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Gartenfreund. „Egon vorm Haus“ (2007) von Andreas Mühe, Porträt des letzten DDR-Staatsratsvorsitzender.

© A. Mühe/VG Bild-Kunst, 2021

Kummerow in Vorpommern: Fotokunst im idyllischen Schloss am See

Kummerow in Vorpommern lockt mit barocker Pracht und einer großen Fotosammlung. Aktuell ergründet eine Schau die Frage: Was ist Zuhause? Ein Besuch.

Private Sammlungen gibt es viele in Berlin, manche kommen neu hinzu, andere gehen wie die von Thomas Olbricht und werden versteigert oder finden wie die Kollektion von Erika Hoffmann in Museen anderer Städte eine neue Heimat.

Die 700 Arbeiten umfassende Fotosammlung von Torsten Kunert ist allerdings nie öffentlichkeitswirksam in Berlin sichtbar geworden. Der aus Köpenick stammende Immobilienentwickler hat sich als Präsentationsort gleich eine Adresse außerhalb der Stadt gesucht, gut zweieinhalb Stunden Autofahrt gen Norden in Mecklenburg-Vorpommern.

Doch die Anreise nach Kummerow, ein idyllisches Dörfchen am gleichnamigen See, zum gleichnamigen Schloss, das trotz all seiner barocken Pracht eigentlich doch nur Herrenhaus genannt werden dürfte, lohnt sich allemal. Seit fünf Jahren ist die Sammlung Kunert in den ersten beiden Etagen der schönen Anlage zu besichtigen, seit letztem Jahr, seit Kunert im Alter von 57 Jahren verstarb und seine Tochter Aileen vollständig die Leitung von Haus und Sammlung übernommen hat, ergänzt um eine Sonderausstellung immer im Sommer im dritten Stock. Um Abwechslung hereinzubringen, wie in einem richtigen Museum, erklärt die 36-Jährige.

Kummerow ist ein Gesamtkunstwerk. Am Ende weiß man nicht mehr, ob man wirklich nur wegen der Fotografie, der neuesten Ausstellung oder doch wegen der Atmosphäre wiedergekommen ist, alle Schichten schieben sich alle übereinander: die Historie des Hauses, die in den sichtbar gelassenen Palimpsesten aufscheint, und der Aufbruch in die Gegenwart mit einer Sammlung, deren Schwerpunkt allerdings bei DDR-Fotografie liegt.

Nachdem Kunert 2011 das marode Schloss erworben hatte, entschied er sich, sowohl die Spuren der von Maltzahns als Vorbesitzer als auch der späteren Nutzer zu bewahren. Nun bestehen nebeneinander feinster Parkettfußboden und SED-Politsprüche an der Wand, abgeschrabbelte Türen und eine herrschaftlich doppelt geschwungene Treppe, die nach oben führt, wo die neue Wechselausstellung „Trautes Heim, allein“ zu sehen ist.

Ort der Geborgenheit oder Schreckenshöhle

Es ist eine Reise durch Zeit und Raum. Blickt man zur Terrasse raus auf den glitzernden See über die meterhoch gewachsene Blumenwiese hinweg, so könnte das Thema Sommerfrische, Sommerlaune sein. Steht man vor der über fünf Meter breiten Fotografie von Richard Mosse, die eine Landschaft in Magentafarben zeigt, so befindet man sich mitten in den Killing Fields des vom Bürgerkrieg erschütterten Kongo.

Mit Farbfiltern, die das Chlorophyll der Bäume von Grün in Pink umwandeln, lässt sich Kriegsgerät unter Camouflage sofort enttarnen. Auf der Schmalseite des Schlosses hängt mit sechs Metern Breite ein ähnlich monumentales Bild: Michael Weselys Seerosen, die er in Giverny fotografierte. Hintergedanken gibt es hier diesmal keine. Zum Glück. Der Fotograf macht Monet, dem Maler, seine Aufwartung in Langzeitbelichtung; das reicht.

[Schloss Kummerow, bis 31. Oktober; Mi-So 11-17 Uhr, schloss-kummerow.de]

Die Hintergedanken ploppen von ganz alleine wieder auf beim „Trauten Heim, allein“, der von Kristina Schrei eingerichteten Sonderausstellung. Die Gastkuratorin, ansonsten beim Hamburger Bahnhof in Berlin tätig, hat sich ein Thema gewählt, das nach über anderthalb Jahren Pandemie vielen auf die Nerven gehen mag. Mit sechs Künstlerinnen und Künstlern hat sie sich auf die Suche begeben, was das Daheim denn nun sei: Schreckenshöhle oder Ort der Geborgenheit, politisch aufgeladen oder harmlose Rückzugsmöglichkeit. Ein Entweder-oder gibt es nicht, das steht am Ende fest.

