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Für sein Kunstwerk "Sender and Receiver" hat Christian Jankowski systemrelevante Berufe, in vollem Schutzanzug, in bestehende Medienformate eingeschleust.

© Christian Jankowski

Kunst in Zeiten von Corona: Abwendung vom Normalen

In der Pandemie merkte der Künstler Christian Jankowski: Wer keine Termine mehr hat, hat Raum für Ideen – nun macht er Corona-Helden sichtbar.

Eigentlich wäre er jetzt in Bangkok. Wenn dieses Virus nicht dazwischengekommen wäre. Er würde seinen Beitrag für die Biennale dort persönlich vorbereiten für die Eröffnung Ende Oktober. So aber hat er, wie alle Künstler, Galeristen und Ausstellungsmacher, in den letzten Monaten gelernt, im Konjunktiv zu reden.

Der Künstler Christian Jankowski schält in der ersten Septemberwoche im ehemaligen Hauptquartier der US-Amerikaner in der Clayallee, inzwischen von dem Softwareunternehmer Markus Hannebauer zu einem Privatmuseum ausgebaut, sein frisch in eine Plexiglasvitrine eingepasstes Werk aus der Transportverpackung. „Plexiglas“, sagt er, „ist teurer geworden.“

Es galt: Nur ein reisender Künstler ist erfolgreich

So können Corona-Folgen auch aussehen. Während die Nachfrage nach Vitrinenmaterial weltweit enorm gestiegen ist, seitdem Supermarktkassierer, Ärztinnen und Busfahrer zu ihrer eigenen Sicherheit dahinter verschwinden, war die Nachfrage nach Kunst, dem Vitrineninhalt, in den letzten Monaten fast komplett zum Erliegen gekommen. Die internationalen Kunstmessen: ausgefallen. Ausstellungsbesuche: erst seit kurzem wieder möglich. Reisen: abgesagt. Bis dahin galt ja: Nur ein reisender Künstler ist ein international erfolgreicher Künstler.

Und natürlich ist heute auch Christian Jankowski, der international gefragte Künstler aus Berlin, ein anderer, seine Kunst eine andere, als sie das ohne die Verbreitung des Virus wäre.

Wer jetzt fragt: Was macht die Kunst?, der muss unterscheiden: Meint er die Inspiration, die Produktion, die Rezeption von Kunst? Oder gar so etwas wie Alimentation, das nackte Überleben des Künstlers selbst?

Irgendwann war Christian Jankowski plötzlich allein in seinem Atelier. Ein Mitarbeiter hatte Covid-19.
Irgendwann war Christian Jankowski plötzlich allein in seinem Atelier. Ein Mitarbeiter hatte Covid-19.

© Sven Darmer

Jankowski, mit nackten Füßen in den Schuhen, öffnet die Tür zu seinem Studio in Treptow, wo er auch wohnt, und sich jetzt häufiger als vor der Pandemie etwas zu essen auf seiner seidigen Beton-Arbeitsplatte macht.

Denn die Armada aus schwarzen Rollis und schwarzen Trolleys, die im Namen der Kunst um die Welt klackerte - Miami, Basel, Köln, Venedig, Bangkok - sie ist zum Stillstand gekommen. Schon vor der Verbreitung des Corona-Virus kam vielen der überdrehte Kunstmarkt irre vor: Die ständige Fliegerei. Der Aufwand, den die Galerien trieben, um unter Sammlern Kauflaune herzustellen. Die Kosten, wenn Künstler, Werke, Galeristen und Kuratoren ständig um die Welt flogen, um sich in immer größeren Inszenierungen zu übertreffen. War das nicht alles schon vor diesem März korrekturbedürftig?

Ein Mitarbeiter fiel aus - Covid-19

Galeristen standen unter Druck, auf diesen Messen sichtbar zu sein, „the artist will be present.“ Und so war der Künstler, vor allem der international erfolgreiche, nicht nur Schaffender, sondern vor allem Reisender. Beschäftigt mit der Vertretung seiner Kunst statt mit ihrer Herstellung.

