Vielleicht ist das zu individualistisch“, sagt er nachdenklich. Andererseits würde sich alles bedingen. Menschen motiviert seine Kunst, auf Demos zu gehen, diese Motive wiederum inspirieren ihn.

Besonders wichtig ist ihm, dass seine Kunst unsterblich ist. Dass sie einmal in den Schulbüchern zu sehen sein wird. Dieser Gedanke kam ihm in Lyon, wo er 2019 seine erste Solo-Ausstellung in Europa hatte. Die weißen Kinder liefen dort vor seinen Werken umher, er musste an die Geschichte der Kolonialisierung denken. Jetzt sitzt er hier in Berlin, auf dem Sprung nach Paris, und löffelt Kürbissuppe. Ein langer Weg von zu Hause.

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