Die Ödnis auf der anderen Seite der Mauer

Den Parcours eröffnet Sibylle Bergemanns zehnteilige Plattenbau-Serie „P2“ aus dem Jahr 1981. Sie zeigt den immer gleichen Blick ins Wohnzimmer dieses DDR-Standardbaus von 1962, das als besonders fortschrittlich galt durch die breite Fensterfront auf der Linken und den Vitrinenschrank auf der Rechten mit Durchreiche zur Küche. Die Sitzcouch befindet sich in dem schmalen Schlauch mal vorne, mal hinten, mal um Fernseher, mal um Aquarium ergänzt. Die Fotografin urteilt nicht, sie dokumentiert.

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Ähnlich arbeitet Christian Borcherts, der zwischen 1980 und 1986 Familien in der DDR porträtierte; es könnten die Bewohner der leeren Wohnzimmer von Sibylle Bergemann sein, wie sie da aufgereiht sitzen vor dem Einbauschrank oder der Blümchentapete. Doch auch Borcherts diskreditiert nicht, er konstatiert. Die Erstarrung ist in beiden Serien geradezu greifbar.

Peter Piller setzt der Ödnis auf der anderen Seite der Mauer in West-Deutschland ein Denkmal. Der leidenschaftliche Bildersammler hat für seine Serie „Von Erde schöner“ Luftaufnahmen von Einfamilienhäusern ausgewählt, die aus dem Fotoarchiv einer Immobilienfirma stammen, mit denen den Mietern der Kauf ihres Hauses schmackhaft gemacht werden sollte. Der Titel der Serie verweist darauf, dass die Eigenheime von der Erde aus gesehen sogar noch schöner seien. Eine separate Abteilung bilden jene Bilder, auf denen jemand den Rasen mäht. Eigentlich ist das urkomisch, würde sich dadurch nicht die Tristesse des Traums vom Glück daheim erhöhen.

Eine Küchenhilfe und ein Kraftfahrer, 1985. Fotografiert von Christian Borcherts.
Eine Küchenhilfe und ein Kraftfahrer, 1985. Fotografiert von Christian Borcherts.

© Deutsche Fotothek, Dresden

Mit Henrike Neumann ist erstmals keine Fotografin, sondern eine Installationskünstlerin mit von der Partie in den Wechselausstellungen. Mit „Memphis“- Möbeln, Gemälden ihres Großvaters Karl Heinz Jakob, der es als Maler in Zwickau zu einiger Anerkennung brachte, einer Garderobe aus geschmiedetem Gitter, plüschigem Teppich schafft sie unter dem Titel „DDR Noir“ ein Ensemble, das Gefühle von Ostalgie weckt und gleich wieder gallig verwirft. Auf Kummerow gewinnt diese emotionale Achterbahn durch die erhalten gebliebenen Sprüche an der Wand weitere Dynamik. „Thälmann-Pioniere halten Freundschaft mit anderen Völkern“ steht da noch aus einer anderen Zeit. Hier implodiert das traute Heim.

Experte für widersprüchliche Gefühle ist auch Andreas Mühe. So fotografiert er Egon Krenz, den wichtigsten Mann während des Untergangs der DDR in seinem Garten mit Rosenschere als Rentier. Oder Mühe inszeniert Honeckers Jagdhaus bei Nacht in gespenstischem Licht als Hexenhütte oder lichtet die eintönigen Eigenheimfassaden der sozialistischen Nomenklatura in Wandlitz ab.

Im Dunkel der Nacht wirken sie wie ein schlechter Traum, der sich immer und immer wiederholt. Mühe versteht sich auf Trigger. Für die monumentale Aufnahme „Terrasse des Berghofs 44“ aus der Serie „Obersalzberg“ schiebt er harmlose Gartenmöbel auf weißem Grund zusammen, jeweils vier hölzerne Stühle an einen Tisch gelehnt. So machte man es auf der Terrasse der Residenz von Adolf Hitler, so macht man es bis heute daheim.

Den Besucher zieht es jetzt endgültig wieder nach draußen an die Luft. Aileen Kunert erzählt noch, dass sie regelmäßig gefragt wird, wer denn in dem Schloss leben würde. „Hier wohnt die Kunst“, lautet dann ihre Antwort. Das könnte auch die Erwiderung auf „Trautes Heim, allein“ sein. In Kummerow ist die Kunst ein Schlüssel, der Türen öffnet.

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