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Auch Jankowski war viel unterwegs. Dann wurde eine Gruppenausstellung in New York abgesagt. Basel wurde abgesagt, die Art Cologne, mindestens zwei Ausstellungen in Mailand. Jankowski muss sich bemühen, zusammenzukriegen, was alles ausfiel: „Man sieht, ich habe es nicht so vermisst.“

Der Künstler, befreit von seiner Rädchenhaftigkeit im System der Werktätigen, hatte Zeit, sich zu besinnen. „Ist man überhaupt da, wenn man da ist?“, fragt sich Jankowski heute. „So gejetlagged, was bedeutet da Anwesenheit?“ Da hätten alle dazugelernt. „Ich glaube, es wird weniger gereist werden.“

Für seine Arbeit "Traveling Artist" von 2019 ließ Christian Jankowski sich im Business-Dress fesseln und an die Decke hängen - die Reste des Kunstwerks baumeln jetzt in seinem Atelier.
Für seine Arbeit "Traveling Artist" von 2019 ließ Christian Jankowski sich im Business-Dress fesseln und an die Decke hängen - die Reste des Kunstwerks baumeln jetzt in seinem Atelier.

© Sven Darmer

Jankowski, ein Studio, drei Mitarbeiter, saß im Frühling plötzlich allein in seinem Atelier. Sein Mitarbeiter Paul, Mediendesigner, fiel aus: Corona-infiziert. Das Geld des Landes Berlin, die Soforthilfe für Selbständige, war nach einer Woche auf seinem Konto.

Die Rezeption der Kunst: war tot.

Die Alimentation des Künstlers: vorerst gesichert.

Die Produktion: in Frage gestellt

Die Inspiration: gewaltig

Nichts ist eindeutig. Künstler sind osmotische Wesen. Sie filtern die Welt durch ihre Subjektivität, und diese spezielle Wahrnehmung, deretwegen sie ja Künstler geworden sind, ist nicht beendet, nur weil die üblichen Mechanismen nicht mehr funktionieren. Mochte der Verkauf auch stocken, der Drang war war da.

Die plötzliche Stille

In der plötzlichen Stille fand Jankowski Zeit, einen Katalog fertigzustellen, das hatte er ein Jahr lang vor sich hergeschoben. Und plötzlich kam die Kunst am Bau voran, an der Sparkasse in Göttingen, seiner Heimatstadt, just in der Filiale, in der seine Mutter gearbeitet hatte, die sich vor langer Zeit einmal gewünscht hatte, er möge doch eine Banklehre machen.

Es war wie Wetter: Wenn ein Hoch wegzieht, folgt ja darauf nicht nichts. Es folgt ein Tief: Frische. Anderer Charakter. In der plötzlichen Stille bemerkte er seinen Paketboten, der ihm schon zehn Jahre lang die Post gebracht hatte und sich nun als Mario vorstellte. Jankowski wurde neugierig, er hatte schon vorher zu Berufen gearbeitet. Mario lud den unterforderten, aus seinen üblichen Reisezyklen geworfenen Künstler Christian ein, mit ihm die Mittagspause zu verbringen. Gemeinsam saßen sie neben den Paketen, die der Bote zu keinem Zeitpunkt aus dem Auge verlieren durfte.

Jankowski sprach auch mit der Ärztin, die im Gesundheitsamt Adlershof seinen Corona-Test machte: „Die Verbindung zwischen Kunst und Krankheit“, sagte die, „besteht in der Krise: Eine Abwendung vom Normalen im Sinne von Entwicklungssprüngen.“

Corona hatte mit der Kunst zu tun, mit dem Leben, und mit unserer Gegenwart. Auch Jankowski würde sich nun weiterentwickeln: Er würde mit diesen Sätzen arbeiten können.

Aufbruchsstimmung. Christian Jankowski , 52, nimmt die Geschäfte wieder auf - auch wenn er deutlich weniger in der Welt unterwegs sein wird als vor der Pandemie. Für eine "Global Membership" genannte Auftragsarbeit des SoHo House (im Hintergrund) hat er Koffer mit den Bedingungen seines Vertrags beschriftet: „The artist receives 50% after costs“.
Aufbruchsstimmung. Christian Jankowski , 52, nimmt die Geschäfte wieder auf - auch wenn er deutlich weniger in der Welt unterwegs sein wird als vor der Pandemie. Für eine "Global Membership" genannte Auftragsarbeit des SoHo House (im Hintergrund) hat er Koffer mit den Bedingungen seines Vertrags beschriftet: „The artist receives 50% after costs“.

© Christian Jankowksi

Könnte er daraus nicht sogar für die Biennale im Oktober in Bangkok - der Name wird mit „Stadt der Engel“ übersetzt - eine Arbeit machen? Jankowski sah Bezüge. Waren nicht auch die Systemrelevanten Engel? Unsichtbar für die meisten ihr Werk verrichtend?

Jankowski würde also systemrelevante Berufe, in vollem Schutzanzug, in bestehende Medienformate einschleusen: In das „Mittagsmagazin“, die Kultursendung „Aspekte“, aber auch in eine trashige Sendung in Thailand. Im Studio spricht der Moderator ungerührt seinen Text, während im künstlerischen Overvoice Sätze von einem Supermarktkassierer verlesen werden, von Mario, dem Paketboten, oder von Jankowskis Ärztin aus Adlershof.

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Diese Arbeit wird er zuerst in dem Fluentum genannten Privatmuseum von Markus Hannebauer ausstellen können, „Sender and Receiver“, heißt die Einzelausstellung, zu sehen ab 9. September. Bis dahin will Jankowski noch ein Interview mit einem Polizisten führen, vielleicht überzeugt er auch noch Claus Kleber, dass seine Figur bei ihm im „heute journal“ erscheinen kann.

Da ploppt bei Paul, dem genesenen Mitarbeiter, eine E-Mail mit frischem Material aus Bangkok auf: Sie hatten ihren Systemrelevanten auf die Bühne einer krawalligen Musikvideosendung geschleust. Paul lässt den Film laufen, Jankowski ist begeistert. Bangkok ist gut delegiert. An seine Mitarbeiter dort, die für ihn vor Ort Sender anschreiben, wie er das hier mit dem ZDF macht. In Thailand hat er einen Motorrad-Taxifahrer interviewt: Es gebe nichts Besseres als Geld, sagte der. Denn er habe eine Familie zu versorgen. Und wenn er sterbe, ohne Geld verdient zu haben, sterbe er umsonst.

Kleine Ausfälle, große Folgen

Derart von der Hand in den Mund leben viele Künstler schon zu normalen Zeiten. Jankowski steht nur für sich, nicht für alle, und im Vergleich steht er gut da.

Nach Zahlen der Künstlersozialkasse verdienen Berliner Künstlerinnen im Schnitt 9000 Euro im Jahr, Berliner Künstler 11.000. Auf so niedrigem Niveau haben auch kleine Ausfälle große Folgen. Viele verdienen ihr Geld mit zusätzlichen Jobs in der Kulturszene oder als Volkshochschullehrer - auch dort brach vieles weg. Die Berliner Soforthilfen seien bei 75 Prozent der Bedürftigen angekommen, sagt Bernhard Kotowski, Geschäftsführer des Berufsverbandes für Bildende Künstler und Künstlerinnen in Berlin, über 2400 Mitglieder aller Kunstrichtungen im Rücken. Da habe Berlin seinen Künstlern schon besser geholfen als andere Länder. Jedoch: Die Rezeption fand monatelang nicht statt. Die Künstler waren schlagartig nicht mehr sichtbar. „Das ist in diesem Betrieb tödlich.“

Zusätzlich haben sie mit einer Spendenaktion 70.000 Euro gesammelt und verlost, eine große Einzelspende an den Verein bringt jetzt noch einmal 29 Künstlern je 2000 Euro. Vonseiten Berlins läuft die Bewerbungsfrist für 2000 zusätzliche Stipendien á 9000 Euro. Trotzdem steige der Beratungsbedarf zu Hartz IV. Der Großteil der existenziellen Krisen, sagt Kotowski, werde erst jetzt kommen, wenn die Soforthilfen aufgebraucht sind.

Die Möglichkeit des Immer-wieder-Scheiterns

Künstler, sagt Christian Jankowski in seinem Atelier an der Betonküchenplatte, sind es vielleicht gewohnter als andere Berufsgruppen, mit unsteten Mitteln zu planen. Mit Schwankungen und Unsicherheiten zu leben. Oder überhaupt mit wenig Mitteln. Möglicherweise seien sie dadurch besser gewappnet, die schiere finanzielle Bedrohung anzugehen. Die Möglichkeit des Scheiterns, des Immer-wieder-Scheiterns, ist bei Künstlern von Anfang an mitgedacht.

Seit Duchamp haben alle verinnerlicht, dass Kunst erst durch ihr Umfeld bestimmt wird. Doch wenn nun plötzlich das Umfeld wegfällt - gibt es dann überhaupt noch Kunst? Mit dem Wegfall der Messen, der Ausstellungsbesuche, ist neben dem Zirkus ja auch der Resonanzraum verschwunden, in dem überhaupt erst bestimmt wird, was für Kunst gehalten wird und welcher Wert ihr beigemessen wird. Ist überhaupt Kunst, was keiner je so nennt?

Glücklicherweise muss man diese Frage nicht mehr beantworten, denn es geht wieder los mit der Rezeption.

Seine neue Ausstellung während der Berlin Art Week hat Christian Jankowski im Fluentum Berlin - hier die marmorne Eingangshalle.
Seine neue Ausstellung während der Berlin Art Week hat Christian Jankowski im Fluentum Berlin - hier die marmorne Eingangshalle.

© Sven Darmer

Christian Jankowski, schon wieder in seinem üblichen, nervös-wachen Flow vor der Eröffnung einer Ausstellung, baut im Fluentum seine Werke auf: Die Koffer, die er für eine Auftragsarbeit des SoHo-House mit den Bedingungen seines Vertrags beschriftet hat: „The Artist Receives 50% after costs“. Die Waschmaschine, in der jetzt Besucher ihre Berufskleidung waschen sollen, um sie dann zum Trocknen auf einen lebensgroßen Abguss des Künstlers zu hängen, derart ständig die ausgestellte Skulptur verändernd. Auf seinem Handy zeigt Jankowski, was später auf der großen Leinwand laufen wird: Einen Ausschnitt aus der Kultursendung „Aspekte“, hinter dem Moderator Jo Schück taucht plötzlich eine Person im Schutzanzug auf. Das Overvoice spricht die Stimme eines Supermarktkassierers: „Hilfe, ich arbeite im Supermarkt ich hab 300 Kunden am Tag. Ich darf mich jetzt mit keinem einzigen Menschen treffen.“

Markus Hannebauer, der Softwareunternehmer, der Videokunst sammelt und dessen Privatmuseum die Ausstellung stattfindet, wohnt selbst im Kennedy-Saal, in dem US-Präsidenten ihre Empfänge gaben. Bevor er einzog, hat er in der Lobby des ehemaligen Luftgaukommando III den schwarz-weißen Marmor, den die Repräsentanten des „Tausendjährigen Reiches“ dort hingelegt haben, aufgenommen, um eine Fußbodenheizung darunter zu legen. In der Wand verlegte er Datenkabel, damit jedes seiner Videokunstwerke aus jeder Buchse abgerufen werden kann: Strom und Daten - fast alles, was er für seine Kunst heute braucht.

Hannebauer hat die Entstehung von Jankowskis Filmen gefördert. Vor fünf Jahren hatte er schon einmal etwas gekauft. Sammlungen wie die seine sind ohnehin kein kurzfristiges Geschäft, sie zielen auf Dauer und werden über Jahre aufgebaut. Eine Virus-Krise macht sich hier höchstens sehr langfristig bemerkbar.

Jankowski hat keine Ahnung, wer ab 9. September ins Fluentum nach Dahlem kommen wird. Die 2000 Leute, die mal zu einer seiner Ausstellungseröffnungen nach Mitte kamen, sind gerade kaum noch vorstellbar.

Gegenüber dem ehemaligen US-Hauptquartier befindet sich heute ein Edeka. Darin Nahrung für Unterzuckerte. Und da springt es einen an: das Plexiglas. Die Vitrinen, die in den Museen keiner mehr sah, als wären sie geflüchtet und dorthin vorgedrungen, wo ihr Inhalt auch gesehen wird. Jede Supermarktkasse ist durch Plexiglasscheiben zu einer Vitrine geworden, in der ein systemrelevanter Beruf präsentiert wird. Kostbare Ausstellungsstücke, die nicht beschädigt, keinesfalls krank werden dürfen, sonst bricht das System zusammen. Kunst ist überall, wenn man sie nur als solche sieht.

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